Nicolai: Musik & Artzneygelahrtheit

§. 31. Von dem Gebrauch der Musik bey den Alten.

Aus dem, was ich gesagt habe, erhellet schon einigermassen, daß die Alten, sonderlich die Griechen ihre Musik zu verschiedenen Absichten gebraucht haben. Unter andern sorgten sie hauptsächlich davor, daß die Jugend in der Musik unterrichtet wurde, blos deswegen, weil sie glaubten, sie wäre zu einer guten Auferziehung ungemein geschickt, und gewöhnte die Gemüther richtige Urtheile vom Guten und Bösen zu fällen. Vermuthlich ist die Musik besonders dazu eingerichtet gewesen. Denn warum hätte sonst Aristoteles befohlen, daß allezeit alte verständige Leute dabey seyn mußten? Diese hatten ja darauf zu sehen, daß man dieienige Musik, die beliebet worden war, bey behielte und keine andere erwehlte, die die Gemüther auf eine andere Art rühren und verändern konnte. Ich berufe mich hier auf das Zeugniß des Plutarchus, welcher von der Musik also schreibet: Wenn iemand diejenige Tonart, welche zu einer guten Auferziehung geschickt ist, mit allem Fleisse erlernet hat und in seiner Jugend mit aller Sorgfalt ist unterrichtet worden, der wird sowohl in der Musik als in andern Dingen dasjenige <66> loben und begehren, was schön ist, und, was diesem entgegen ist, tadeln. Er wird nicht die geringste schändliche Handlung unternehmen, weil er einen so grossen Nutzen aus der Musik geschöpfet hat und sich selbst und der Republik nützlich seyn. Noch vielweniger wird er etwas ungebührliches reden oder thun, sondern allezeit den Wohlstand in Acht nehmen und sich in allen Stücken mäßigen. Bodinus meldet, die Cretenser, welche in Arcadien wohnten und sonst iederzeit sehr höflich und verträglich waren, wären gantz wilde geworden, und in beständigen Streit und Krieg verwickelt gewesen, da sie ihre Gesetze in der Musik bey Seite gesetzet hätten. Dieses kam iedermann gantz wunderlich vor, warum doch die Cretenser alleine aus allen Arcadiern so wild und barbarisch geworden wären, bis endlich Polybius unter allen zu erst wahrnahm, daß die Hintansetzung der Gesetze in der Musik hieran schuld sey. In Wahrheit eine erstaunende Wirckung der Musik, wenn sie gegründet ist. Dem sey aber wie ihm wolle. Cicero scheint mir hierinnen etwas behutsamer zugehen und sein Urtheil gefält mir weit besser, wenn er in dem andern Buche von den Gesetzen spricht: Ich bin mit dem Plato darinnen einig, daß nichts so leicht die zärtlichen und weichlichen Gemüther rühre, als die verschiedenen Tone, ihre Kraft dieselben auf zwiefache Art zu bewegen ist unaussprechlich <67> groß. Denn sie macht die Verdrüßlichen aufgeweckt und die Aufgeweckten verdrüßlich, bald verursachet sie, daß das Gemüth in der Anstrengung seiner Kräfte nachläßt, bald aber, daß es dieselben sammlet, ia es haben sich viele Republicken sehr angelegen seyn lassen, die alte Singart beyzubehalten. Wenn sie sich durch die Zärtlichkeit verwehnet hatten, so wurden sie ebenfals durch die Musik verändert; oder wenn sie ihre strenge Lebensart anderer Laster wegen etwas bey Seite gesetzet hatten, so gefiel auch den veränderten Ohren und Gemüthern die in der Musik vorgenommene Aenderung. Und daher besorgte der weise und gelehrte Mann in Griechenland Diagondas Thebanus den Schaden, der daher entstehen konnte. Denn er sagte, die Gesetze in der Musik könnten nicht verändert werden, wo nicht eben das zugleich mit den öffentlichen Gesetzen geschähe. Ich aber bin der Meinung, daß dieses allzusehr zu befürchten noch zu verachten sey. Man siehet also hieraus, mit was vor grosser Sorgfalt die Alten auf ihre Gesetze in der Musik gehalten haben. Sie waren so strenge, daß sie eine gewisse Strafe darauf setzten, wenn iemand etwas neues in der alten Musik aufbringen wollte. Und es blieb nicht einmahl bey blossen Drohungen, sondern sie vollzogen die bestimmte Strafe wircklich. Dieienigen, welche mit den einmahl eingeführten Saiten auf den Instrumenten <68> nicht zufrieden seyn wollten, sondern noch mehrere erfunden, mußten dieses zu ihrem größten Leidwesen erfahren. Dieses Unglück betraf zuerst den Phrynis, einen Schüler des Aristoclidis, und hernach den Timotheum Milesium, welcher zur Zeit des grossen Alexanders wegen seiner Geschicklichkeit auf der Cithar zu spielen sehr berühmt war. Dieser wollte gerne etwas neues haben, und war so verwegen, daß er zu den Saiten, deren weder mehr noch weniger als sieben seyn durften, noch viere hinzuthat. Solchergestalt machte er zwar eine Musik, welche weit angenehmer war und dem Gehör weit besser gefiel, die aber, wie man sagt, die jungen Gemüther zur Wollust und Zärtlichkeit anreitzte. Daher wurde er vors Gericht gebracht und mußte zur Strafe die vier Saiten mit eigener Hand abreissen, und das Land meiden. Seine Cithar wurde öffentlich aufgehängt mit der Uberschrift: weil er mehrere Saiten hat einführen wollen. Das Edict, so die Spartanische Obrigkeit bey dieser Gelegenheit gab, findet man bey dem Boethius, Joseph Scaliger, und Philipp Camerarius.

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