Sulzer: Theorie der Schönen Künste

Rondeau.

(Poesie; Musik.)

<120li> in der Poesie ist das Rondeau ein Lied von Doppelstrophen, die so gesungen <120re> werden, daß nach der zweyten Hälfte die erste wiederholt wird, so wie es in den meisten Opernarien gewöhnlich ist. Wenn diese Wiederholung natürlich seyn soll, so muß nothwendig in der zweyten Hälfte der Strophe etwas seyn, das die Wiederholung der ersten natürlich macht. Dieses hat, wie Rousseau sehr richtig anmerkt, nur in folgenden Fällen statt.

"So oft eine im ersten Theil ausgedrukte Empfindung einen überlegten Gedanken veranlasset, der im zweyten Theil sie verstärkt und unterstützt; wenn die Beschreibung eines Zustandes, die den ersten Theil ausmacht, eine im zweyten Theil vorkommende Vergleichung aufkläret; wenn ein Gedanken im ersten Theil, in dem zweyten Theil bewiesen, oder bestätiget wird; wenn endlich im ersten Theil ein Vorsatz geäußert wird, davon im zweyten der Grund angegeben ist: in allen diesen Fällen ist die Wiederholung natürlich, und alsdann kann das Rondeau ein sehr angenehmes kleines Gedicht seyn." [Dictionaire de Musique, Art. Rondeau]

Der Tonsetzer wählt nach dem Inhalt eine gerade, oder ungerade Taktart, von geschwinder oder langsamer Bewegung für den ersten Theil der Strophen. Für den zweyten Theil macht er, nach Beschaffenheit des Rondeau eine, oder mehrere Melodien in verschiedenen mit dem Tone des ersten Theils verwandten Tonarten. In beyden Theilen muß die Modulation so beschaffen seyn, daß der Schluß des ersten Theiles auf den Anfang jedes andern, und der Schluß des zweyten Theiles auf den Anfang des ersten immer passe.

[Zusatz:]

<121li> Das Rondeau, als Gedicht, ist, französischer Abkunft. [...] Und da Naivetät sein Hauptverdienst seyn soll: so ist der so genannte STYLE MAROTIQUE [...] als sein Eigenthum angesehen worden. [...] <121re> Im Grunde war es eine sichtliche Nachahmung des italienischen Sonnetes; und die Form desselben entwickelte sich vielleicht aus dem Bedürfnisse, das Ohr zu befriedigen. Da die Form desselben, die Wiederhohlung halber oder ganzer Verse, an bestimmten Stellen, sich schwerlich mit einer edlen, erhabenen, zärtlichen Idee verträgt: so entstand daraus das Gesetz, daß es naiv seyn mußte; und da die Naivetät von dem Witze verdrängt worden ist: so ist es nicht zu verwundern, daß man dergleichen nicht mehr schreibt.

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