Sulzer: Theorie der Schönen Künste

Menuet.

(Musik; Tanzkunst.)

<388li> Ein kleines fürs Tanzen gesetztes Tonstück in 3/4 Takt, das aus zweyn Theilen besteht, deren jeder acht Takte hat. Es fängt im Niederschlag an, und hat seine Einschnitte von zwey zu zwey Takten auf dem letzten Viertel: gerade auf der Hälfte jedes Theiles müssen sie etwas merklicher seyn. Aber die durch solche Einschnitte entstehenden Glieder müssen geschikt mit einander verbunden seyn, welches am besten durch die Harmonie des wesentlichen Septimenaccords, oder dessen Verwechslungen, oder in der Melodie selbst auf eine Weise geschieht, wodurch zwar der Einschnitt merklich, aber doch die Nothwendigkeit einer Folge fühlbar wird. Denn die Ruhe muß nicht eher, als mit dem Niederschlag des letzten Taktes empfunden werden.

Der Ausdruk muß edel seyn und reizenden Anstand, aber mit Einfalt verbunden, empfinden lassen. Die geschwindesten Noten sind Achtel. Aber es ist sehr gut, daß eine Stimme, <388re> es sey der Baß, oder die Melodie in bloßen Vierteln fortschreite, damit dder Gang der Bewegung für den Tänzer desto fühlbarer werde; welches überhaupt auch bey andern Tänzen zu beobachten ist. Doch können Sechzehntel einzeln, nach einem punktirten Achtel folgen.

Sonst muß dieser Tanz im reinen zweystimmigen Satz, wo die Violinen im Einklang gehen, gesetzt seyn. Wegen der Kürze des Stüks haben keine andere Ausweichungen statt, als in die Dominante des Haupttones; andre Tonarten können nur im Vorbeygehen berührt werden. Also kann der erste Theil in die Dominante schließen, und denn der zweyte in die Tonica. Will man aber nach dem zweyten Theil den ersten wiederholen, so schließt jener in die Dominante, und dieser in die Tonica. So sind die Menuette zum Tanzen am besten, weil sie am kürzesten sind. Man kann auch, um sie etwas zu verlängern, den fünften und sechsten Takt wiederholen.

Zum bloßen Spielen macht man auch Menuette von 16, 32 und gar 64 Takten. Man hat auch solche, die im Aufschlag anfangen, und den Einschnitt beym zweyten Viertel jedes zweyten Takts fühlen lassen; andere, die mit dem Niederschlag anfangen, aber bald bey dem zweyten, bald bey dem dritten Viertel den Einschnitt setzen. Von dieser Art sind insgemein die Pastoralmenuette: aber man muß mit solcher Mischung der Einschnitte behutsam seyn; damit der Rhythmus seine Natur nicht verliere.

Bey Menuetten, die sowol zum Spielen als zum Tanzen gesetzt werden, pflegt man auf eine Menuet ein Trio folgen zu lassen, das sich in der Bewegung und dem Rhythmus nach dem Menuet richtet. Aber im Trio muß der Satz durchaus dreystimmig und die Melodie einnehmend <389li> seyn. Dadurch erhält man einen angehmen Contrast beyder Stüke. Das Trio wird in der Tonart der Menuet, oder in einem nahe damit verwandten Ton gesetzt, und nach ihm die Menuet wiederholt.

Der Tanz selbst ist durchgehends wol bekannt und verdienet in Ansehung seines edlen und reizenden Wesens den Vorzug vor den andern gesellschaftlichen Tänzen: nur muß nicht gar zu lange damit angehalten werden, weil dadurch die Ergötzlichkeit zu einförmig würde. Er scheinet von den Grazien selbst erfunden zu seyn, und schiket sich mehr, als jeder andere Tanz für Gesellschaften von Personen, die sich durch feine Lebensart auszeichnen. Seltsam ist es, daß (wie ich glaube) Niemand weiß, in welchem Lande dieser feine Tanz zuerst aufgekommen ist. Französischen Ursprungs, wie viele glauben, scheinet er nicht zu seyn. Wenigstens ist er für die Lebhaftigkeit der französischen Nation zu gesetzt.

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