Der Cellist Pablo Casals

Dieser Beitrag ist entstanden als Sendemanuskript
für den Deutschlandfunk, Köln
(Sendung: 23.7.1987 - "Historische Aufnahmen")

An seinem 85. Geburtstag wurde Pablo Casals von einem amerikanischen Verleger gedrängt, er solle doch nun endlich seine Autobiographie zu Papier bringen. Casals winkte damals bescheiden ab: Was habe er denn schon erlebt, als daß sich diese Mühe lohnen würde, und wer interessiere sich schon für die Erfahrungen eines alten Cellospielers. Im übrigen müsse er arbeiten und habe für derartigen Unsinn keine Zeit. Aber ganz so publicity-scheu, wie es den Anschein hat, war Casals nun doch nicht - im Gegenteil: Bereitwillig konnte er mit irgendwelchen wildfremden Journalisten stundenlang über sein Leben plaudern; und dann erzählte er ausführlich über seine Kindheit, über seinen künstlerischen Werdegang und seine Erfahrungen während der beiden Weltkriege. Und es störte ihn offenbar wenig, wenn immer wieder Photographen um ihn herum waren, die jeden seiner Schritte und jede Handbewegung von ihm festhielten, so daß es auch 14 Jahre nach seinem Tod noch eine wahre Flut von Casals-Bildbänden gibt, angesichts derer so mancher Stardirigent eigentlich vor Neid erblassen müßte.

Die vielleicht eindringlichsten Bilderfolgen sind dabei die, die Casals zeigen versunken im Spiel seiner vielgeliebten Cellosuiten von Johann Sebastian Bach: das Gesicht angespannt, konzentriert sich selbst zuhörend, und dann im nächsten Augenblick wieder versonnen jedem Ton nachlauschend. Alles bleibt in der Sphäre des Geistigen; von körperlicher Anstrengung oder von einem Ringen um die Bewältigung technischer Probleme ist nichts zu spüren. Was in diesen Bildern sichtbar wird, entspricht aufs Genauste dem, wie Pablo Casals die Musik Bachs auffaßte und interpretierte.

Casals' erste Beschäftigung mit dem Werk Bachs fand noch am Ende des vorigen Jahrhunderts statt, zu einer Zeit also, in der man dieser verinnerlichten und so wenig effektvollen Musik meist verständnislos gegenüberstand. Er war damals 14 Jahre alt, als er in einem Noten-Antiquariat auf eine Ausgabe der Bach'schen Suiten für Violoncello solo stieß. Daß einzige, was er bis dahin von diesen Kompositionen wußte, waren die damals üblichen, für unsere Zeit kaum begreiflichen Vorurteile: Die Suiten von Bach seien schlechtester Etüdenkram, allenfalls als Fingerübungen zu gebrauchen, aber ansonsten des Spielens nicht wert. In Casals jedoch entzündete diese Musik eine Liebe auf den ersten Blick. Zwölf Jahre lang arbeitete er an den Suiten, bevor er es wagte, sie in einem öffentlichen Konzert aufzuführen.

Musik-Nr.: 01
Komponist: Johann Sebastian Bach
Werk-Titel: Suite für Violoncello solo Nr. 1 G-Dur, BWV 1007
Interpreten: Pablo Casals (Violoncello)
Label: EMI (LC ____)
1C 147-00 892
<Track xx.> Gesamt-Zeit: 15:55
Archiv-Nummer: ____
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Für den Künstler Pablo Casals gab es zwei große Aufgaben: Zum einen war da sein Einsatz für die Cello-Suiten Bachs, von denen Sie soeben die erste in G-Dur gehört haben. Aber weitaus wichtiger war für ihn die Kultur seiner Heimat. Schwierig wurde es nur, wenn er den Begriff 'Heimat' fester umreißen sollte, denn Casals hatte mehrer Seelen in seiner Brust. Gegenüber dem spanischen Staat fühlte er sich als Katalane - für seinen Vornamen wählte er selbst immer die katalanische Form 'Pau' statt 'Pablo'. Aber er war doch soweit Spanier, daß er mit wahrer Liebe an dem spanischen Königshaus hing, obwohl er gleichzeitig die spanischen Republikaner bei ihren Bemühungen um eine demokratische Ordnung unterstützte. Als sich im spanischen Bürgerkrieg der Sieg des antirepublikanischen General Franco abzeichnete, emigrierte Casals nach Südfrankreich, in den Pyrenäen-Ort Prades. 1955 dann zog er auf die Insel Puerto Rico, von wo seine Mutter stammte. Sein geliebtes Spanien sollte er nicht mehr wiedersehen.

Nicht daß Casals' Patriotismus irgendwelche Einschränkungen seines Repertoires zur Folge gehabt hätten. Er spielte Beethoven, Bach und Brahms - auch noch, nachdem er während des Zweiten Weltkrieges geschworen hatte, nie mehr deutschen Boden zu betreten. Aber es fällt doch auf, daß er nach seiner Emigration aus Spanien verstärkt spanische Komponisten auf seine Programme setzte: Albeniz, Granados, de Falla. Und ähnlich, wie er zu Anfang des Jahrhunderts Bachs Cello-Suiten der Vergessenheit entrissen hatte, so weckte er jetzt das Interesse für einen ehemaligen Wahl-Spanier, für den Italiener Luigi Boccherini, der sich 1769 in Madrid niedergelassen hatte.

Aus dem Jahre 1937 stammt eine Aufnahme von Boccherinis Cello-Konzert in B-Dur, in der Pablo Casals begleitet wird von dem Symphonie-Orchester der BBC unter Leitung von Sir Landon Ronald. Hören Sie hieraus nun den zweiten Satz.

Musik-Nr.: 02
Komponist: Luigi Boccherini
Werk-Titel: Konzert für Violoncello und Orchester B-Dur
Auswahl: 2. Satz <Track xx.> 6:10
Interpreten: London Symphony Orchestra
Pablo Casals (Violoncello)
Ltg.: Sir Landon Ronald
Label: EMI (LC ____)
GR-700 63
<Track xx.> Gesamt-Zeit: 6:10
Archiv-Nummer: ____
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Casals war Idealist, und aus diesem Idealismus heraus müssen auch die Schwächen und Widersprüchlichkeiten seines Tuns erklärt werden. Als nach dem Zweiten Weltkrieg das Franco-Regime nicht weichen wollte und keine Nation sich für die Freiheit Spaniens einsetzte, weigerte sich Casals, jemals wieder öffentlich aufzutreten. Indes - nach drei Jahren des Schweigens erklärte er sich bereit, wenigstens in seinem Exil Prades zahlende Gäste zuhören zu lassen. Ein neues Sommer-Festival war geboren - ein Festival, das nach dem Willen seines Gründers nicht nur künstlerischen Ansprüchen genügen sollte, sondern auch als Demonstration für ein freies Spanien gedacht war. Aber es dauerte nicht lange, daß sich hier an der Grenze nach Spanien jene illustre Festspielgemeinde versammelte, die man auch in Bayreuth trifft und denen die politische Gesinnung des diktatorischen General Franco vielleicht gar nicht mal so unsympathisch war.

Aber unbeirrbar glaubte Casals, mit seinem Cello-Spiel doch noch die Weltläufte zum Besseren wenden zu können. Und so willigte er auch zu jenem vielbeachteten Konzert im Weißen Haus ein, das der damalige Präsident der Vereinigten Staaten, John F. Kennedy, angeregt hatte. Nicht der bloß ästhetische Kunstgenuß oder die virtuose Beherrschung eines Instruments sollte bei diesem Konzert im Vordergrund stehen, sondern der ethisch-humanitäre Charakter der Musik. Und so trat auch Casals nicht solistisch, sondern als Kammermusikpartner auf: mit dem Geiger Alexander Schneider und dem Pianisten Mieczyslav Horszowski. Hören Sie aus diesem Konzert, das am 13. November 1961 im Weißen Haus stattfand, von Felix Mendelssohn Bartholdy den ersten Satz aus dem Klaviertrio Nr. 1 in d-moll.

Musik-Nr.: 03
Komponist: Felix Mendelssohn-Bartholdy
Werk-Titel: Trio für Klavier, Violine und Violoncello Nr. 1 d-moll, op. 49
Auswahl: 1. Satz (Molto allegro ed agitato) <Track xx.> 9:55
Interpreten: Mieczyslaw Horszowski (Klavier)
Alexander Schneider (Violine)
Pablo Casals (Violoncello)
Label: CBS (LC 0149)
61 489
<Track xx.> Gesamt-Zeit: 9:55
Archiv-Nummer: ____
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Casals Hoffnungen, daß vielleicht das starke Amerika etwas für die Freiheit Spaniens und für den Frieden in der Welt erreichen könnte, erfüllten sich nicht - weder unter Kennedy noch unter seinen Nachfolgern. Und so spielte Pablo Casals auf seinem Cello weiter den Cant dels Ocells - den Gesang der Vögel, jenes katalanische Volkslied, dessen schwermütige Melodik zum Inbegriff der heimwehkranken spanischen Flüchtlinge geworden war. Hören Sie nun zum Abschluß diesen Gesang der Vögel, mit dem Casals auch sein Konzert im Weißen Haus beschlossen hat.

Musik-Nr.: 04
Komponist: Pablo Casals (Arr.)
Werk-Titel: 'El Cant dels Ocells' (Gesang der Vögel)
Interpreten: Pablo Casals (Violoncello)
Mieczyslaw Horszowski (Klavier)
Label: CBS (LC 0149)
61 489
<Track xx.> Gesamt-Zeit: 3:05
Archiv-Nummer: ____
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