Nicolai: Musik & Artzneygelahrtheit

§. 9. Wie es zugehet, daß man viele Tone unterscheiden kan.

<16> Wenn das Trummelfell beständig einerley Spannung hätte, so würden nur sehr wenige Tone vermögend seyn es in eine zitternde Bewegung zu setzen, und von uns empfunden werden können. Da nun dieses der Erfahrung wiederspricht, so muß das Trummelfell bey einem ieden Tone nach einem solchen Grade gespannt werden, welcher mit ihm harmonisch ist. Und darum hat der Hammer gewisse Muskeln bekommen, welche ihn regieren und dadurch das Trummelfell so spannen und nachlassen können, wie es ein ieder Ton erfordert. Doch dieses alles ist noch nicht hinreichend. Hätte die Schnecke nicht eine besondere Structur, so würden wir die Verschiedenheit der Tone nicht bemercken können. Sie hat die Gestalt wie ein Kegel. Ihre Nervenfäserchen, womit sie ausgewebt ist, sind von sehr verschiedener Länge, und ihre Dicke und Spannung ist ohne Zweifel einerley. Da sich nun die Geschwindigkeiten der zitternden Bewegungen in den Saiten, welche einerley Dicke und Spannung haben, sich umgekehrt wie ihre Längen verhalten, so werden die kurtzen Nervenfäserchen in der Schnecke geschwinder zittern als die längern, und weil die Luft bey einem hohen Tone geschwinder zittert als bey einem tiefen [Siehe] §. 3, so wird ein hoher Ton die kurtzen Nervenfäserchen der Schnecke, <17> ein tiefer aber die längern in gleiche Bewegung setzen. Betrachtet man nun die ungemein grosse Anzahl der Nervenfäserchen in der Schnecke, erwegt man ferner, daß ihre Länge verschieden und eins immer länger als das andere ist, bedenckt man endlich, daß ein iedes mit einer besonderen Geschwindigkeit zu zittern geschickt sey, das ist, seinen Ton habe; so wird es nicht schwer seyn zu begreifen, wie wir so viele verschiedene Tone hören und unterscheiden können.

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