Leos Janacek: Lachische Tänze

Dieser Beitrag ist entstanden für das
Programmheft der Triennale - Köln 1994

Spätestens seit Franz Liszt das musikalische "Zigeuner"-Idiom unter dem irrtümlichen Etikett ungarischer Folklore salonfähig gemacht hatte, gehörte es zum guten Ton romantischen Komponierens, der slawischen Volksmusik die Reverenz zu erweisen: Brahms komponierte 1867 das erste Heft Ungarischer Tänze für Klavier zu vier Händen, 1872 folgte Smetana mit den Tschechischen Tänzen, und Dvorák veröffentlichte 1886 die ersten acht Slawischen Tänze - Kompositionen allesamt, die wohl Volkstümlichkeit vorgaukeln, in Wirklichkeit aber reine Kunstprodukte sind. Erst Béla Bartók und Zoltan Kodály brachten den Mut auf, sich vorbehaltlos mit der bodenständigen Musikkultur ihres Landes auseinanderzusetzen - sowohl kompositorisch wie auch als musikalische Feldforscher. In diesem Spannungsfeld von Volksverbundenheit, Nationalstolz und Kunstwollen sind auch die Lachischen Tänze des tschechischen Komponisten Leoš Janácek anzusiedeln.

Janáceks Kindheit war durch Armut geprägt. Geboren wurde er 1854 als neuntes von dreizehn Kindern in dem mährischen Ort Hukvaldý, was soviel heißt wie "hoher Tannenwald". Knapp 600 Einwohner zählte das Dorf damals - Menschen, die sich ihren Lebensunterhalt vorwiegend mit der Schafzucht, als Leinenweber oder Tagelöhner auf den benachbarten herrschaftlichen Gütern verdienten. Janáceks Vater allerdings war zu jener Zeit schon der soziale Aufstieg geglückt: Er war Dorflehrer in Hukvaldý, was bedeutete, daß er des Sonntags in der Kirche auch das Amt des Organisten und Singschul-Lehrers innehatte. Es war eine bescheidene, enge Welt, in der Leoš Janácek aufwuchs. Die Schule von Hukvaldý beschrieb der Komponist fünfzig Jahre später in seinen Lebenserinnerungen als

"große Stube, die jüngeren saßen in der linken Hälfte, die Größeren rechts, zwei Schultafeln und in der Ecke ein Ofen, der allerdings meist kalt blieb im Winter, weil Brennstoff teuer war."

1865 dann erhielt der Elfjährige eine Freistelle im Augustinerkloster in der nahe gelegenen Stadt Brünn. Auch wenn Janácek in Brünn seine fundierte musikalische Ausbildung erhielt, ohne daß seine Eltern dafür Schulgeld zahlen mußten, so mochte er sich mit den Lebensbedingungen in dieser Stadt nie recht anfreunden. Für ihn war Brünn eine feindliche Stadt:

"Fremd waren mir die Menschen und wenig herzlich; fremd war auch die Schule, hart das Lager und härter noch das Brot."

Hinzu kam das Sprachenproblem: Die Bevölkerung von Brünn war überwiegend deutsch, während Janácek (wie auch die übrige mährische Bevölkerung) tschechisch fühlte und dachte. Mit fünfzehn Jahren schrieb er an seinen Onkel:

"Sie wissen nicht, wie ich die Deutschen hasse, die schon vor Jahrhunderten in unser Land eindrangen, um unsere Heimat in ihren Besitz zu nehmen und alles einzudeutschen."

Welche Bedeutung die Nationalitätenfrage für Janácek bis ins hohe Alter besaß, mag sich daraus erhellen, daß er sich zeitlebens weigerte, die Straßenbahn in Brünn zu benutzen, weil die Verordnungen und der Fahrplan nur auf deutsch und nicht auf tschechisch gedruckt wurden.

Warum all diese Episoden? - Weil Janáceks eigentümliche musikalische Sprache sich vor allem aus dem tschechischen Nationalstolz, aus dem Aufbegehren gegen die jahrhundertelange Unterdrückung speist. Zwar besaßen auch Komponisten wie Smetana und Dvorák ein ausgeprägtes Heimat-Empfinden, aber wenn sie böhmisches und mährisches Volksliedgut in ihren Kompositionen verwandten, so bewegten sie sich doch immer im Rahmen der herrschenden musikalischen Konvention und unterwarfen sich den Traditionen, die von Italien und Deutschland aus gespeist wurden.

Seit Mitte der achtziger Jahre begann Janácek, im nördlichen Mähren Volkslieder zu sammeln, die er dann 1889 zur Grundlage seiner sechs Lachischen Tänze machte. Der Titel Lachische Tänze (oder ursprünglich Walachische Tänze) verweist auf die Walachei, die ostmährische Grenzlandschaft zur Slowakei, wobei die Lachei den engeren Bezirk um Janáceks Geburtsort Hukvaldý bezeichnet. Stilistisch bilden Janáceks Lachische Tänze eine Art mährisches Pendant zu Dvoráks Slawischen Tänzen, vor allem in der ausladenden Instrumentation und harmonische Gestaltung. Doch während Dvorák lediglich die charakteristischen Rhythmen einiger böhmischer Tänze aufgriff, ansonsten aber lieber seiner eigenen "slawischen" Erfindungsgabe vertraute, orientierte sich Janácek stärker am Original, indem er die lachischen Melodien weitgehend unangetastet ließ, sie allenfalls mit kleinen Abweichungen versah und durch Gegenmelodien anreicherte.

  1. Starodávný I (Der Altertümliche) - Janácek verbindet hier nach Art eines Rondos zwei lachische Tänze: den eigentlichen Starodávný (Der Altertümliche), einen Hochzeitstanz mit Polonaisencharakter, und den Tanz ŠÃ¡te kový; (Tüchleintanz), bei dem ein einzelner Tänzer einen mit Bändern reich geschmückten Stock in der Hand hält, bis sich ihm eine Partnerin zugesellt.

  2. Pozehnaný (Der Gesegnete) ist ebenfalls ein Hochzeitstanz. Janácek greift hier auf eine originale Volksmelodie aus Karlovice zurück und bettet sie in ein in den vollen Klang eines Hörner-Quartetts. Charakteristisch für diesen Tanz (wie auch für zahlreiche andere Tänze aus der lachischen Region) ist das ständige Wiederholen eines einzelnen melodischen Motivs, das in immer neue harmonische Beleuchtung gerückt wird. Der Satz endet mit Orgel- und Glockenklängen, was ihm eine eigentümlich feierlich-sakrale Aura verleiht.

  3. Der Dymák - wörtlich Blasebalg, auch Schmiedetanz genannt - ist zum Unterschied zu den zwei vorangegangenen Tänzen ein feuriger und rascher Tanz. Der energische Rhythmus steigert sich bis zum Prestissimo, so daß das orchestrale Geschehen in der Tat zu einer feurigen, wie ein Blasebalg fauchenden Symphonie der Schmiedewerkstätte wird.

  4. Starodávný II (3/4, Moderato) greift nochmals die "altväterliche" Ländler-Gemessenheit des ersten Satzes auf. Der langsame, elegische Tanz im Polonaisen-Charakter changiert poesievoll zwischen Dur und Moll und zitiert dabei das lachische Volkslied "A já zarmucena" (Wie bin ich betrübt).

  5. Celadenský ist ein rascher Tanz, der in dem Ort Celadná als "Bettlertanz" bekannt ist. Nachdem die Oboe die Allegro-Melodie vorgestellt hat, entwickelt Janácek hieraus fünf Variationen. Ähnlich wie im zweiten Tanz (Pozehnaný) wird das Grundmotiv ständig wiederholt und dabei in immer neue Akkordverbindungen und Klangfarben eingebettet.

  6. Pilky (Die Sägen). Dieser Tanz ist einer der beliebtesten lachischen Tänze. Die Melodie gehört zu einem Tanzlied, in dem das Holzschneiden für den Winter besungen wird. Der Tanz ist in dreiteiliger Form gebaut, den kontrastierenden Mittelteil bildet ein rascher Dymák mit jagenden Flötenskalen. Janácek fügt nochmals einen Mollteil an und steigert den Zyklus durch Tempobeschleunigung schließlich zu einem effektvoll-brillanten Finale.

Die Uraufführung der Lachischen Tänze fand erst mit erheblicher Verspätung, am 19. Februar 1925, in Brünn statt, da Janácek den Zyklus ursprünglich in sein Ballett Rákoš Rákoczy eingebaut hatte, für das er allerdings über Jahre hinweg keine Interessenten fand. Nachdem er den Tanz-Zyklus aus dem Ballett herausgelöst hatte, avancierten die Lachischen Tänze innerhalb kürzester Zeit zu einem Lieblingsstück des tschechischen Publikums. 1928, wenige Monate vor seinem Tod, erinnerte Janácek sich in einem Feuilleton-Aufsatz nochmals seiner frühen Folklore-Ausflüge:

"Im Tal, unterhalb des Hukvalder Schlosses stand das Wirtshaus 'u Harabasu' - mit einem Steinwurf hätte man es umwerfen können. In den Wirtshäusern Rauch und Dunst, so dicht, daß man ihn schneiden konnte. Die Stube vollgepfercht mit Volk, schwitzenden, geröteten Gesichtern, Mädchen, jungen Burschen, Weibern, die ihre Kinder in den Armen halten. Alles bewegt sich, neigt sich, wirbelt - Leidenschaft des Tanzes. Es scheint mir, als ob ihr, Flüßchen der Lachei, mit den Rhythmen dieser Tänze dahineiltet, von fernen Urzeiten bis heute [...]. Zum Lobpreis des Geburtslandes, meiner Lachei, wird die Partitur voller flimmernder Noten, voller scherzender Melodien, schwatzender und besinnlicher, in die Welt gehen. Möge sie Fröhlichkeit säen und Lächeln auf die Wangen zaubern!"

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