Nicolai: Musik & Artzneygelahrtheit

§. 20. Ob die Musik die Gesundheit befördern und Kranckheiten verursachen kan.

Ich komme nunmehro zu einer Betrachtung, welche eine der vornehmsten ist, von der ich aber nicht wissen kan, ob sie sich einigen Beyfall zu versprechen hat. Ich habe <35> vielmehr die größte Ursache zu glauben, daß sie vielen sehr lächerlich und ungereimt vorkommen wird, bloß deswegen, weil sie zeigen soll, daß die Musik Kranheiten verursachen und die Gesundheit befördern kan. Denn wenn das wahr wäre, wird man sagen, so würden die Artzneygelehrten sich genöthiget sehen, die Musik zu lernen, wenn sie ihre Patienten curiren wollten, und das wäre in der That eine unerhörte Sache. Es ist einmahl für allemahl eingeführt, daß man den Patienten Tropfen und Pillen giebt, und nun will man auch so gar darinnen eine Aenderung machen, und den Krancken statt der Pillen und Tropfen ein gewisses musicalisches Stück vorspielen lassen. In Wahrheit, das sollte recht artig aussehen, wenn ein Medicus vordem Bettes des Patientens musiciren müßte. Das werden ohngefehr die Urtheile derienigen seyn, welche die Gewohnheit haben, die Gedancken eines andern so weit zu treiben, als es immer möglich ist und dieselbe durch die Folgen, so sie daraus ziehen, lächerlich zu machen. Ich gönne ihnen das Vergnügen gerne. Mein größter Trost ist dieses, daß sie mir es nicht verwehren können, wenn ich die Musik für ein Mittel halte, welches die Gesundheit befördern und Kranckheiten verursachen kan. Ich bin auch nicht der eintzige, der dieses behauptet, sondern ich könte sehr viele Zeugnisse der Artzneygelehrten anführen, welche mit mir einerley Meinung haben, <36> wenn ich wüßte, daß sie als richtige Beweise von der Warheit dieses Satzes sollten angesehen werden. Doch da ich nicht glaube, daß diese Art zu beweisen einen hiervon zu überführen hinlänglich sey, so will ich nur kürtzlich gedencken, wie sie die Wirckung der Musik in die Gesundheit und Kranckheit eines Menschens erkläret haben. Sie haben nemlich wahrgenommen, wenn zwey Saiten beysammen und auf gleiche Art gestimmet sind, daß die andere mit klinget, wenn die erstere einen Klang von sich gegeben hat, und daß dieses auch geschiehet, wenn der eine Ton eine Octave oder Quinte höher ist als der Ton der andern Saite. Sie haben ferner geglaubet, daß alle Fäserchen ihre Tone hätten, und daß sehr viele Fäserchen mit den Tonen in der Musik harmonisch wären. Daher haben sie sich eingebildet, daß die zitternden Bewegungen der Luft, welche sich bey einem ieden Tone befinden, in der in uns befindlichen Luft eben dergleichen Bewegungen hervorbrächten, welche hernach denienigen benachbarten Fäserchen mitgetheilet würden, die sie anzunehmen geschickt wären. Ich will nicht untersuchen, ob dieses gegründet sey oder nicht. Mir wenigstens deucht, daß es eben so wahrscheinlich nicht sey. Ich halte vielmehr davor, daß die Wirckungen, welche die Musik in dem Körper hervorbringet, daher rühren, weil sie Leidenschaften erregen kan [Siehe] 12, §. 13. Es versteht sich aber von selbst, daß sie besonders <37> darnach muß eingerichtet seyn. Nun ist bekannt, daß die Leidenschaften Veränderungen im Körper verursachen. Es ist ferner gewiß, daß dasienige, welches Veränderungen im Körper hervorbringt, entweder die Gesundheit desselben befördern, oder Kranckheiten erzeugen könne. Sollte also nicht die Musik geschickt seyn die Gesundheit zu befördern und Kranckheiten zu verursachen?

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