Quantz: Anweisung - Kap. 16

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§. 17. Bey der Wahl der Stücke womit sich Flötenist, und jeder Concertist will hören laßen, muß er sich nicht nur nach sich selbst, nach seinen Kräften und seiner Fähigkeit, sondern auch nach dem Orte wo er spielet, nach dem Accompagnement welches ihn begleitet, nach den Umständen worinn er spielet, und nach den Zuhörern vor denen er sich will hören lassen, richten.

<170> §. 18. An einem großen Orte, wo es stark schallet, und wo das Accompagnement sehr zahlreich ist, machet eine große Geschwindigkeit mehr Verwirrung als Vergnügen. Er muß also bey solchen Gelegenheiten Concerte erwählen, welche prächtig gesetzet, und mit vielem Unison vermischet sind; Concerte, bey denen sich die harmonischen Sätze nur immer zu ganzen oder halben Tacten ändern. Der an großen Orten allezeit entstehende Wiederschall verlieret sich nicht so geschwind; sondern verwickelt die Töne, wenn sie gar zu geschwinde mit einander abwechseln, dergestalt unter einander, daß sowohl Harmonie als Melodie unverständlich wird.

§. 19. In einem kleinen Zimmer, wo wenig Instrumente zur Begleitung da sind, kann man hingegen Concerte nehmen, die eine galante und lustige Melodie haben, und worinnen die Harmonie sich geschwinder ändert als zu halben und ganzen Tacten. Diese lassen sich geschwinder spielen als jene.

§. 20. Wer sich öffentlich will hören lassen, der muß die Zuhörer, und absonderlich diejenigen darunter, an denen ihm am meisten gelegen ist, wohl in Betrachtung ziehen. Er muß überlegen, ob sie Kenner oder keine Kenner sind. Vor Kennern kann er etwas mehr ausgearbeitetes spielen, worinne er Gelegenheit hat, seine Geschiklichkeit sowohl im Allegro als Adagio zu zeigen. Vor puren Liebhabern, die nichts von der Musik verstehen, thut er hingegen besser, wenn er solche Stücke vorbringt, in welchen der Gesang brillant und gefällig ist. Das Adagio kann er alsdenn auch etwas geschwinder als sonst spielen; um diese Art von Liebhabern nicht lange Weile zu machen.

§. 21. [...]

<171> §. 22. Um sich bey den Zuhörern gefällig zu machen, giebt es einen großen Vortheil, wenn man die Gemüthsneigungen derselben kennet. Ein cholerischer Mensch kann mit prächtigen und ernsthaften Stücken, ein zur Traurigkeit geneigter mit tiefsinnigen, chromatischen und aus Molltönen gesetzeten Stücken, ein lustiger, aufgeweckter Mensch aber, mit lustigen und scherzhaften Stücken, befriediget werden. Beobachtet nun ein Musikus dieses nicht, woferne er kann: oder thut er wohl gar das Gegentheil: so wird er bey keinem Zuhörer von dieser Art seinen Entzweck vollkommen erreichen.

§. 23. Diese Regel der Klugheit wird gemeiniglich von denen, die man wirklich vor gelehrte und geschikte Tonkünstler erkennen muß, am allerwenigsten beobachtet. Anstatt daß sie sich zu erst, durch gefällige und begreifliche Stücke, bey ihren Zuhörern einschmeicheln sollten; schrecken sie dieselben vielmehr, aus Eigensinn, gleich Anfangs, mit ihrer Gelehrsamkeit, so nur für die Kenner gehöret, ab: womit sie doch öfters nichts mehr, als den Namen eines gelehrten Pedanten davon tragen. Wollten sie sich aber auf eine billige Art bequemen: so würde ihnen mehr Gerechtigkeit, als insgemein geschieht, wiederfahren.

[...]

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