Nicolai: Musik & Artzneygelahrtheit

§. 2. Der Körper, welcher einen Schall von sich geben soll, muß zittern.

Wenn ein Körper einen Schall von sich geben soll, so muß er die Luft in eine zitternde Bewegung setzen (Siehe §. 1.) Folglich muß er selbst in eine zitternde Bewegung gerathen seyn. Man halte eine Kohlzange oben an dem Orte, wo sie gekrümmt ist, mit dem Finger, und drucke ihre Arme mit der andern Hand zusammen, dergestalt, daß man sogleich damit nachläßt, so wird sie in eine zitternde Bewegung gerathen, aber keinen Schall von sich geben. Es ist also die zitternde Bewegung des <3> gantzen Körpers nicht geschickt einen Schall in der Luft zu erregen, den wir hören könnten, sondern es muß noch etwas mehreres hinzukommen. Man schlage mit einem Schlüssel an die Kohlzange, so entstehet ein Schall. Was sollte aber dieser Schlag anders verursachet haben, als daß er die Bewegung so vergrössert hätte, daß die kleinsten Theile dadurch in eine zitternde Bewegung gesetzt worden? Diesem zu Folge rührt der Schall nicht so wohl von der zitternden Bewegung des gantzen Körpers, als vielmehr von dem Zittern der kleinsten Theile desselben her. Und dieses läßt sich auch durch einen andern Fall erweisen. Man stosse eine Saite, so auf dem Monochord gespannet ist, an, so wird dadurch ihre Figur verändert. Sie springt aber nicht nur in ihre vorige Figur zurück sondern schwingt sich auch auf die andere Seite, und wird bald länger bald kürtzer gemacht. Man kan demnach mit guten Grunde annehmen, daß die Saite zweyerley Bewegungen habe. Die eine ist das Auf- und Niederbewegen, die andere aber die Entfernung und Annäherung ihrer Theile. Beyde Bewegungen sind nothwendig mit einander verknüpft. Die Saite kan ihre Figur nicht ändern, welches geschiehet, indem sie sich von einer Seite zur andern schwingt, ohne daß nicht zugleich ihre Theile eine andere Lage bekommen und sich bald einander nähern, bald von einander entfernen sollten. So gewiß dieses ist, so ist doch keine von beyden Bewegungen <4> geschickt einen Schall zu erregen. Man halte nur ein weiches Tuch an die Saite, so verlieret sich aller Schall, ohngeachtet die beyden Bewegungen fortdauren. Hält man aber einen harten Körper daran, so läßt zwar ihre Bewegung etwas nach, aber es entsteht ein Schall, der vorher nicht da war. Das kömmt ohne Zweifel daher, weil die Berührung des Körpers die kleinsten Theile in eine zitternde Bewegung gesetzt hat. Denn ich wüßte in der That nicht, was er sonst gethan haben sollte. Indessen darf man nicht dencken, als wenn das Zittern der kleinsten Theile immer unverändert bliebe, der gantze Körper möchte sich mit einem Grade der Geschwindigkeit bewegen, mit welchem er wollte. Nein, die Naturlehrer haben ausgemacht, daß diese beyden Bewegung iederzeit in einer Ubereinstimmung sind, dergestalt, daß die kleinsten Theilgen geschwinder zittern, wenn der gantze Körper seine zitternde Bewegung mit grösserer Geschwindigkeit verrichtet.

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