Koch: Musikalisches Lexikon

Einfalt

<516> oder Einfachheit bezeichnet in den Werken der schönen Künste die Erreichung ihres Endzweckes durch die einfachsten und natürlichsten Mittel, und durch die faßlichste Anordnung und Verbindung derselben. Wenn man daher einem Tonstücke den Charakter der Einfalt und Einfachheit als eine ästhetische Vollkommenheit zueignet, so verstehet man darunter, daß das Genie des Tonsetzers den Ausdruck der vorhandenen Empfindung in so treffenden und faßlichen Zügen entworfen habe, daß sein Kunstwerk weder einer Anhäufung vieler Ausdrucksmittel, noch der Anwendung eines bloß zufälligen Schmuckes bedurfte. In Rücksicht auf den Vortrag einer Solostimme bestehet das schöne Einfache in der Geschicklichkeit des Ausführers, die Tonfolge der vorzutragenden Melodie dem Ausdrucke so genau anzuschmiegen, und die Töne nach der Natur der vorhandenen Empfindung so passend zu modificiren, daß der Ausdruck ohne Anwendung vieler Spielmanieren und zufälliger Verschönerungen der Melodie vollkommen erreicht wird.

Der Virtuos, der z.B. eine Tonfolge, die man gewöhnlich mit einem Triller verziert, so zu modificiren weiß, daß sie den feinen Geschmack auch ohne Triller befriedigt, <517> dem eignet man Einfachheit des Vortrages als eine ästhetische Schönheit zu.

Weil sich das Einfache eines Tonstückes, oder des Vortrages desselben insbesondere durch einen vorzüglichen Grad des Treffenden der gewählten Mittel auszeichnet, und also schon an sich selbst Vollkommenheiten und ästhetischen Werth besitzt, und aller zufälligen Schönheiten entbehren kann, so bestehet die ästhetische Einfalt nicht sowohl in einem gewissen sparsamen Gebrauch besonderer Schönheiten, sondern gleichsam in einer gewissen Verachtung alles zufälligen Schmuckes, der nicht unmittelbar zum Zwecke nothwendig ist. Hieraus siehet man von selbst, daß Präcision eine wesentliche Eigenschaft der ästhetischen Einfalt seyn müsse.

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