Kullak: Ästhetik des Klavierspiels - Kap. 3

S. 80 - Texterweiterung der 8. Auflage (1920)

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[Die Seitenzählung entspricht der 8. Auflage.]

Mechanische Hilfsmittel - J.B. Logier: Chiroplast (1814)

<*83> [Fussnote] Joh. Bernh. Logier (1777-1846), Erfinder des 1814 patentierten Chiroplasten (Handleiter), einer Maschinerie, welche die Handhaltung beim Spielen zu regeln sucht und eine Zeitlang allen Ernstes von den damaligen grössten Autoritäten des Klavierspieles wie Clementi, Cramer, Kalkbrenner u.a. als segensreiche Neuerung gepriesen und adoptiert wurde.

Auch E. Fischer in seinem Büchlein "Ueber guten Tonanschlag", Rendsburg 1833, preist den Chiroplasten als unentbehrliches Hilfsmittel. (Das Werkchen bietet übrigens gut Pädagogisches, doch nichts Neues. Haupteigenschaften guten, bereits im ersten Unterricht zu lehrenden Tonanschlages sind: Gleichmässigkeit in Rücksicht der Stärke den Tones <*84> [perlender Anschlag], Gleichmässigkeit in Rücksicht der Schleifung von einer Taste zur andern [fliessender, runder Anschlag]; die Mittel dazu sind eine möglichst gleichmässige Ausbildung jedes einzelnen Fingers, namentlich der mit Unrecht vernachlässigten linken Hand und Gewöhnung an eine stets ruhige Lage der Hand durch ein ganzen System von "Fessel- und Trillerübungen". Die Ausführung der als Voraussetzungen dienenden Elementardinge - Sitz vorm Klavier, Arm-, Hand-, Fingerhaltung, Kräftigungsübungen der schwachen Finger 1, 4, 5, Tonleiterspiel - Nothwendigkeit usw. zeigt sich mit allen Irrtümern und Schwächen freilich in den Anschauungen der Hummelschen Epoche befangen.)

Seine Ansichten über die nach seiner Methode umgestaltete Pädagogik (das noch von Hanon, s.u. empfohlene Spielen auf mehreren Klaviren und Aesthetik den Klavierspiels legte Logier nieder in folgenden beiden wichtigsten Werken: System der Musikwissenschaft und den musikalischen Unterrichts. Anleitung zum Pianofortespiel, Buch I, Berlin, W. Logier, 1829 (Elementarschule) und: Anweisung zum Unterricht im Clavierspiel, Berlin, W. Logier 1829. (Elementarschule) -. Mit Hummels Empfehlung des Chiroplasten steht übrigens die Anm. 2 zum Kap. 2 der Moscheles-Fétisschen Methode (s.u.) in Widerspruch, die da sagt, dass Cramer, Moscheles, Hummel u.a. jeden Gebrauch mechanischer Hilfsmittel, und selbst des Handleiters, tadeln. Logier hielt in seinem Unterricht darauf, dass der Finger stets in Berührung mit der Taste bleiben müsse, und steht eben auch damit durchaus auf dem Boden der Pariser Schule, deren Prinzipien, wie wir später sehen werden, z.B. auch Kalkbrenner, Kontski (mit ihrem "carezzando" der Taste) und in gewissem Sinne auch Thalberg (mit seinem "Anfühlen und Auswirken der Tasten", s.u.) huldigen. - Die Idee eines mechanischen Hilfsmittels zur Angewöhnung einer richtigen Handstellung, das natürlich eher schädlich als nützlich werden muss, ist im 19. Jahrhundert noch mehrmals aufgetaucht und hat noch den "verbessert" nachgeahmten Stöpelschen und Bohrerschen (automatischen) Handleiter geboren, während C. Fr. Seebers Fingerbildner", der das Einknicken der Vordergelenke bei" Freiheit der übrigen Hand verhindern will, doch auch Nutzen stiften kann. Frz. Brendel (Geist und Technik im Clavier-Unterricht, Leipzig, C.F.W. Siegel, S. 42f) zählt noch weiter solche Quälmaschinen auf: Herz' "Dactylion", eine Trillermaschine, den G. Weicholdschen "Mentor da Pianiste" [Vgl. "Neue Zeitschr. f. Musik", Bd. 23, S. 152], Mohrhoffs und Jacksons Erfindungen. Von ihnen allen fanden nur Logiers, Herz' und Kalkbrenners Produkte bis in die dreissiger Jahre weitere Verbreitung. In neuerer Zeit versuchte man nun die Erzielung und Erlernung des richtigen Anschlages, der richtigen Technik auf andrem Wege, ohne Beihilfe des Tones selbst zu erzwingen. Die "Stumme Claviatur" freilich vermochte es doch nicht. Sie ist heute mit Recht zu einem unter Umständen ganz nützlichen Möbel zum Ein- und Warmspielen der Finger vor dem Auftreten, zur Repetition, zur vorherigen Gewöhnung an Pianofortes usw., also für Hilfszwecke, die Frz. Brendel (a.a.O., S. 58 ff.) genau und vernünftig namhaft macht, zu verwenden. Für Uebungen mit styllstehender Hand, Handgelenk- und Spannübungen lässt sie sich mässig gebrauchen, dagegen ist sie unbrauchbar für Kinder oder zum Studium ganzer Passagen. - Nur für Kinder oder Anfänger ist nützlich die im wesentlichen auf Deppe fussende moderne, amerikanische Virgil-Methode mit ihren Auf- und Ab-"Clicks", deren mechanisirende Gefährlichkeit auch durch systematische Gehörs- und tonliche Anschlagsübungen nicht ganz vermieden werden kann. Die Clicks können nämlich weder in allen Fällen ein untrügliches Mittel zur Kontrolle der Finger, Handgelenke und Arme sein, noch das echte, aus geistigem Ursprung geborene legato entwickeln. Die Virgilübungen können natürlich niemals vergeistigtes Klavierspiel lehren, da ihnen im allgemeinen das Kontrollmoment den klanglich und geistig allmählich zu erlernenden Tones abgeht, wollen aber auch nur eine Schule für Anfänger sein. Die grossen Erwartungen, die man auf die von dieser Methode angeblich ausgehende Reform der Klavierpädagogik setzte, haben sich nicht erfüllt.

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