Komm in die Gondel, mein Liebchen

Venezianische Affairen und Amouren

Dieser Beitrag ist entstanden als Sendemanuskript
für den Westdeutschen Rundfunk, Köln
(Sendung: 1988 - Musik vom Kommentar begleitet)

Musik-Nr.: 01
Komponist: Jacques Öffenbach
Werk-Titel: Les Contes d'Hoffmann
Auswahl: Venedig-Bild, Entr'acte und Barcarole
"Belle nuit, o nuit d'amour"
<CD 2, Track 11.> 3:45
Interpreten: Elisabeth Schwarzkopf (Giulietta)
Choeur René Duclos
Orchestre de la Société des Concerts du Conservatoire
Ltg.: André Cluytens
Label: EMI (LC 0542)
1C 30-3562-64
<CD 2, Track 11.> Gesamt-Zeit: 3:45
Archiv-Nummer: ____
Technik: Folgendes ZITAT nach __:__ über die MUSIK einblenden
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Lieber Freund!

Was die Zahl der venezianischen Kurtisanen anbetrifft, so ist dieselbe sehr groß. Man nimmt an, daß es wenigstens 20.000 jener Damen gibt, zur Zeit des Karnevals mögen es allerdings doppelt so viele sein. Die Anziehungskraft dieser so überaus huldreichen Damen lockt die Besucher aus den entferntesten Gebieten der Christenheit, um hier in Vendig den Anblick ihrer Schönheit zu genießen und ihre gefälligen Tändeleien auszukosten. Sie haben so viele Köstlichkeiten darzubieten, daß es ihren Liebhabern an nichts fehlen kann, was zu den Wonnen des Lebens gereicht. Ihr Atem und ihr ganzer Körper ist, um Dich noch verliebter zu machen, höchst wohlriechend parfümiert. Fernerhin verstehen sie es, einen Mann durch Lautenspiel zu entzücken oder ihn mit dem süßen Klang ihrer Stimme zu verführen. Und selbst wenn Du der Liebe überdrüssig bist, so wirst Du in einer auserlesenen venezianischen Kurtisane eine gewandte Gesprächspartnerin finden, die Deine Standhaftigkeit, wenn alle anderen Reizmittel versagt haben, mit ihrer Redefertigkeit bestürmen wird.

Soweit der englische Italien-Reisende Thomas Coryate im Jahre 1608. In der Tat besaßen die venezianischen Kurtisanen außerhalb der Stadtgrenzen einen überaus guten Ruf. So reiste Heinrich III. von Frankreich verschiedene Male eigens nach Venedig, um eine gewisse Veronica Franco zu besuchen, die sich nicht nur als Kurtisane, sondern auch als Dichterin einen Namen gemacht hatte. Die Geliebte des scharfzüngigen Pietro Aretino wußte Gedichte von Boccaccio und Petrarca zu rezitieren und kannte sich auch in der lateinischen Dichtkunst aus.

Und die Kurtisane Barbara Strozzi war im 17. Jahrhundert eine angesehene Komponistin und Sängerin. Sie genoß die Gunst Ferdinands des Dritten von Österreich, sie pflegte einen regen Gedankenaustausch mit den spanischen und englischen Gesandten und war mit dem Herzog von Braunschweig ebenso innig befreundet wie mit dem ansonsten recht sittenstrengen Dogen Nicolò Sagredo. All diese Herren ermöglichten ihr zwar ein sorgenfreies und unbeschwertes Leben. Aber Vorsicht war dennoch geboten bei einen solchen Umgang, denn der Rat der Stadt Venedig mißtraute prinzipiell jedem, der sich allzu intensiv mit Fremden einließ - zumal, wenn es sich dabei um ausländische Potentaten handelte. Und so tat Barbara Strozzi (sehr zum Leidwesen der Musikhistoriker) das einzig vernünftige, was eine Frau in ihrer Lage tun konnte: Sie verbrannte alle an sie gerichteten Briefe, sobald sie sie gelesen hatte. - Oder steckte doch mehr dahinter? 1664 nämlich taucht ihr Name im Zusammenhang eines Spionageprozesses auf: Sie wurde verdächtigt, dem französischen Agenten François Gibrot zur Flucht verholfen zu haben. Zwar beteuerte sie glaubhaft ihre Unschuld, und die Justiz ließ sie von nun an unbehelligt; aber wenige Monate später verliert sich ihre Spur, nachdem sie noch eine Ariensammlung veröffentlicht hat. Was aus Barbara Strozzi geworden ist: ob sie sich nach diesem peinlichen Zwischenfall vom gesellschaftlichen Leben in Venedig zurückgezogen hat, oder ob an den Beschuldigungen doch etwas dran war und sie ein Opfer der geheimen venezianischen Inquisition geworden ist, läßt sich nicht mehr feststellen.

Musik-Nr.: 02
Komponist: Barbara Strozzi
Werk-Titel: Non ti doler mio cor
Interpreten: Teresa Berganza
Label: Claves (LC ____)
50-8206
<Track xx.> Gesamt-Zeit: 2:55
Archiv-Nummer: ____
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Bei aller schöngeistigen Bildung der Kurtisanen sollte man nicht übersehen, daß Sitte und Anstand insgesamt wenig zählten in Venedig. Das ausschweifende Leben, das meist bis in die frühen Morgenstunden dauerte, war den Moralisten ein Dorn im Auge. Und nicht wenige von ihnen gaben der Musik die Schuld, wie auch Tommaso Garzoni in seinem 1589 erschienenen Schauplatz aller Berufe dieser Welt. - In dem Kapitel über Kuppler und Kupplerinnen heißt es unter anderem:

Man braucht sich nicht zu wundern, daß die Musik in so schlechtem Ansehen steht. Denn allzuoft wird die Jugend durch Gesänge erfreut, die das Herz empfänglich machen für jede Sinnlichkeit. Unsere heutige Musik verdirbt den Anstand und das gute Benehmen, sie erfüllt die Seele mit heißer Leidenschaft und verführt den Geist zu fleischlichen Gelüsten schändlichster Art. Da wird die Laute gespielt zu Liebesgesängen. Man wird zu Bällen und zu Tänzen eingeladen, wo sich die Sinne unentwegt im Kreise drehen; die Küsse werden immer leidenschaftlicher, die Worte immer heimlicher, und manch junges Mädchen wird an dunklen Plätzen zu schamlosen Handlungen verführt.

Immer wieder versuchte der Rat der Stadt, wenigstens dem Laster der Prostitution mit Auflagen und drastischen Strafen Einhalt zu gebieten. Es wurden Kleidervorschriften für Kurtisanen erlassen, es gab Aufenthaltsbeschränkungen für sie und eine spezielle Liebessteuer vergeblich: Venedig blieb bis weit ins 18. Jahrhundert das Paradies der Liebeshungrigen.

Prostitution und der Lebenswandel der Kurtisanen war aber nicht nur in den Ratsversammlungen ein unerschöpfliches Thema. Kaum hatte 1637 das erste Opernhaus in Venedig seine Pforten geöffnet, da bemächtigten sich auch schon die Komponisten dieses frivolen Sujets. Daß es allerdings ausgerechnet ein Musiker in kirchlichen Diensten war, der dem lasterhaften Leben des Kaisers Nero und seiner Maitresse Poppea ein Denkmal setzte, entbehrt dabei nicht einer gewissen Pikanterie.

Claudio Monteverdi, seines Zeichens Kapellmeister an San Marco, verzichtet in seiner Krönung der Poppea auf die bis dahin obligatorischen strahlenden Helden und hehren Gestalten der antiken Mythologie. Diesmal siegen nicht Tugend und Gerechtigkeit, die Oper ist vielmehr ein Triumph der Leidenschaft. Weil Poppea es so wünscht, muß der Philosoph Seneca Selbstmord verüben, und die rechtmäßige Kaiserin Ottavia wird des Landes verwiesen - bis schließlich der ehelichen Verbindung zwischen Nero und seiner Geliebten nichts mehr im Weg steht.

Musik-Nr.: 03
Komponist: Claudio Monteverdi
Werk-Titel: L'incoronazione di Poppea
Auswahl: III. Akt, 8. Szene. Duett (Finale)
"Pur ti miro"
<CD 4, Track 11.> 4:15
Interpreten: Helga Müller-Molinari (Poppea);

René Jacobs (Nerone)
Konrad Junghänel (Laute).
Label: HMC (LC 7045)
90 1129
<Track xx.> Gesamt-Zeit: 4:15
Archiv-Nummer: ____
Technik: MUSIK einblenden bei 10:30
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Wie die Opernvorstellungen zu Monteverdis Zeiten abgelaufen sein mÜssen, schildert ein Bericht aus der Mitte des 17. Jahrhunderts:

Man kann sich nicht vorstellen, wieviele Menschen in der Oper bloß mit Geld-Einnehmen beschäftigt sind. Einige vermieten auf dem Markusplatz die Logen, einer steht beim Eingang ins Theater und ruft einem anderen im Parterre zu, wieviele Personen er einlassen könne. Zwei Kassierer sitzen ferner außer dem Theater und ein Dritter sammelt während der Vorstellung in den Logen das Geld ein von denjenigen, die sich der Stühle bedienen. Will man in eine Loge, so weist einer den Weg da hin, ein Anderer schließt die Türe auf, ein Dritter bringt Pölster, ein Vierter Opernbüchlein - und jeder verlangt ein Trinkgeld. Nach ihnen kommen die Caffetieri und Aufwärter und tragen Erfrischungen und Speisen jeder Art an. Sie lassen ihre Stimmen durch das ganze Haus erschallen und stören durch ihre Kaufrufe fortwährend die Vorstellung. Im Parkett sieht man nur wenig Leute, weil man dort nie vor Speichel und Unrat sicher ist, die aus den Logen geworfen werden - eine verabscheuungswürdige Gewohnheit, wie man sie nur in Venedig findet.

Doch zurück zu dem, womit sich die Venezianer beschäftigten, wenn sie gerade nicht die Oper besuchte. Und wenn man es recht betrachtet, hatten die Venezianer diese Art der Unterhaltung eigentlich gar nicht nötig, denn das venezianische Leben und die gesamte venezianische Geschichte sind letztlich ein einziger Opernstoff, wie man ihn sich dramatischer nicht ausdenken kann. Da wurde zum Beispiel 1454 die 14jährige Caterina Cornaro mit König Johann dem Zweiten von Zypern verheiratet. Es war eine jener politischen Eheschließungen, bei denen Liebe keine Rolle spielt. Denn sowohl den Eltern Cornaro (wie auch der Stadt Venedig) ging es nur darum, auf der Insel Zypern Fuß zu fassen.

Donizetti und sein Librettist Giuseppe Sacchero haben in dieses politische Hochzeits- und Intrigen-Schachspiel noch eine weitere Person eingeführt: den Verlobten Gerardo, der im Begriff ist, Caterina zu heiraten. Doch am Vorabend der Hochzeit wird Caterina vom Rat der Stadt Venedig gezwungen, dieses Eheversprechen zugunsten des Königs von Zypern zu lösen. Caterina bleibt gar nichts anderes übrig als einzuwilligen, denn sie weiß: Sollte es mit Gerardo Schwierigkeiten geben, wird er - wie so viele andere vor ihm - aus Gründen der Staatsraison beseitigt. Und so gibt sie ihrem Verlobten schweren Herzens den Laufpaß.

Musik-Nr.: 04
Komponist: Gaetano Donizetti
Werk-Titel: Caterina Cornaro
Auswahl: Prolog, 2. Szene - Duett (Finale)
"Avvertirlo io potessi!"
<CD 1, Track 8.> 8:05
Interpreten: Montserrat Caballé (Caterina)
Giacomo Aragall (Gerardo)
Orchestre lyrique de l'ORTF
Ltg.: Gian-Franco Masini
Label: Rodolphe (LC ____)
RPC 32474
<CD 1, Track 8.> Gesamt-Zeit: 8:05
Archiv-Nummer: ____
Technik: MUSIK ausblenden bei 8:05 (>> Applaus)
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Das Ende von Donizettis Oper: Auf Zypern versöhnen sich schließlich die beiden Nebenbuhler - der Ex-Verlobte Gerardo und Caterinas Ehemann König Johann. Als der venezianische Gesandte dann eine Rebellion anzettelt, um den König zu stürzen, werden Gerardo und Johann in einer dramatischen Schlacht tödlich verwundet.

Die Wirklichkeit war weniger pathetisch. Caterinas Gatte starb nach einem Jahr Ehe unter mysteriösen Umständen, und vieles deutet darauf hin, daß wieder einmal die berüchtigten venezianischen Giftmischer wieder einmal am Werk gewesen waren. Jedenfalls mußte Caterina nach dem Tod ihres Gatten die zypriotische Krone an Venedig abtreten, durfte aber unter dem nichtssagenden Titel einer Herrin von Asolo weiterhin auf der Burg in Nikosia wohnen bleiben - mit einem Hofstaat von achtzig Bediensteten, einem Papagei und zwölf Ehrendamen.

Venedigs Engagement in Zypern sollte indes weitreichende Folgen haben zumindest für die Literatur- und Operngeschichte. 1566 veröffentlichte der Schriftsteller Giambattista Giraldi die Novelle von einem venezianischen Mohren, der Befehlshaber auf Zypern geworden war. Dieser Mohr ersticht aus Eifersucht (und weil er den Einflüsterungen eines intriganten Freundes glaubt) zu guter Letzt seine Frau Desdemona. Die Moral für die Väter: Nennt Eure Töchter niemals Desdemona, was Übersetzt heißt "die Unheilvolle"! - Und für die Ehemänner: Glaubt nie, was andere über Eure Frauen Schlechtes reden!

Giraldis Novelle wäre wohl längst in Vergessenheit geraten, hätte Shakespeare sie nicht 1604 zu einem glutvollen Eifersuchtsdrama umgearbeitet. Erst bei Shakespeare erhalten die Männer ihre bekannten Namen: Aus dem venezianischen Mohren wird Othello; seine Untergebenen heißen Rodrigo, Cassio und Jago. Und erst jetzt werden auch die Charaktere scharf umrissen: Trugen in Giraldis Novelle der Mohr und sein Freund noch beide gleichermaßen schurkische Züge, so konzentriert sich das Moment des BÖsen nunmehr ausschließlich auf den hinterhältigen Jago. Othello aber wird unversehens zum willenlosen Spielball des Intrigenspiels. In dem Maße, wie die Eifersucht in seinem Herzen nagt, zerbricht die Fassade von Selbstdisziplin und Rechtschaffenheit. Zum Vorschein kommt ein unbeherrschter, bis zur Ohnmacht jähzorniger Gewaltmensch, der auch seiner Ehefrau gegenüber kein Mitleid kennt.

Und Desdemona? Sie erscheint die ganze Zeit hindurch als Engel, ohne Fehl und Tadel, geduldig wie ein Lamm - selbst dann noch, als Othello sie eine "verruchte Hure" schimpft.

Musik-Nr.: 05
Komponist: Giuseppe Verdi
Werk-Titel: Otello
Auswahl: 3. Akt, 2. Szene (Part. S. 308,4 - 346,6) ab:
"Dio ti giocondi ..."
bis: "... la sposa d'Otello"
<Track xx.> 9:50
Interpreten: Carlo Cossutta (Otello)
Margaret Price (Desdemona)
Wiener Philharmoniker
Ltg.: Georg Solti
Label: Dec (LC 0171)
35 420
<Track xx.> Gesamt-Zeit: 9:50
Archiv-Nummer: ____
Technik: MUSIK-Beginn in den letzten Absatz einblenden
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Intrigen zu spinnen war offensichtlich ein beliebtes Gesellschaftsspiel in Venedig - vor allem wenn es um Macht und politischen Einfluß ging. Und nicht selten endete das Spiel für eine der Parteien in den sogenannten "Bleikammern", den berüchtigten Gefängniszellen unter dem bleigedeckten Dach des Dogenpalastes. Im Sommer war es hier unerträglich heiß, und im Winter holten sich die meisten Gefangenen eine Lungenentzündung. Des öfteren liest man, daß Niccolò Paganini seine Frau ermordet habe und deswegen mehrere Jahre in den Bleikammern habe zubringen müssen, aber dieses Gerücht entbehrt jeder Grundlage. - Anders bei Giacomo Casanova: Er verbrachte 14 Monate hier, bis ihm schließlich die Flucht gelang. Der Grund für seine Verhaftung: Er besaß kabbalistische Bücher und wurde beschuldigt, die Jugend zur Hexerei verführt zu haben.

Wer Glück hatte, kam harmloser davon. Mißliebige Priester und Mönche etwa sperrte man zum Ergötzen der Bevölkerung in einen Käfig, der dann in luftiger Höhe am Campanile des Markus-Platzes aufgehangen wurde. So mußte ein wegen Unzucht und Falschmünzerei verurteilter Priester ein ganzes Jahr dort oben verbringen, bis sich herausstellte, daß er Opfer einer Verwechslung geworden war.

Wie dem auch sei: Die venezianische Justiz arbeitete jedenfalls schnell und - wenn auch nicht immer gerecht - so doch lautlos. Vor allem die Inhaber der höchsten Staatsämter führten ein gefährliches Leben: Bis zum Jahre 1172 waren von 50 Dogen 19 getötet, verbannt oder verstümmelt worden. Später ging man mit den (zumeist älteren) Herren behutsamer um: Man schor ihnen den Bart und das Kopfhaar und schickte sie dann ins Kloster.

Aber auch die Dogen selbst waren nicht zimperlich, wenn es darum ging, Ansprüche durchzusetzen und Konkurrenten auszuschalten. Besonders verbissen bekämpften sich im 15. Jahrhundert der Doge Francesco Foscari und sein Rivale Pietro Loredano. Weil Loredano die Politik des Dogen Foscari andauernd behinderte, versuchte Foscari seinerseits, den Widersacher mit einer Dosis Gift zu beseitigen. Aber auf der Strecke blieben bedauerlicherweise nur die beiden Söhne Loredanos. Loredano sann auf Rache und klagte Foscaris Sohn Jacopo als Landesverräter an. In einem Schauprozeß wurde Jacopo schuldig gesprochen und aus der Stadt verbannt. Als er Jahre später heimlich nach Venedig zurückkehrt, um Frau und Kinder einmal wiederzusehen, wird er erneut ergriffen und wartet nun in den Bleikammern, von Angst- und Fieberträumen geschüttelt, auf sein Urteil.

Musik-Nr.: 06
Komponist: Giuseppe Verdi
Werk-Titel: I due Foscari
Auswahl: 2. Akt, 1. Szene
"Notte! perpetua notte"
<Track xx.> 5:35
Interpreten: José Carreras (Jacopo)
Sinfonieorchester des ORF
Ltg.: Lamberto Gardelli
Label: TEl (LC 0305)
6700 105
<Track xx.> Gesamt-Zeit: 5:35
Archiv-Nummer: ____
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Gift war ein wichtiger Bestandteil der venezianischen Politik. In den Jahren zwischen 1415 und 1525 hatte der Rat der Stadt etwa zweihundert Giftmorde in Auftrag gegeben. Unter den erlauchten Opfern wären beinahe auch zwei Kaiser, zwei französische Könige, drei Sultane, zwei mailändische Herzöge und drei Herrscher von Mantua gewesen. Doch hatten all diese Herren das Glück, daß die mit den Giftmorden beauftragten Agenten sich sehr ungeschickt anstellten: Sie wurden vorher entlarvt oder aber nahmen das Gift versehentlich selbst ein.

Besonders, infam war der venezianische Arzt Salomon, der dem Rat 1649 eine Pest-Essenz anbot - zur Anwendung im Krieg gegen die Türken. Der städtische Oberaufseher der Apotheker bemerkte dazu:

Der Vorschlag ist lobenswert, allerdings auch sehr ungewöhnlich und vielleicht nach den Begriffen der öffentlichen Moral unzulässig. Aber im Fall der Türken und anderer Feinde der Republik sollten derartige Bedenken keine Rolle spielen.

Die Venezianer zeigten sich an dem Projekt interessiert und steckten den Arzt erprobungshalber ins Gefängnis - nicht ohne seine Kleider vorher mit der Pest-Essenz zu tränken. Wie der Test ausgegangen ist, ist nicht bekannt. Jedenfalls kam die Pest-Essenz in den Türkenkriegen nie zum Einsatz.

So berüchtigt die venezianische Giftküche und das venezianische Liebesleben auch waren - daß Richard Wagner den zweiten Akt des Tristan, die berühmte nächtliche Liebesszene, ausgerechnet in Venedig komponierte, hatte andere Gründe: Wagner befand sich nämlich wieder einmal auf der Flucht. Im schweizerischen Triebschen, seinem vorangegangen Asyl, hatte er einen wahren Scherbenhaufen hinterlassen: Der intensive Flirt mit der verheirateten Mathilde Wesendonck war gerade noch einmal ohne gesellschaftlichen Eklat und Duellforderung abgelaufen. Immerhin - Ehefrau Minna zog sich wutentbrannt und schmollend nach Dresden zurück, und Mathilde Wesendonck bat den allzu stürmischen Komponisten, er möge vorerst Distanz bewahren und nicht ihre Ehe und ihren guten Ruf gefährden.

Und so reiste Wagner, - verliebt über beide Ohren, eine kaputte Ehe am Bein und den ersten Akt des Tristan im Gepäck -, in die Stadt, die seiner Stimmung wohl am ehesten entsprach. Aus einem Brief an Mathilde Wesendonck:

Nachmittags in Venedig angekommen. Auf der Fahrt den großen Kanal entlang zur Piazetta melancholischer Eindruck und ernste Stimmung: Größe, Schönheit und Verfall dicht nebeneinander. Keine moderne Blüte und somit keine Trivialität vorhanden. Eine durchaus ferne, ausgelebte Welt. - Hier will ich bleiben.

Im Palazzo Giustiniani am Canale Grande richtete sich Wagner häuslich ein: Er läßt aus Triebschen seinen Flügel kommen, die Räume erhalten eine dunkelrote Tapete, die knarrenden Türen werden durch schwere StoffPortieren ersetzt.

Allzulange durfte Wagner in der Stadt seiner Träume allerdings nicht bleiben. Venedig gehörte damals zu Österreich-Ungarn, und in Wien war man nicht sonderlich gut auf Herrn Wagner zu sprechen, galt er doch als einer der Rädelsführer der Revolution von 1848 und wurde von der sächsischen Polizei steckbrieflich gesucht. Und so erhielt Wagner eines Tages vom Präfekten der Stadt Venedig die höfliche, aber bestimmte Aufforderung, er möge sein Komponieren doch bitte in einer anderen Stadt fortsetzen; sonst sei man gezwungen, ihn zu arretieren und an die sächsische Justiz auszuliefern. Also begab Wagner sich wieder einmal auf die Flucht. Immerhin - die Zeit in Venedig hatte ausgereicht, um den zweiten Akt des Tristan, die berühmte Liebesnacht, fertigzustellen.

Musik-Nr.: 07
Komponist: Richard Wagner
Werk-Titel: Tristan und Isolde
Auswahl: 2. Aufzug, 2. Auftritt (Part. 361,6 - 386,6)
ab: "Einsam wachend in der Nacht ..."
bis: "... wär Tristan der Tod gegeben?"
<CD 2, Track 5.-8.> 8:55
Interpreten: Wolfgang Windgassen (Tristan)
Birgit Nilsson (Isolde)
Orchester der Bayreuther Festspiele 1966
Ltg.: Karl Böhm
Label: DGG (LC 0173)
419 889-2
<CD 2, Track 5.-8.> Gesamt-Zeit: 8:55
Archiv-Nummer: ____
Technik: MUSIK einblenden bei Tr. 5 - 0:04
MUSIK ausblenden bei Tr. 8- 0:04
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