Johann Huß. Oratorium von Prof. Dr. A. Zeune, componirt von Dr. C. Löwe. Werk 82 [Kreisig 110]

[Auszug]

<IV,178> Wir freuen uns der Thätigkeit des geistvollen Mannes, von der uns obiges Werk wieder Zeugniß gibt. Sein neues Oratorium reiht sich in seiner Tendenz den früheren derartigen Compositionen Löwe's an; es ist, schon vom Dichter, nicht für die Kirche gedacht und hält sich, für den Concertsaal passend oder auch bei musikfestlicher Gelegenheit wohl anzubringen, zwischen Oper und Oratorium. Wir haben noch kein gutes Wort für diese Mittelgattung; bei geistlicher Oper denkt man an etwas anderes, und dramatisches Oratorium trifft den Sinn auch nicht. Von mancher Seite ist sogar gegen die ganze Kunstgattung angestritten worden. Sollen der Musik aber Charaktere, eben wie Huß, Gutenberg, wie Luther, Winkelried und andere Glaubens- und Freiheitshelden, gänzlich entzogen bleiben, weil sie weder ganz für die Oper, noch ganz für die Kirche passen? Mir scheint, Löwe hat ein Verdienst um <IV,179> die Gattung, die wenn auch noch kein Epochen-Werk geliefert hat, doch auch noch nicht zu Ende gedacht ist. Das rein biblische Oratorium kann darunter nicht im geringsten leiden und wird auch immer seine Componisten finden. Aber wir wollen uns freuen, daß die Geschichte noch allerhand große Gestalten aufzuweisen hat, die sich die Musik nur anzueignen braucht, um nach einer neuen Seite hin zu wirken und sich auszusprechen. Von diesem Gedanken scheint auch Löwe auf das innigste durchdrungen zu sein, da er nicht abläßt, den früher betretenen Weg zu verfolgen. Und hat er darauf noch keine glänzenden Triumphe errungen, so schrecke ihn das nicht ab; es braucht nicht alles in der Welt gleich Furore zu machen und darf doch eines ehrenden Andenkens in der Kunstgeschichte gewiß sein. Das Verdienst, einen neuen Weg mit angebahnt zu haben, muß Löwe zugesprochen werden.

Hätte er's doch in der ersten Blüthe seiner Manneskraft gethan oder in der Zeit, der wir seine frischen kräftigen Balladen verdanken! Aber freilich, der Bildungsgang eines Künstlers läßt sich wohl hinterher erklären, vorher aber schwer lenken und vorausbestimmen. Zu stark wirken auch Leben und Verhältnisse oft ein. Aus dem Operncomponisten Händel wird ein Oratoriencomponist; Haydn, der Instrumentalist, gibt uns im Greisenalter seine "Schöpfung"; Mozart mitten in seinen Operntriumphen sein "Requiem". Mögen solche Erscheinungen auch im tieferen inneren Wesen der Künstler <IV,180> begründet sein, - Leben, Umgebung, Verhältnisse bringen sie oft erst zur Reife.

Löwe, um mich eines Bildes zu bedienen, ist frühzeitig auf ein einsames Eiland geworfen worden. Was draußen in der Welt vorgeht, kommt nur erzählungsweise zu seiner Kunde, wie umgekehrt die Welt nur selten von ihm hört. Zwar Löwe ist der König dieses Eilandes und baut es an und verschönert es, denn die Natur hat ihn mit dichterischen Kräften ausgerüstet. Größeren Einfluß aber auf den Gang der Weltbegebenheiten ausüben kann er nicht und will es vielleicht auch nicht.

So gehört denn Löwe beinahe zu den Verschollenen schon, trotz seiner regen fortgesetzten Productivität. Man singt wohl seine alten Balladen noch, und sein "Was ziehet und klinget die Straße herauf" ertönt noch aus der Kehle manches alten Burschen; aber seine späteren größeren Arbeiten sind kaum dem Namen nach bekannt geworden. Ungerechterweise, aber auch natürlicherweise. Und hier muß ich etwas aussprechen, was ich nur ungern thue, und möchte es mit dem Goethe'schen Wort einleiten: "Wer sich der Einsamkeit ergibt, ach, der ist bald allein."[1] Zu lang anhaltende Abgeschiedenheit von der Welt schadet dem Künstler zuletzt; er fängt da oft an sich in gewisse Formen und Manieren einzugewöhnen, bis er sich plötzlich bis zum Sonderling, zum Träumer festgefahren. So weit mag er sich noch ganz wohl befinden. Aber donnert ihm nun einmal eine öffentliche <IV,181> Stimme ein "Hab' acht, Freund" entgegen, so verfällt er in Grübeln, in Zweifeln an sich, und der Pedanterie gesellt sich gar noch der Unmuth, die Hypochondrie zu, dieser schädlichste Feind des Schaffens.

Wir sind weit entfernt, obiges in seinem ganzen Umfange auf Löwe anzuwenden; aber es ist Gefahr für ihn da. Wie sein "Huß" unzweifelhaft eine Menge Stellen aufzuweisen hat, die den noch frischen, elastischen Geist ihres Schöpfers bezeugen, so doch andre wieder, an denen wir die schädlichen Einflüsse einer isolirten oder sich selbst isolirenden Stellung wahrnehmen zu können glauben. Es gibt eine Pedanterie der Einfachheit, die sich zur künstlerischen echten Naivität verhält, wie Manier zur Originalität. Dem Laien sagt jene gar oft auch zu; der Künstler aber will auch immer musikalisch interessirt sein, und diesen letzteren Ansprüchen genügt der "Huß" eben nicht immer. Vielleicht empfindet das der Componist selbst manchmal, denn er verfällt stellenweise in das andre Extrem und gibt z.B. in 3ten Theile seines Werkes auf einmal eine höchst künstliche kanonische Messe. Aber daß er zwischen allzu großer Einfachheit und Künstlichkeit die Mittellinie treffe, den eigentlichen Kunststyl, dies wünschten wir daß es ihm gelänge. Freilich, das letzte das schwierigste, und, großes Talent vorausgesetzt, das Ergebniß vieler Studien, Erfahrungen an sich und Anderen. Möchte unserm Tondichter sein Genius hold sein und ihn diesen Weg geleiten; aber auch jener wird es nicht allein vermögen, <IV,182> sondern unausgesetzter Fleiß, strenges Ueberwachen der Kräfte, eiserner Wille bis in die ältesten Jahre hinauf.

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Anmerkungen

[1] J.W.v. Goethe: Wilhelm Meisters Lehrjahre, II,13 (Lied des Harfners). zurück zum Text
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