[Kreisig 90]
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Mendelssohns Orgelconcert.

<III,256> Mit goldnen Lettern möcht' ich den gestrigen Abend in diesen Blättern aufzeichnen können. Es war ein Concert für Männer einmal, ein gutes Ganzes vom Anfang bis Ende. Wiederum fiel mir ein, wie man mit Bach doch niemals fertig, wie er immer tiefer wird, je mehr man ihn hört. Von Zelter, und später von Marx ist darüber Treffliches und Treffendes genug gesagt worden, und doch, hört man dann, so will es wieder scheinen, als ließe sich ihm mit dem bloßen Wortverstand nur von weitem beikommen. Die beste Versinnlichung und Erklärung seiner Werke bleibt nun immer die lebendige durch die Musik selbst, und von wem dürfte man da eine treuere und wärmere erwarten, als von dem, der sie uns gestern gab, der die meisten Stunden seines Lebens gerade diesem Meister zugewandt, der der Erste war, der mit aller Kraft der Begeisterung das Andenken an Bach in Deutschland auffrischte, jetzt auch wieder den ersten Impuls gibt, daß sein Bild auch durch ein äußeres Zeichen dem Auge der Mitwelt näher <III,257> gebracht werde. Hundert Jahre sind schon vergangen, ehe dies von Andern versucht, sollen vielleicht noch hundert vergehen, daß es zur Ausführung kömmt? Es ist nicht unsere Absicht, durch einen förmlichen Aufruf zu einem Denkmal für Bach etwa zu bitten; die für Mozart und Beethoven sind noch nicht fertig und es dürfte schon damit noch eine Zeit währen. Aber hier und da anregen möchte die Idee, die jetzt von hier ausgegangen, namentlich in den Städten, die sich in neuerer Zeit um Aufführung Bach'scher Werke besonders verdient gemacht, Berlin und Breslau, in denen es Viele geben wird, die wissen, was die Kunst Bach schuldet; es ist im kleinen Kreise der Musik kaum weniger, als was eine Religion ihrem Stifter. Mendelssohn spricht sich selbst in seinem das Concert ankündigenden Cirkular in klaren, einfachen Worten darüber aus: "Bis jetzt bekundet kein äußeres Zeichen in Leipzig das lebendige Andenken an den größten Künstler, den diese Stadt je besessen. Einem seiner Nachfolger ist bereits die Ehre eines Denkmals in der Nähe der Thomasschule zu Theil geworden, die Bach vor allen Andern gebührt; da aber in der jetzigen Zeit sein Geist und seine Werke mit neuer Kraft hervortreten, und die Theilnahme dafür in den Herzen aller wahren Musikfreunde nie verlöschen wird, so ist zu hoffen, daß ein solches Unternehmen bei den Bewohnern Leipzigs Anklang und Beförderung finden möge" &c. &c.

Daß nun der von solcher Künstlerhand geleitete Anfang ein würdiger war und daß ihn ein den Zweck reich <III,258> unterstützender Erfolg krönte, war zu, erwarten. Wie Mendelssohn das königliche Instrument Bach's zu handhaben versteht, ist schon anderweitig bekannt; und dann waren es lauter köstliche Kleinodien, die er gestern vorlegte, und zwar in herrlichster Abwechselung und Steigerung, die er nur zu Anfang gleichsam bevorwortete, und zum Ende mit einer Phantasie beschloß. Nach einer kurzen Einleitung spielte er eine Fuge in Es dur, eine gar prächtige auf drei sich über einander aufbauenden Gedanken, hierauf eine Phantasie über den Choral "Schmücke dich, o liebe Seele", ein unschätzbares, seelentiefstes Musikstück, wie es irgendeinem Künstlergemüth entsprungen, sodann ein groß-brillantes Präludium mit Fuge in A moll, beide sehr schwierig auch für Meister auf der Orgel. Nach einer Pause folgte die Passecaille in C moll, 21 Variationen, genialisch genug in einander gewunden, daß man nur immer erstaunen muß, auch von Mendelssohn vortrefflich in den Registern behandelt; nach diesen eine Pastorella in F dur, wie nur irgendein Musikstück dieses Charakters in tiefster Tiefe gedacht werden kann, der sich dann eine Toccata in A moll mit Bach'isch-humoristischem Präludium anschloß. Den Schluß machte eine Phantasie Mendelssohn's, worin er sich denn zeigte in voller Künstlerglorie; sie war auf einen Choral, irr' ich nicht, auf den Text "O Haupt voll Blut und Wunden" basirt, in den er später den Namen Bach und einen Fugensatz einflocht, und rundete sich zu einem so klaren, meisterhaften Ganzen, daß <III,259> es gedruckt ein fertiges Kunstwerk gäbe. Ein schöner Sommerabend glänzte zu den Kirchenfenstern herein; außen im Freien wird noch mancher den wunderbaren Klängen nachgesonnen haben, und wie es doch in der Musik nichts Größeres gibt als jenen Genuß der Doppelmeisterschaft, wenn der Meister den Meister ausspricht. Ruhm und Ehre dem alten wie dem jungen!


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