Hanslick: Vom Musikalisch-Schönen

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Vorwort zur vierten Auflage.

Die vorliegende vierte Auflage unterscheidet sich von der dritten (1865) durch keinerlei wesentliche Veränderung, sondern lediglich durch einige erweiternde Beisätze und stylistische Verbesserungen.

Meine Ueberzeugungen sind dieselben geblieben, desgleichen die Positionen der (nur noch schroffer sich gegenüberstehenden) Musikparteien der Gegenwart. Der Leser wird mir daher wohl auch die Wiederholung der Bemerkungen gestatten, mit welchen ich das Erscheinen der dritten Auflage begleitet habe. Zunächst die Versicherung, daß ich der Mängel dieses Buches mir sehr lebhaft bewußt bin; allein dergleichen gedankenmäßige Entwicklungen, welche organisch aus der Ueberzeugung ihres Verfassers herauswuchsen, lassen sich späterhin mit jedem Jahre schwerer umformen. Uebrigens hat das weit über mein Erwarten günstige Schicksal der früheren drei Auflagen und der mich hocherfreuende Antheil, mit welchem Männer wie Vischer, Strauß, Lotze, Lazarus u.A., in neuester Zeit vor Allem Helmholtz davon Act nahmen, mich überzeugt, daß meine Ideen auch in der etwas scharfen und rhapsodischen Weise ihres ursprünglichen Auftretens auf gutes Erdreich gefallen sind.

Leidenschaftliche Gegner haben mir mitunter eine vollständige "Polemik" gegen Alles, was Gefühl heißt, aufgedichtet, während jeder unbefangene und aufmerksame Leser doch unschwer erkennt, daß ich nur gegen die falsche Einmischung der Gefühle in die Wissenschaft protestire, also gegen jene ästhetischen Schwärmer kämpfe, die mit der Prätension, den Musiker zu belehren, nur ihre klingenden Opiumträume auslegen. Ich theile vollkommen die Ansicht, daß der letzte Werth des Schönen immer auf unmittelbarer Evidenz des Gefühls beruhen wird. Aber ebenso fest halte ich an der Ueberzeugung, daß man aus all' den üblichen Appellationen an das Gefühl nicht ein einziges musikalisches Gesetz ableiten kann.

Diese Ueberzeugung bildet den einen, den negativen Hauptsatz dieser Untersuchung. Er wendet sich zuerst und vornehmlich gegen die allgemein verbreitete Ansicht, die Musik habe "Gefühle darzustellen." Es ist nicht einzusehen, wie man daraus die "Forderung einer absoluten Gefühllosigkeit der Musik" herleiten will. Die Rose duftet, aber ihr "Inhalt" ist doch nicht "die Darstellung des Duftes"; der Wald verbreitet schattige Kühle, allein er stellt doch nicht "das Gefühl schattiger Kühle dar." Es ist kein müßiges Wortgefecht, wenn ausdrücklich gegen den Begriff "darstellen" vorgegangen wird, denn aus ihm sind die größten Irrthümer der musikalischen Aesthetik entsprungen. Etwas darstellen" involvirt immer die Vorstellung von zwei getrennten, verschiedenen Dingen, deren eines erst ausdrücklich durch einen besonderen Act auf das andere bezogen wird.

Emanel Geibel hat durch ein glückliches Bild dies Verhältniß anschaulicher und erfreulicher ausgedrückt, als philosophische Analyse es vermochte, und zwar in dem Distichon [Anm: Neue Gedichte. 1857.]:

"Warum glückt es dir nie, Musik mit Worten zu schildern?
Weil sie, ein rein Element, Bild und Gedanken verschmäht.
Selbst das Gefühl ist nur wie ein sanft durchscheinender Flußgrund,
Drauf ihr klingender Strom schwellend und sinkend entrollt."

Wenn dies schöne Sinngedicht obendrein unter dem nachhallenden Eindruck dieser Schrift entstand, wie ich zu vermuthen Anlaß habe, so muß sich meine, von poetischen Gemüthern zumeist verketzerte Anschauung doch auch mit wahrer Poesie leidlich vertragen.

Jenem negativen Hauptsatz steht correspondirend der positive gegenüber: die Schönheit eines Tonstücks ist specifisch musikalisch d.h. den Tonverbindungen ohne Bezug auf einen fremden, außermusikalischen Gedankenkreis innewohnend. Es lag in der redlichen Absicht des Verfassers, das "Musikalisch-Schöne" als Lebensfrage unserer Kunst und oberste Norm ihrer Aesthetik vollständig zu beleuchten. Wenn trotzdem das polemische, negirende Element in der Ausführung ein Uebergewicht erlangt, so wird man dieses in Erwägung der besonderen Zeitumstände hoffentlich entschuldigen. Als ich diese Abhandlung schrieb, waren die Wortführer der Zukunftsmusik eben am lautesten bei Stimme und mußten wohl Leute von meinem Glaubensbekenntniß zur Reaction reizen. Als ich die zweite Auflage veranstaltete, waren eben Liszt's Programm-Symphonien hinzugekommen, welche vollständiger, als es bisher gelungen ist, die selbstständige Bedeutung der Musik abdanken, und diese dem Hörer nur mehr als gestaltentreibendes Mittel eingeben. Seither besitzen wir nun auch Richard Wagner's "Tristan," "Nibelungenring" und seine Lehre von der "unendlichen Melodie", d.h. die zum Princip erhobene Formlosigkeit, den gesungenen und gegeigten Opiumrausch, für dessen Cultus in diesem Augenblick zu Baireuth ein eigener Tempel erbaut wird.

Man möge es mir zu Gute halten, wenn ich angesichts solcher Zeichen keine Neigung fühlte, den polemischen Theil meiner Schrift zu kürzen oder abzuschwächen, sondern im Gegentheil noch dringender auf das Eine und Unvergängliche in der Tonkunst, auf die musikalische Schönheit hinwies, wie sie unsre großen Meister verkörperten und echt musikalische Erfinder auch in aller Zukunft pflegen werden.

Wien, am 11. Mai 1873

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