Sulzer: Theorie der Schönen Künste

Pause.

(Musik.)

<663li> Bedeutet eine Ruhe, das ist, ein kürzeres oder längeres Stillschweigen, das währender Aufführung des Tonstüks an einigen Stellen zu beobachten ist. So wenig die Rede in einem anhaltenden oder steten Fluß der Stimmme fort geht, so wenig kann dieses im Gesange geschehen. Sowol die Nothwendigkeit Athem zu holen, als die Deutlichkeit des Ausdruks erfodert unumgänglich verchiedene kleine Unterbrechungen, oder Ruhestellen. Die Zeichen, wodurch diese Ruhestellen in der Musik angedeutet werden, oder wodurch zugleich ihre Dauer ausgedrükt wird, werden Pausen genennt.

Der doppelte Ursprung der Pause muß den Tonsetzer leiten, sie an den gehörigen Stellen anzubringen, und ihre Dauer zu bestimmen. Nämlich in Singestüken muß er erstlich auf das Athemholen des Sängers Achtung geben, und also die Pausen dahin setzen, wo der Athem natürlicher Weise ausgehen muß; zweytens aber muß er vornehmlich auf den Ausdruk und Nachdruk der Rede sehen. Wo die Aufhaltung in der Rede nothwendig wird, da muß sie auch im Gesange angebracht werden. Zwar werden die Pausen nicht allemal schlechterdings dabey nothwendig. Eine längere Note, oder eine Cadenz, kann oft dasselbige verrichten; aber die Pausen müssen sich nothwendig darnach richten. Denn wie es ungereimt wäre, da, wo ein vollkommener Sinn aus ist, und wo man einige Zeit braucht, ihn noch einmal zu überdenken, die Aufmerksamkeit schnell auf etwas neues zu führen, so übel wäre es auch mitten in dem Zusammenhang, ehe ein Gedanke aus ist, eine Unterbrechung zu machen, oder eine Pause anzubringen. Ihr Ort und ihre <663re> Dauer muß genau mit dem Inhalt übereinstimmen. Die Pausen, welche die Nothwendigkeit eingeführt hat, werden von feinen Tonsetzern auch zur Zierde der Melodien gebraucht. Oft wird durch eine wol angebrachte Pause die Aufmerksamkeit des Zuhörers, den eine ununterbrochene Folge von Tönen in eine kleine Zerstreuung gebracht hat, aufs neue rege gemacht.

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