Willi Boskovsky zum 80. Geburtstag (16.6.89) -
ein Geiger und Dirigent echten Wiener Geblüts

Dieser Beitrag ist entstanden als
Sendemanuskript für die DEUTSCHE WELLE, Köln
(Zentraldienst Musik, Sendung: 16.6.1989)

MUSIK 001:

Johann Strauß:
Donauwalzer op. 314.

EMI (LC 0542) CDC 7 47052 2
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Seit Jahrzehnten ist es zu Neujahr ein vertrautes Bild auf allen Fernsehkanälen - nicht nur in Europa, sondern weltweit, bis hin nach Amerika, Australien und Japan: Die prickelnde Sektlaune der Silvesternacht ist kaum verrauscht, da laden sich die Wiener Philharmoniker am Neujahrsmorgen via Fernsehen in die Wohnstuben ein, um den "Donau-Walzer", die heimliche Nationalhymne Österreichs nebst anderen Wiener "Schmankerln" darzubieten. Das Neujahrskonzert aus der österreichischen Bundeshauptstadt ist in all den Jahren zu einer Länder übergreifenden kulturellen Institution geworden, an der niemand mehr zu rütteln wagt - weder im Osten, noch im Westen.

Die berühmten Wiener Neujahrskonzerte sind untrennbar verbunden mit dem Namen des Dirigenten Willi Boskovsky, der heute seinen achtzigsten Geburtstag feiert. Auch wenn Boskovsky die Neujahrs-Konzerte nicht erfunden hat und sie schon seit fast einem Jahrzehnt nicht mehr leitet, so war er es doch, der ihnen über Jahre hinweg das eigentümliche, ja volkstümliche Gepräge gegeben hat; nicht zuletzt dadurch, da er den Mut hatte, eine alte Dirigier-Tradition wieder aufleben zu lassen: Wie seinerzeit der Walzerkönig Johann Strau verzichtet auch Willi Boskovsky bei solchen Anlässen auf den Dirigentenstab und leitet das Orchester mit dem Geigenbogen, seine Geige hält er locker in der linken Hand, um sie gelegentlich unters Kinn zu klemmen und mitzuspielen. Und doch ist es mehr als das; es ist vor allem sein untrügliches Gespür für den beschwingten tänzerischen Elan dieser Musik.

Boskovskys musikantische Spielfreude, sein Wienerischer Charme, gepaart mit Liebenswürdigkeit und Humor - all dies hat zu seiner weltweiten Popularität beigetragen. Und die Kompositionen von Lanner, Ziehrer oder der Strauß-Dynastie besäßen ohne ihn in der Welt der sogenannten klassischen Musik wohl kaum dieses Ansehen. Aber man tut ihm unrecht, wenn man Willi Boskovsky bloß als Sachwalter für die leichte Muse der Wiener Walzer-Seligkeit abstempelt.

Geboren wurde Boskovsky vor achtzig Jahren, am 16. Juni 1909. Mit fünf Jahren erhielt er von seiner Mutter den er sten Geigenunterricht und brachte es recht bald zu einem beachtlichen Können. Als 16-Jähriger erregte er - sogar im musikverwöhnten Wien - als Violinvirtuose erhebliches Aufsehen. Er spielte als Solist unter Bruno Walter, unter Furtwängler und Knappertsbusch, unternahm Konzert-Tourneen durch ganz Europa - und wurde dann, 1939, Konzertmeister der Wiener Philharmoniker und der Wiener Staatsoper.

Ein ungewöhnlicher Entschluß für einen gefeierten Virtuosen! Ein künstlerischer Rückschritt? - Es war wohl eher die Erkenntnis, daß der Solist in musikalischer Hinsicht auf dem Podium immer "einsam" bleibt, ein Einzelkämpfer, der sich gegen das Orchester im Rücken behaupten muß. Für Boskovsky aber bedeutet Musizieren: "ein Gespräch unter Gleichgesinn ten führen". Selbst, wenn er in den folgenden Jahren als Solist in Erscheinung getreten ist, so doch immer mit Werken, die einen Dialog ermöglichen mit dem Orchester und dem Dirigenten. Das brillante, selbstverliebte Feuerwerk, der virtuose Effekt haben ihn nie interessiert. Was ihn als Geiger reizte, waren die Violinkonzerte von Mendelssohn, Brahms - und vor allem Beethoven. Hören Sie einen Ausschnitt aus Beethovens Violinromanze in F-Dur, op. 50. Willi Boskovsky leitet hier als Solist das Wiener Mozart-Ensemble.

MUSIK 002:

Ludwig van Beethoven:
Romanze für Violine und Orchester F-Dur, op. 50.

DG (LC 0171) 6.42510

Was hier auffällt und was charakteristisch für Boskovskys Musizierweise insgesamt ist: Wie homogen der Klangkörper wirkt. Die Solo-Geige ist in das Orchester regelrecht eingebettet, sie wird zum integrativen Bestandteil des Gesamtklangs; kaum, da sie jemals als solistisches Instrument sich in den Vordergrund drängt. Es ist ein durch und durch kammermusikalisches Denken, was hier zum Vorschein kommt. Und so nimmt es nicht Wunder, daß Willi Boskovsky immer auch in verschiedenen Kammermusik-Ensembles in Erscheinung getreten ist. 1937 gründete er das weltberühmte "Boskovsky?Trio", das später zum Quartett und 1948 zum "Wiener Oktett" erweitert wurde. Mit diesem "Wiener Oktett" war es möglich, die wenig beachteten Nebenwerke der Kammermusik-Literatur zu auf einem hohen künstlerischen Niveau zu pflegen, wie etwa das Beethoven-Septett in Es-Dur, op. 20.

MUSIK 003:

Ludwig van Beethoven:
Septett Es-Dur, op. 20;
daraus: 3. Satz (Tempo di minuetto)

DG (LC 0171) 421 093-2

In den letzten Jahren ist ruhig geworden um Willi Boskovsky. Die Mitglieder des Wiener Oktetts haben sich - man muß sagen: leider - in alle Winde zerstreut; und mit dem Jahreswechsel 1981/82 hat Boskovsky aus gesundheitlichen Gründen auch die Leitung der Wiener Neujahrskonzerte aufgegeben. Dennoch: Wer ihn einmal erlebt hat, den Grandseigneur, wie er mit einem charmanten Lächeln und seinem Geigenbogen den Einsatz gibt, wie die Musik - wie von selbst - zu strömen anfängt, der kann sich schwerlich einen anderen Dirigenten für die Strauß'schen Walzer vorstellen.

MUSIK 004:

Johann Strauß:
Donauwalzer op. 314.

EMI (LC 0542) CDC 7 47052 2

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