Maurice André - Klassische Trompetenkonzerte

Dieser Beitrag ist entstanden als
Booklet-Text für die CD-Produktion
Maurice André - Klassische Trompetenkonzerte
(Zürcher Kammerorchester, Ltg.: Edmond de Stoutz)
EMI (LC 0110) 7 54086-2 Prod. 1991.

Die Trompete "ist ein herrlich Instrument, wenn ein guter Meister / der es wol und künstlich zwingen und regieren kan / drüber kömpt."

Soweit der deutsche Musikgelehrte Michael Praetorius zu Beginn des 17. Jahrhunderts über das königliche Instrument. Wegen ihres strahlenden Klangs, der auch auf weite Entfernung nichts an Strahlkraft verliert, war die Trompete im Barock das Repräsentations-Instrument par excellence für die weltlichen Herrscher, angefangen vom deutschen Duodezfürsten bis hin zum absolutistisch regierenden Sonnenkönig im französischen Versailles. Verständlich, daß in unseren demokratischen Zeiten die Trompete keine große Rolle mehr spielt. Seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts fristet die Trompete eine eher bescheidene Existenz als Orchesterinstrument, verbannt auf die hinteren Reihen und beargwöhnt von den Streichern und Holzbläsern. Trompetenkonzerte von Beethoven, Brahms oder Schumann? Unvorstellbar! Selbst Mozart konnte sich mit der Trompete als Soloinstrument nicht recht anfreunden.

Vielleicht lag es auch bloß daran, da es in den letzten 150 Jahren kaum Musiker gab, die dieses Instrument zu spielen wußten. Und heute? Jeder Musikliebhaber kann auf Anhieb ein Dutzend Pianisten und mindestens ebenso viele Geigenvirtuosen aufzählen. Aber fragt man nach einem Trompeter, fällt mit Sicherheit nur ein Name: Maurice André.

Das Trompetenspiel von Maurice André loben, hieße Eulen nach Athen tragen. Deswegen die biographischen Daten in Stichworten: Geboren wurde Maurice André am 21. Mai 1933 im südfranzösischen Alès bei Nimes. Sein Vater war Bergmann, und so bedurfte es keiner Frage, daß der junge Maurice mit 14 Jahren denselben Beruf ergriff. Was aber entscheidender war: daß er bei seinem Vater, der selbst musikalischer Autodidakt war, das Trompetenspiel erlernte. Während seiner Militärzeit empfahl man ihm, sich am Pariser Musikkonservatorium zu bewerben. Nach einem Jahr schon erhielt er den Ehrenpreis für sein Kornettspiel und im folgenden Jahr den begehrten Konservatoriumspreis für Trompete. Maurice André wurde als Solotrompeter beim Orchestre Lamoureux und beim französischen Radio-Sinfonieorchester engagiert, bis ihm dann 1963 als Sieger des ARD-Wettbewerbs der Durchbruch zur Solistenkarriere gelang.

Andrés Repertoire reicht vom barocken Trompetenkonzert bis zur Moderne und zum Jazz. André Jolivet, Henri Tomasi und Boris Blacher haben Stücke für ihn geschrieben. Aber seine eigentliche Liebe gehört nach wie vor der barocken und klassischen Trompetenliteratur:

"Ich liebe in der Musik keine Experimente. Was ich den Menschen vermitteln will, ist Freude und Schönheit. Für mich ist Musik ein Vergnügen, vergleichbar einem erlesenen Menü. Ich kann Musik deshalb auch nicht wissenschaftlich betrachten und sie bis ins Detail sezieren. Eine solche Annäherung ist mir zu kalt - und vor allem: wenig künstlerisch."

Interpretation als sinnliches Vergnügen - abseits jeden wissenschaftlichen Anspruchs: Maurice André hält (zumindest was die Trompete angeht) wenig von der historischen Aufführungspraxis. Er spielt Alte Musik ausschließlich auf modernen Instrumenten, weil sie nach seinem Dafürhalten flexibler sind in der Tongestaltung, dynamischer in den Kontrasten und strahlender im Klang. Mit diesem ästhetischen Ideal hat er dem Trompetenspiel zu einem neuen Ansehen verholfen, das vor wenigen Jahrzehnten niemand für möglich gehalten hätte.

Um das beschränkte Repertoire zu erweitern, hat André eine große Zahl von Flöten-, Oboen- und Violinkonzerten für Trompete bearbeitet. Wer ob solcher Praktiken die Nase rümpft und mit dem Etikett "unseriös" bei der Hand ist, der sei daran erinnert, daß schon der ehrenwerte Thomaskantor Johann Sebastian Bach nicht davor zurückschreckte, die Violinkonzerte seines italienischen Kollegen Albinoni für die Leipziger Orgel umzuschreiben.

Auch Mozart hatte keine Skrupel vor solchen Umarbeitungen. 1777, wenige Tage, bevor er mit seiner Mutter die Reise nach Mannheim und Paris antrat, hatte er für den Oboen-Virtuosen Giuseppe Ferlendis auf die Schnelle ein Konzert fertiggestellt. In Mannheim nun erhält er einen ähnlich "lästigen" Auftrag:

"Ein holländer, der von seinen eigenen Mitteln lebt, ein liebhaber von allen wissenschaften, und ein großer freünd und bewunderer von mir, giebt 200 gulden, wenn ich ihm ein paar leichte und kurtze concertln auf die flötte mache."

Und so wird aus dem Oboenkonzert in C-Dur (KV 285d) kurzerhand ein Flötenkonzert in D-Dur (KV 314) - gleichsam als frühe Legitimation des Komponisten für die André'sche Trompetenfassung in As-Dur.

Rätsel gibt das Oboenkonzert auf, das ungefähr um das Jahr 1800 entstanden sein dürfte. Ist es von Haydn oder nicht? Manches deutet auf den großen Meister hin, doch was besagt das schon angesichts der Bekanntheit seiner Musik. Es gab durchaus pfiffige Kollegen, die sich bestimmte Charakteristika zu eigen machten und damit brillant umzugehen verstanden.

Vincenzo Bellini hat nur wenige Instrumentalkompositionen geschrieben, und fast alle entstanden in den Jahren 1819 bis 1825, als er am Collegio San Sebastiano in Neapel Musikunterricht nahm. Die Studien konzentrierten sich (wie an einem italienischen Konservatorium nicht anders zu erwarten) auf den Gesang, und Nicolò Zingarelli ermahnte seinen Schüler Bellini:

"Wenn Du Deine Kompositionen singen lassen kannst, kannst Du sicher sein, daß Deine Musik gefallen wird. Wenn Du aber stattdessen Harmonien, doppelten Kontrapunkt, Fugen, Kanons, Noten und Gegennoten anhäufst, so wird Dir die Welt allenfalls ein halbes Jahrhundert später Beifall spenden - oder auch nicht; das Publikum aber wird Dich tadeln. Denn es will Melodien, immer nur Melodien. Wenn Du Melodien schreibst, wird Dir der Erfolg sicher sein. Andernfalls endest du als Organist in irgend einem kleinen Nest."

Bellini hat diesen Rat beherzigt; auch seine Instrumentalkompositionen sind eher melodisch als kontrapunktisch gehalten, und bezeichnenderweise beschäftigt er sich vorwiegend mit den Blasinstrumenten und ihrer dem Gesang entlehnten Phrasierung.

Im 19. Jahrhundert waren Bearbeitungen, Transkriptionen und Potpourris das tägliche Brot der Komponisten. 1823 komponierte Johann Nepomuk Hummel als Opus 98

"ein sehr gefälliges und ansprechendes Notturno für Klavier zu vier Händen, mit zwei Hörnern ad libitum, welches den Liebhabern sehr willkommen seyn wird, da es nicht zu schwer und äußerst angenehm ist."

Als Opus 99 erscheint dann

"vorige Pièce, für die Oboe bearbeitet, einem Freund zuliebe - denn Sachen für dieses Instrument sind selten."

Ein Jahr später schließlich wird dasselbe Notturno angeboten unter dem Titel "Grands Variations pour hautbois [Oboe] avec orchestre". Und wäre Herr Hummel von einem befreundeten Trompeter gebeten worden, er hätte diese Variationen sicherlich auch für dieses Instrument bearbeitet.

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