Hanslick: Vom Musikalisch-Schönen

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Vorwort zur dritten Auflage.

Die vorliegende dritte Auflage steht zur zweiten (1858) ungefähr in demselben Verhältniß, welches zwischen dieser und der ersten (1854) obwaltete. Einige weitere Ausführungen und neue Bemerkungen waren die einzige Mitgift, womit ich meine Monographie zu ihrem dritten Pilgergang neu ausstatten konnte, sollte deren ursprüngliche Physiognomie nicht gänzlich verwischt werden. Aus dem Vorwort zur zweiten Auflage muß ich die Versicherung wiederholen, daß ich der Mängel dieses Buches mir sehr lebhaft bewußt bin; allein dergleichen gedankenmäßige Entwicklungen, welche organisch aus der Ueberzeugung ihres Verfassers herauswuchsen, lassen sich späterhin mit jedem Jahre schwerer umformen. Uebrigens hat das weit über mein Erwarten günstige Schicksal der beiden ersten Auflagen und der mich hocherfreuende Antheil, mit welchem Männer wie Vischer, Strauß, Lotze, Lazarus u. A., in neuester Zeit vor Allem Reaction reizen, Als ich die zweite Auflage veranstaltete, waren eben Liszt's Programm-Symphonien hinzugekommen, welche vollständiger, als es bisher gelungen ist, die selbstständige Bedeutung der Musik abdanken, und diese dem Hörer nur mehr als gestaltentreibendes Mittel eingeben. Seither besitzen wir nun auch Richard Wagner's "Tristan," "Nibelungenring" und seine Lehre von der "unendlichen Melodie," d.h. die zum Princip erhobene Formlosigkeit, die systemisirte Nichtmusik, das auf 5 Notenlinien verschriebene melodische Nervenfieber.

Man möge es mir zu Gute halten, wenn ich angesichts solcher Zeichen keine Neigung fühlte, den polemischen Theil meiner Schrift zu kürzen oder abzuschwächen, sondern im Gegentheil noch dringender auf das Eine und Unvergängliche in der Tonkunst, auf die musikalische Schönheit hinwies, wie sie unsre großen Meister verkörperten und echt musikalische Erfinder auch in aller Zukunft pflegen werden.

Wien, am 6. Jan. 1865

Ed. H.

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