Nicolai: Musik & Artzneygelahrtheit

§. 25. Die Musik ist ein unschuldiges schmerzstillendes Mittel, und eine Artzney wider einige Kranckheiten.

In den merckwürdigen Anmerckungen über alle Theile der Naturlehre, welche in Französischer Sprache herausgegeben sind, wird gemeldet, daß ein Musicus, der ein geschickter Componist war, ein anhaltendes Fieber (febris continua) bekommen, welches sich immer verschlimmerte. Den siebenden Tag fieng er an starck zu rasen. Er schrie, weinete, erschrack, und konnte des Nachts nicht schlafen. Denn dritten Tag darauf, da das Fieber etwas nachgelassen hatte, bekam er Lust ein Concert in seiner Stube anzuhören. Ob nun gleich sein Medicus sehr ungern hierein willigte, so musicirte man ihm doch die Cantaten des Bernier vor, und so bald er die ersten Accords hörete, so gleich zeigte sich in seinem Gesichte eine Lebhaftigkeit. Er weinte vor Freuden, und hatte so lange als das Concert dauerte, das Fieber nicht, welches aber sich den Augenblick einfand, als die Musik aufhörete. Man setze also dieselbe täglich fort, und man nahm allemahl diese bewunderswürdige und heilsame Wirckung wahr, dergestalt, daß der Patient nach 10 Tagen <48> völlig gesund worden war. Sonst hatte man nichts weiter gebraucht, als daß man eine Ader am Fuß hat öfnen und eine grosse Menge Bluts herauslaufen lassen. So gewiß diese Begebenheit ist, so zweifle ich doch, ob sie hinreichend seyn möchte, den Nutzen der Musik in den Kranckheiten zu beweisen. Die Fieber, wird man sagen, sind ohnedem solche Kranckheiten, da die Artzeney das wenigste ausrichten kan, sondern da alles auf eine starcke Natur und gute Beschaffenheit des Cörpers ankömt, wenn sie ein erwünschtes Ende nehmen sollen. Wer wüßte ob der Krancke nicht gestorben wäre, wenn man ihm keine Ader geöfnet hätte. Ich will dieses einräumen, weil man hierzu einigen Grund hat. Man wird aber auch hinwiederum so höflich seyn und mir zugestehen, daß die Musik die Dienste eines unschuldigen schmertzstillenden Mittels gethan. Es ist ia mehr als zu wohl bekannt, wie schädlich und gefährlich dieienigen Artzeneyen sind, wodurch man dem Krancken eine Erleichterung seiner Schmertzen zu verschaffen sucht. Sie schwächen die Natur und machen das Ubel ärger. Alles dieses fällt bey der Musik gantz und gar weg. Der Schmertz ist nichts anders als eine unangenehme und lebhafte Empfindung, und es ist gar kein Zweifel, daß das heftige Fieber dem Patienten viele starcke und unangenehme Empfindungen, das ist, sehr grossen und vielen Schmertz verursacht habe, wie dieses aus den <49> angeführten Zufällen genugsam erhellet. Die Lebhaftigkeit des Gesichts, das muntere und vergnügte Gemüth geben sattsam zu erkennen, daß die Musik durch ihre angenehme und lebhafte Empfindungen die heftigen unangenehmen Empfindungen geschwächt und unterdrucket hat, und da das Vergnügen, so daher entstanden, sehr lebhaft und starck gewesen ist, und eine Freude verursachet hat, so sind auch darauf solche Bewegungen im Körper erfolget, welche die zum Leben und Gesundheit nöthigen Verrichtungen befördert haben, dadurch die Grösse der Kranckheit nothwendig einigermassen ist vermindert worden [Siehe] §. 21. Man wird daran nicht zweifeln, wenn man bedenckt, daß ein freudiges und vergnügtes Gemüthe sehr geschickt ist, die Gesundheit zu befördern und dieselbe, wenn sie verlohren gegangen, wieder herzustellen. Wir sehen dieses an denienigen, welche während ihrer Kranckheit traurig und niedergeschlagen sind, und deswegen selten mit dem Leben davon kommen. Solchergestalt hat die Musik im gegenwärtigen Falle einen doppelten Nutzen gehabt, einmahl, daß sie die Schmertzen des Patienten gestillet hat, zum andern, daß sie vermittelst der Freude, so sie erreget hat, solche Bewegungen im Körper verursachet, welche die Gesundheit befördert und die Kranckheit vermindert haben. Was das letztere betrift, so könnte man mir einwenden, daß die Bewegungen mehr Schaden als Nutzen gethan hätten. Denn ich habe gesagt, <50> daß sich bey der Freude das Hertz starck beweget, und der Umlauf der Säfte lebhaft und geschwind geschiehet [Siehe] §. 21. Nun findet sich dieses alles auch bey dem Fieber und zwar in einem grössern Grade. Derowegen ist die Bewegung der festen und flüßigen Theile ungemein vermehrt worden, und folglich dem Körper mehr schädlich als nützlich gewesen. Aber das ist weit gefehlt. Denn die Artzneygelehrten haben erwiesen, daß zwischen den Nerven-Arterien- und Muskel-Fäserchen eine Harmonie sey, wenn der Mensch gesund ist, und daß sie sich alsdenn in Ansehung ihrer Dicke, Länge und Spannung in harmonischer Proportion befinden. Nun entsteht das Fieber, wenn die Nervenfäserchen einen stärckern Ton bekommen, das ist, wenn sie zusammen gezogen werden. Soll es demnach aufhören, so müssen die übrigen Arten der Fäserchen als die Arterien- und Muskelfäserchen eben einen so starcken Ton bekommen. Geschiehet das bald, so verläßt das Fieber den Patienten in kurtzer Zeit; hingegen währet es desto länger, ie mehr Zeit nöthig ist, daß die Harmonie der Fäserchen wieder hergestellt wird. Das Vergnügen und die Freude, so die Musik erreget, hat verursachet, daß sich das Hertz und die Pulsadern stärcker beweget haben §. 21. Da nun diese Bewegungen nicht geschehen können, wenn nicht die Arterienfäserchen einen stärckern Ton bekommen haben, so ist wohl kein Zweifel, daß die Freude in dem Fieber den Ton der Arterienfäserchen <51> vermehret hat. Habe ich mir doch vor gewiß sagen lassen, daß dieser Affect eine stärckende Kraft besitzet. Wie wollte aber das möglich seyn, wenn er nicht den Ton der Fäserchen vergrössern könnte? Wenn nun das ist, so begreift man leichte, daß die Musik auf solche Weise vieles zur Wiederherstellung der Gesundheit beygetragen habe. Wollte aber iemand daraus schliessen, daß die Musik allezeit dergleichen Wirckungen hervorbringen müßte, so sieht man wohl, daß dieser Schluß so unrichtig ist, daß ich nicht nöthig habe ihn zu wiederlegen. In dem bereits angeführten Buche findet sich noch ein ähnliches Exempel von einem Tanzmeister, welcher sich durch das Tantzen so sehr erhitzet hatte, daß er in eine Schlafsucht und heftiges Fieber verfiel. So oft er einmahl erwachte, fieng er an zu rasen und zwar so, daß er kein Wort redete. Zu allem Glücke war iemand gegenwärtig, welcher die vorige Historie in den Memoires de l'academie des sciences gelesen hatte. Der dachte ihm also durch eben das Mittel nemlich durch die Musik zu helfen und trug solches dem Medico vor. Dieser mißbilligte zwar seinen Rath nicht, besorgte aber doch mehr, daß diese Sache einen lächerlichen Ausgang gewinnen möchte. Ein andrer guter Freund, der den Patienten bewachte und dabey so sorgfältig nicht wahr, nahm seine Violine und spielte ihm darauf einige Stücke vor. Man hielte diesen für weit närrischer als den Krancken <52> im Bette, und fieng an auf ihn zu schimpfen und zu lästern, als man wahrnahm, daß er sich aufrichtete, im Bette hinsetzte als einer, der durch etwas angenehmes gantz ausser sich gesetzt worden, und mit den Armen den Tact führete. Wenn man ihm selbige hielte, so gab er durch die Bewegung des Kopfes sein Vergnügen zu erkennen. Die, so um ihn herum waren, merckten dieses, und liessen allmählig von der Gewalt nach, womit sie ihn hielten. Darauf verfiel er in einen Schlaf und bekam eine Crisis, wodurch er von seiner Kranckheit befreyet wurde.

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