Quantz: Anweisung - Kap. 15

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<156> §. 15. Wie eine lustige Cadenz aus weitläuftigen Sprüngen, lustigen Clauseln, untermischten Triolen und Trillern u.d.gl. gebildet wird [...]; so besteht hingegen eine traurige fast aus lauter nahe an einander liegenden, mit Dissonanzen vermischten Intervallen [...] Die erste davon schicket sich zu einem muntern, die andere hingegen zu einem sehr traurigen Stücke. Man muß sich hierbey wohl in Acht nehmen; damit man nicht in ungereimte Mengereyen und Verwechselungen des Lustigen und Traurigen verfalle.

§. 16. [...]

§. 17. Die Cadenzen für eine Singstimme oder ein Blasinstrument müssen so beschaffen seyn, daß sie in einem Athem gemachet werden können. Ein Seyteninstrumentist kann sie so lang machen, als ihm beliebet; sofern er anders reich an Erfindung ist. Doch erlanget er mehr Vortheil durch eine billige Kürze, als durch eine verdrüßliche Länge.

§. 18. [...] <157> Die Cadenzen erfodern, wegen ihrer geschwinden Erfindung, mehr Fertigkeit des Witzes, als Gelehrsamkeit. Ihre größte Schönheit besteht darinn, daß sie als etwas unerwartetes den Zuhörer in eine neue und rührende Verwunderung setzen, und die gesuchte Erregung der Leidenschaften gleichsam aufs höchste treiben sollen. Man darf aber nicht glauben, daß eine Menge geschwinder Passagien solches allein zu bewerkstelligen vermögend sey. Nein, die Leidenschaften können viel eher durch etliche simple Intervalle, und geschikt darunter vermischete Dissonanzen, als durch viele bunte Figuren erreget werden.

§. 19. [...] Von den Sängern werden die meisten von dergleichen Cadenzen vorher studiret, und auswendig gelernet: denn es ist eine große Seltenheit zweene Sänger zusammen anzutreffen, die etwas von der Harmonie oder der Setzkunst verstehen. <158> Die meisten gehen, aus einem fortgepflanzeten Vorurtheile, welche die Faulheit zur Mutter, und zur Ernährerinn hat, vor, daß dergleichen Bemühung der Stimme nachtheilig sey. [...]

[...]

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