Giovanni Pierluigi da Palestrina zum 400. Todestag

Dieser Beitrag ist entstanden als Sendemanuskript
für den Süddeutschen Rundfunk, Stuttgart
(Sendung: Alte Musik kommentiert, 1.2.1994)

Musik-Nr.: 01
Komponist: Giovanni Pierluigi da Palestrina
Werk-Titel: Missa Papae Marcelli
Auswahl: Kyrie (Ausschnitt) <CD 2, Tr. 8-1.> 1:35
Interpreten: Tallis Scholars
Ltg.: Peter Phillips
Label: Gimell (LC ____)
CDGIMB 400
<CD 2, Tr. 8-1.> Gesamt-Zeit: 1:35
Technik: ausblenden bis 1:35

Legenden leben lange - nicht zuletzt deswegen, weil eine schöne, einprägsame Anekdote sich leichter erzählen läßt als den verschlungenen Pfaden der Wirklichkeit nachzuspüren. So begegnet einem auch in der Musikgeschichte immer wieder das Märchen vom Papst, der in der Mitte des 16. Jahrhunderts den mehrstimmigen Gesang aus der Kirche verbannen wollte, und dem Komponisten, der dies in letzter Minute zu verhindern wußte. Die handelnden Personen dieser Legende sind Papst Pius IV. und auf der Musikerseite Giovanni Pierluigi Palestrina.

Der Papst, so heißt es, habe 1562, während des Konzils in Trient, daran Anstoß genommen, daß die polyphonen Meßkompositionen ein Verstehen der liturgischen Texte unmöglich mache, worauf Palestrina in einer Nacht eine Messe komponiert habe, die dem Oberhaupt der katholischen Kirche das Gegenteil bewies. Bei der Musik soll es sich um die sogenannte "Missa Papae Marcelli" gehandelt haben: der Messe zum Gedenken an Papst Marcellus II., der sieben Jahre zuvor, 1555, nach nur 22tägiger Amtszeit gestorben war.

Aber hier beginnen auch schon die Fragezeichen: Warum hätte Palestrina ein solch wichtiges Werk dem Andenken an einen vergleichsweise unbedeutenden Papst widmen sollen? Dessen weltliche Sinnenfreuden dem Nachfolger Papst Pius zudem ein Dorn im Auge waren? Und entspricht die "Missa Papae Marcelli" wirklich dem, was den kirchenmusikalischen Reformern an Klangideal vorschwebte?

Der tatsächliche Hergang gestaltete sich (wie sonst in der Geschichte auch) wohl ein wenig komplizierter: Kritik an den Meßkompositionen war schon in der erten Hälfte des 16. Jahrhunderts laut geworden, als das kunstvolle polyphone Stimmengewirr immer undurchdringlicher wurde und die Komponisten sich einen Spaß daraus machten, die Melodien von Kriegs- und Liebesliedern zur Grundlage der liturgischen Musik zu machen.

Aber es gab auch damals schon Ansätze einer Gegenbewegung: hin zu einfacheren Vokalsätzen - zumindest für jene Passagen, in denen das Verständnis des Textes, wie etwa im Glaubensbekenntnis, im Vordergrund steht. Auch Palestrina unterschied in seiner "Missa Papae Marcelli" sehr wohl zwischen "inhaltsschweren" Passagen und solchen, die einen eher hymnischen Charakter besitzen. So wechseln im "Gloria" und "Credo" homophone Wortdeklamation und polyphone Vielfalt je nach dogmatischer Bedeutung miteinander ab; wohingegen er im "Sanctus" und "Benedictus" alle Register der kontrapunktischen Satzkunst zieht - als sei es Sinn und Ziel einer Meßfeier, den liturgischen Rahmen für musikalische Prachtentfaltung zu liefern.

Daß der (für seine rigiden Ansichten bekannte) Papst Pius IV. ausgerechnet diese klangschwelgerische Komposition als das Maß aller kirchenmusikalischen Dinge empfand, ist kaum anzunehmen. Wahrscheinlich gehörte die "Missa Papae Marcelli" seit Jahren schon zum Repertoire der päpstlichen Kapelle, und Besseres ließ sich (auch nach Meinung von Palestrinas Zeitgenossen) schwerlich auftreiben. - Hier nun das "Gloria" und "Sanctus" aus der "Missa" in einer Aufnahme mit den Tallis Scholars unter der Leitung von Peter Phillips.

Musik-Nr.: 02
Komponist: Giovanni Pierluigi da Palestrina
Werk-Titel: Missa Papae Marcelli
Auswahl: Gloria
Sanctus
<CD 2, Tr. 9.>
<CD 2, Tr. 11.>
6:17
7:40
Interpreten: Tallis Scholars
Ltg.: Peter Phillips
Label: Gimell (LC ____)
CDGIMB 400
<CD 2, Tr. 9.11.> Gesamt-Zeit: 13:57

Vor 400 Jahren, Am 2. Februar 1594, ist Giovanni Pierluigi da Palestrina im Alter von 74 Jahren gestorben. Seine Lebensstationen: Als Neunjähriger wird er 1534 Chorknabe der Kapelle von Santa Maria Maggiore in Rom, 1551 ernennt ihn Papst Julius III. zum Kapellmeister an St. Peter, vier Jahre später wird er von Papst Paul IV., dem Nachfolger des kunstsinnigen Papstes Marcellus, wieder entlassen. Immer neue Stellen tritt Palestrina an - je nachdem, welche Gemeinde in Rom ihm das beste Angebot macht; zwischendurch führt er die Geschäfte im Pelzhandel seiner Frau, er betätigt er sich als "Maestro di concerto" in Ferrara bei dem Kardinal Ippolito d'Este und knüpfte Kontakte nach Mantua und Wien.

In all den Jahren schrieb Palestrina 104 Meßkompositionen, über 330 Motetten, Dutzende Offertorien, Litaneien, Psalmvertonungen und Lamentationen und knapp 200 Madrigale - ein Oeuvre, das an Umfang kaum zu überbieten ist. Die Zeitgenossen und nachfolgenden Generationen sprachen voller Bewunderung über den sogenannten Palestrina-Stil, in der historischen Musikforschung nimmt Palestrina seit jeher eine zentrale Rolle ein, und Richard Wagner zitierte im "Karfreitagszauber" seines "Parsifal" als sakrales Moment Palestrinas "Stabat mater".

Aber sosehr der Name "Palestrina" im musikgeschichtlichen Bewußtsein verankert sein mag, so wenig ist sein Werk im tatsächlichen Musikleben präsent: Es gibt hierzulande offensichtlich nicht viele Chöre, die bereit sind, sich mit diesem eher kontemplativen Klangcharakter auseinanderzusetzen (wo doch die Chorsätze der Barockzeit viel mehr Effekt machen), zumal der rein vokale a-capella-Satz ohne instrumentale Unterstützung auch manche Tücken birgt. So sind es vor allem englische Vokal-Ensembles, die sich mit Palestrinas Musik beschäftigen, aber eine halbwegs umfassende Werkschau liegt bislang nicht vor: Zumindest die die Unzahl von Madrigalen und Motetten dürfte noch für manche musikalische Überraschung gut sein.

1584 veröffentlichte Palestrina sein viertes Buch mit Motetten, dessen Texte dem sogenannten "Hohelied" (den Liebesliedern Salomos) entnommen sind. Im Vorwort an Papst Gregor XIII. bekennt Palestrina sich schuldig, daß er in seinen "besten Jahren" seine Kunst auf weltliche Liebesgedichte verschwendet habe, die "jedem gottesfürchtigen Denken fremd" seien. Demzufolge habe er nun Gedichte vertont, die "zum Lobpreis unseres Herrn Jesus Christus und seiner heiligsten Mutter, der Jungfrau Maria, geschrieben" wurden.

Hier nun aus dem "Hohelied" die 3 Motetten "Erhebe Dich, meine Freundin" - "Der Geliebte ist mein" und "Ich will ihn suchen, den meine Seele liebt". Es singt das Hilliard Ensemble unter der Leitung von Paul Hillier.

Musik-Nr.: 03
Komponist: Giovanni Pierluigi da Palestrina
Werk-Titel: Canticum canticorum
Auswahl: Surge amica mea
Dilectus meus mihi
Surgam et circuibo civitatem
<CD 1, Tr. 16.>
<CD 1, Tr. 17.>
<CD 1, Tr. 18.>
2:33
2:30
1:57
Interpreten: xx
Label: EMI (LC 0542)
____
<CD 1, Tr. 16.17.18.> Gesamt-Zeit: 7:00
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