Nicolai: Musik & Artzneygelahrtheit

§. 27. Was die Musik bey denienigen vor Wirckung thut, so von den Tarantulen gebissen worden.

Ich komme nunmehro zu der Wirckung, welche die Musik bey denienigen hervorbringet, so von den Tarantulen gebissen worden. Zu dem Ende will ich diese Begebenheit hierher setzen, so, wie uns dieselbe der berühmte Baglio erzehlet. Die Tarantulen sind eine Art Italiänischer Spinnen, und ohngefehr so groß als eine Eichel oder etwas grösser. Sie haben acht Augen und eben so viel Füsse. Vorne am Kopfe sind zwey kleine Rüssel, welche sehr spitzig zugehen und leicht in die Haut hineindringen. Sie sind vermuthlich die Röhren, dadurch das Gift herausfließt. Ihr gantzer Körper <55> ist mit Haaren bewachsen, und die Farbe verschieden. Einige sehen aschenfarbig aus, einige weißlich, andere schwärtzlich und noch andere haben sternförmige Flecken. Sie führen nicht in einer ieden Landschaft von Italien, und einer ieden Jahreszeit Gift bey sich, sondern nur in Apulien und im Sommer, vornemlich, wenn die Hundes-Tage sind. Stechen sie im Winter, so thun sie keinen Schaden. Auch so gar dieienigen, welche sich in den Gebürgen um Apulien herum aufhalten, sind nicht schädlich, sie mögen stechen, zu welcher Zeit sie wollen, sondern nur die, welche in Feldern sind und im Sommer stechen. Vermuthlich kömmt dieses, daß sie nur zur Sommerszeit Schaden thun, daher, weil durch die Sonnenhitze ihr Gift feiner, flüchtiger und wircksamer gemacht worden ist. Man will auch angemercket haben, daß ihre Bisse nicht allein im Sommer, sondern vornemlich zu der Zeit, wenn sie sich zusammen paaren, giftig sey. Es kan seyn, daß dieses nicht ungegründet ist, indem zu derselbigen Zeit alle Säfte heftig beweget werden. Der Biß einer Tarantul verursachet keine andere Empfindung, als dieienige ist, wenn eine Biene sticht. Aber der verletzte Theil bekommt rund herum einen Circkel von bläulicher, schwartzer, gelber oder anderer Farbe, und schmertzet entweder ungemein sehr, oder verlieret alle Empfindung. Kurtz hernach schwillt er auf und verursachet grosse Schmertzen. <56> Einige Stunden nach dem Stich überfält dieienigen, welche gestochen worden, eine grosse Hertzensangst, und heftige Traurigkeit. Das Athemhohlen wird ihnen ungemein schwer, ihre Augen sehen gantz verwirret aus, sie klagen mit beweglicher Stimme, und wenn sie von den umstehenden gefraget werden, wo es ihnen schmertzet, so antworten sie entweder gar nicht, oder weisen mit dem Finger auf die Brust, um dadurch anzuzeigen, daß dieses Theil vornemlich sehr viel litte. Endlich fallen sie zur Erden nieder, alle Kräfte verlieren sich, der Gebrauch der Sinnen höret auf, kurtz, sie liegen gantz unbeweglich und wie todt. Alle diese Zufälle sind zwar die gewöhnlichsten, aber nicht bey allen eben so. sie sind nach der Beschaffenheit der Tarantulen, welche gestochen haben, und nach den Umständen, worinnen sich der Krancke befindet, sehr unterschieden. Die meisten nehmen sehr wunderliche Handlungen vor. Sie sind gerne um die Gräber der Verstorbenen oder vor sich alleine, und legen sich auf die Todtenbahre, als wenn sie gestorben wären, oder springen gar in einen Brunnen. Einige weltzen sich im Kothe herum, wie die Säue, und finden daran ihr größtes Vergnügen. Einige aber verlangen, daß man sie bald an diesen bald an ienen Orte schlagen solle. Die Frauenspersonen legen alle Schamhaftigkeit ab und nehme viele unanständige <57> Handlungen vor. Alles, was man dagegen braucht, ist vergebens. Nur die Musik ist das sicherste und heilsamste Mittel. Es müssen aber sowohl das Stück, welches musiciret wird, als auch die Instrumente in Ansehung verschiedener Patienten verschieden seyn. Daher müssen die Musici ein Instrument nach dem andern nehmen, und bald dieses bald ienes Stück darauf spielen, bis sie auf ein Instrument und ein Stück kommen, welche ihnen gefallen, und alsdenn lassen sogleich die erwehnten Zufälle etwas nach. Der Krancke fängt an seine Finger, Hände, Füsse und allmählig die übrigen Glieder zu bewegen, er richtet sich in die Höhe und fängt an zu tantzen. Dieses dauert ohngefehr zwey bis drey Stunden, hernach legt man ihn ins Bette, damit er den Schweiß, in welchen er durch das Tantzen gerathen ist, völlig abwarten und sich von seiner Müdigkeit etwas erholen könne, daher man ihm zu dem Ende einige dünne und verdauliche Speisen giebt. So bald dieses geschehen ist, fängt er wieder an zu tantzen, und man verfähret mit ihm eben so, wie ich gesaget habe. Das währet so lange, bis die erwähnten Zufälle etwas nachlassen, welches gemeiniglich den andern, oder dritten, selten aber den sechsten Tag hernach geschiehet. Das wunderbarste hierbey ist dieses, daß sie alle Jahre gemeiniglich um die Zeit, da sie die Tarantul gebissen <58> hat, wieder die obige Zufälle bekommen, und wenn sie dieses mercken, so müssen sie alsobald wiederum zur Musik und zum Tantzen ihre Zuflucht nehmen, sonst sind sie das gantze Jahr hindurch nicht gesund.

zurück | weiter