Mattheson: Der vollkommene Capellmeister

Teil 2, Kap. 13 [Seite 14 von 41]

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Opera

§. 55. Endlich erscheinet unter den theatralischen Gattungen die vornehmste, oder doch die stärckeste, so da ist

XII. Die Opera, samt ihrem Anhange:

Diese fasset gleichsam einen Zusammenfluß von allen übrigen Schönheiten des Schau=Platzes in solcher Maasse in sich, daß es bisweilen zu viel wird. Die Liebe regieret fast allemahl so hefftig, und mit solchen verwirrten Händeln darin, daß kaum andre Gemüths=Bewegungen, es wären denn Kinder dieser offt unartigen Liebe, Raum darin finden: welches meines Erachtens eine eckelhaffte Sache ist, die weder Noth noch Grund hat. Wir müssen diese Dinge inzwischen so nehmen, wie sie sind; nicht wie sie seyn sollten, oder seyn müsten.

§. 56. Es hat also derjenige, welcher eine Oper mit Melodien versehen will, auf nichts so sehr sein Augenmerck zu richten, als auf die lebhaffteste Ausdrückung der vorkommenden Leidenschafften: denn obgleich, wie gesagt, die gewaltige Liebe fast immer der Haupt=Affect ist, so erreget sie doch unfehlbar einen Hauffen Unruhe und Bewegungen mit der Eifersucht, Traurigkeit, Hoffnung, Vergnügung, Rache, Wut, Raserey &. Ich hätte wahrlich grosse Lust den vornehmsten Character einer Oper in der Unruhe selbst zu suchen, wenns mir nicht verdacht werden wollte.

§. 57. Ist die Absicht eines Sing=Spiels tragisch, so muß sich der Gesang darnach richten, und müssen lauter majestätische, ernsthaffte, klägliche Melodien, nach Befinden der Umstände, dabey eingeführet werden, absonderlich zuletzt. Ist aber das Ende einer Oper comisch und lustig, so kehret man es um, und bedienet sich vornehmlich zu rechter Zeit, freudiger, frölicher und anmuthiger Melodien. Ist endlich der Inhalt satyrisch (wiewol deren wenige seyn werden) so müssen die Sang=Weisen hie und da etwas lächerlich, poßierlich und stachelicht heraus kommen. Exempel der ersten Art können etwa aus einem Nero; der zwoten aus einem Jodolet, und der dritten aus einem Don Qui xotte genommen werden. Operetten sind kleine Opern; weiter nichts.

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