Nicolai: Musik & Artzneygelahrtheit

§. 26. Ob die Musik in andern Kranckheiten die Schmertzen stillet?

Ich habe in dem vorhergehenden Absatze erwähnet, daß die Musik ein schmertzstillendes Mittel sey. Es fragt sich also, ob sie auch nicht eben die Dienste in andern Kranckheiten verrichten könne, und warum nicht? Schreiben doch die alten berühmten Artzneygelehrten als Galenus und Coelius Aurelianus, daß man zu ihrer Zeit die schmertzhaften Oerter des Leibes besungen habe. Ohne Zweifel ist dabey sehr viel Aberglauben und Betrügerey vorgegangen, und darüber darf man sich nicht verwundern. Es ist ia heut zu Tage der Aberglaube noch nicht völlig aus der Medicin verbannet, wie kan man denn verlangen, <53> daß die alten Zeiten davon sollen befreyet gewesen seyn? Wie viele sind nicht noch ietzo so gewissenhaft, daß sie alten Frauenspersonen niemahls nicht als im abnehmenden Mond die Aderlaß rathen, wenn auch gleich mit der Verzögerung die Lebensgefahr verbunden ist. Aber deswegen bleibt das Aderlassen doch ein Mittel, das die Gesundheit wieder herstellen und Kranckheiten verursachen kan, nachdem es gebrauchet wird. Die Wurtzeln, welche in die Artzneyen kommen, müssen an gewissen Tagen ausgegraben werden, denn sonst thun sie keine Wirckung, anderer Alfantzereyen mehr zugeschweigen. Es ist also gewiß, daß die Wirckungen, wenn sie von der Musik hervorgebracht worden sind, ihre gewisse und hinreichende Ursachen müssen gehabt haben. Der Herr Professor Albrecht bemüht sich in seinem Tractat von den Wirckungen der Musik in menschlichen Körper zu erweisen, daß dieselbe in vielen Kranckheiten die Schmertzen lindere und führt zu dem Ende viele Zeugnisse der Artzneygelehrten an, daß solches wircklich geschehen sey. So meldet er, daß sich viele, so die Gicht gehabt haben, derselben zur Linderung der Schmertzen bedienet hätten als der Hertzog von Bayern, Albert, der mit dem Podagra sehr beschweret war, und andere, die mit dem Hüftwehe geplaget gewesen. Und warum sollte das nicht geschehen? Ist die Musik geschickt viele angenehme und lebhafte Empfindungen zu erregen, so kan sie die unangenehmen <54> lebhaften Empfindungen schwächen und unterdrucken, folglich muß der Schmertz nachlassen. Da nun die Kranckheiten vielen Schmertz verursachen, so sehe ich nicht ab, warum sie nicht eben diese Wirckung in denselben thun sollte. Nur das ist das schlimmste, daß solches nicht Mode ist. Diese ist eine so strenge Tyrannin, daß sie ihre Verächter mit Schimpf und Hohn bestrafet, und ich würde eben das zugewarten haben, wenn ich nicht wüßte, daß es bloß mein Vorsatz gewesen zu zeigen, wie die Musik die Schmertzen stillen könnte, nicht aber zu behaupten, daß man sie bey den Kranckheiten in dieser Absicht iederzeit gebrauchen solle.

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