Nicolai: Musik & Artzneygelahrtheit

§. 11. Die Erklärung der Musik und Eintheilung derselben.

Man mag eine Musik anhören, was für eine man will, so wird man iederzeit finden, daß die Tone mit einander verknüpft sind. Ich schliesse daher, daß die Musik selbst nichts anders sey als eine Wissenschaft die Tone mit einander zu verknüpfen. Man wundere sich nicht, daß ich sie eine Wissenschaft nenne. Alle die Regeln, welche man davon giebt, lassen sich aus gewissen Gründen, die entweder aus der Natur der Tone fliessen, oder in der Mathematik erwiesen werden, herleiten, ia wenn man mich böse machte, so wollte ich sie gar einen Theil der Mathematik nennen. Die Platoniker und Pythagoräer hatten sich dergestalt in die Musik verliebt, daß sie selbst nicht wußten, was sie aus ihr machen sollten. Sie glaubten, es gereichte der Vortreflichkeit derselben zum grossen Nachtheil, wenn man ihr den Nahmen einer Kunst oder Wissenschaft gäbe. Der erste, meinten sie, wäre gar zu schlecht <19> und zu sehr eingeschränckt, der andere aber wäre nicht hinreichend genug, ob er schon weit schöner und uneingeschränckter wäre. Man müßte, sagten sie, einen weit vollkommenern Begriff von der Harmonie haben, welche unmercklich alle die Kräfte der Seele beweget, und in dem Augenblick, da sie ihr gefällt, alle andere Empfindungen schwächet und unterdrucket. Doch ich will mich mit der Erzehlung der Meinungen, so die alten Weltweisen davon gehabt haben, nicht aufhalten. Nur dieses will ich angemercket haben, daß die Musik sich nach der gegebenen Erklärung in zwey Arten eintheilen läßt. Ich habe gesagt, sie sey eine Wissenschaft die Tone mit einander zu verknüpfen. Zwey Dinge sind mit einander verknüpft, davon eines den Grund von der Würcklichkeit des andern in sich hält, und wenn in dem einem der Grund anzutreffen, warum es bey dem andern zugleich ist oder auf ihn folget, so sind sie im ersten Falle dem Raume nach, in dem andern aber der Zeit nach mit einander verknüpft. Wenn also gewisse Tone zugleich bey einander sind und in dem einem, welcher die §. basis heißt, der Grund anzutreffen ist, warum die übrigen bey ihm sind, so sind die Tone dem Raume nach verknüpft. Diese Art der Verknüpfung wird eine Harmonie, und die Wissenschaft eine regelmäßige Harmonie zu machen der Generalbaß genennet. Die andere Art aber die Tone zu verknüpfen heißt die Melodie. Es folgen alsdenn gewisse Tone aufeinander, <20> und der Grund, warum vielmehr dieser Ton als ein anderer folget, lieget in dem vorhergehenden.

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