Walzer-Seligkeit

Anmerkungen zu einem beschwingten Thema

Als Ende des 18. Jahrhunderts der Walzer zum Wiener Modetanz wurde, warnten die Ärzte vor den "gesundheitsgefährdenden Erschütterungen, die schon manchem blühenden Mädchen die Schwindsucht, die Auszehrung und den frühen Tod gebracht" habe:

Der Walzer reizt das Nervensystem und setzt das Blut in eine stürmische Bewegung. Je blonder und zarter die jungen Menschen sind, je lebhafter ihr Temperament und je blühender ihre Gesichtsfarbe, desto sorgfältiger sollten sie sich vor einer solchen gewaltsamen Bewegung, als das Walzen ist, hüten.

Den Siegeszug des Walzer haben solche Warnungen nicht aufhalten können. Spätestens seit den Tagen der französischen Revolution war der Walzer zum Tanz der bürgerlichen Gesellschaft avanciert. Mochte der Adel auch weiterhin dem Menuett mit seiner komplizierten Abfolge von Verbeugungen und dem ständigen Partnerwechsel huldigen, das Bürgertum konnte dieser höfischen Etikette nichts abgewinnen und zog den geschlossenen Paartanz mit seiner vergleichsweise einfachen Schrittfolge vor.

Die Ursprünge des "Walzens" liegen im Dunkeln: Die Italiener behaupten, seine Wurzeln lägen in der Volta, einem Tanz, der sich in der Renaissance großer Beliebtheit erfreute; für die Österreicher ist die Keimzelle des Walzers das Lied "Oh du lieber Augustin"; und die Franzosen führen ihre Revolution als Beleg an und daß die Pariser Bevölkerung schon am Tage des Bastille-Sturms auf allen öffentlichen Plätzen Walzerfeste veranstaltet habe. Aber es dauerte keine zwei Jahrzehnte, da hatte sich der Adel dieses zutiefst bürgerlichen Tanzstiles bemächtigt.

Als 1814 nach dem Sturz Napoleons die europäischen Minister und Unterhändler in Wien zusammenkamen, um die Herrschaftsverhältnisse auf dem Kontinent neu zu ordnen, bot ihnen Fürst Metternich zur allabendlichen Zerstreuung rauschende Walzerfeste: "Der Kongreß tanzt, und nichts bewegt sich von der Stelle", lästerte der Volksmund. Und die Obrigkeit hatte auch nichts dagegen, wenn die Wiener Bevölkerung es den Gästen gleichtat und sich dem Walzen hingab. Denn wer sich mit Tanzen vergnügt, zettelt so schnell keine Revolutionen an.

Es war in jenen Jahren der habsburgischen Restauration, da in dem angesehenen Wiener Bierlokal Sperl die Musikkapelle eines gewissen Michael Pramer zum Tanz aufspielte. Unter den Mitgliedern befanden sich auch zwei junge Geiger: der siebzehnjährige Joseph Lanner und der gerade vierzehnjährige Johann Bapstist Strauß. 1819 machten sich die beiden selbständig und gründeten mit den tschechischen Brüdern Drahanek ein eigenes Quartett. Das Unternehmen Lanner-Strauß-Drahanek war derart erfolgreich, daß man 1821 das Ensemble auf zwölf Mann erweiterte und einige Jahre später, um allen Verpflichtungen nachkommen zu können, das Orchester teilte. Doch aus dem anfangs freundschaftlichen musikalischen Wettstreit zwischen dem eher gemütvollen Joseph Lanner und dem ehrgeizig-forschen Johann Strauß wurde bald schon eine erbitterte Rivalität, aus der Strauß - was die Bekanntheit und Beliebtheit anbelangt - eindeutig als Sieger hervorging.

Johann Strauß war unangefochtener Walzer-König, der sein Talent auch auf seine drei Söhne Johann, Josef und Eduard vererbte. Böse Zungen behaupteten, daß die Habsburger erst wieder alleine in Wien regieren könnten, wenn die Strauß-Dynastie ausgestorben sei. Auf Johann Strauß Vater folgte Johann Strauß Sohn. Daß dann auch der zweitälteste Sohn Josef ebenfalls Musikerlaufbahn einschlug, verdankt sich einem Zufall. Eigentlich wollte Josef Ingenieur werden (unter anderem erfand er die erste mechanische Straßenkehrmaschine, die für die Stadt Wien serienmäßig hergestellt wurde), als aber sein Bruder Johann mit nur 28 Jahren wegen Überarbeitung einen Schwächeanfall erlitt und pausieren mußte, wurde er gedrängt, das "Geschäft" weiterzuführen. Innerhalb kurzer Zeit eignete er sich die Grundtechniken des Dirigierens an, nahm Geigenstunden und vertiefte sich in die Musiktheorie. Am 23. Juli 1853 debütierte er mit dem ersten selbst komponierten Walzer, dem in rascher Folge fast 300 weitere Kompositionen folgen sollten: rauschende Walzer, schwermütige Mazurken und grazile Polkas.

Ähnlich wie die Polonaisen oder die Mazurken ursprünglich polnische Nationaltänze waren, stammt die Polka aus dem Böhmischen. Doch mit den Volkstänzen im eigentlichen Sinne haben die Strauß-Polkas nichts gemein. Es sind vielmehr Kompositionen, deren rhythmische Finessen der damals abflauenden Walzer-Leidenschaft neues Blut zuführten.

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