Der Dirigent Hermann Abendroth

(19.1.1883-29.5.1956)

Dieser Beitrag ist entstanden als Sendemanuskript
für den Deutschlandfunk, Köln
(Sendung: 17.1.1993 - "Historische Aufnahmen")

Exposé

Aus seiner Abneigung gegen jene narzißtischen "Pultvirtuosen", denen ein effektvoller Aufschlag wichtiger ist als die musikalische Arbeit, machte er nie einen Hehl. Dirigieren bedeutete für Hermann Abendroth vor allem Selbstdisziplin und harte Arbeit, und die Orchestermusiker in Köln, Leipzig und Weimar wußten dies zu schätzen.

Was man ihm indes verübelte: daß er sich trotz aller Demütigungen mit den Mächtigen zu arrangieren versuchte - mit dem Hitler-Regime ebenso wie nach 1945 in Weimar mit der SED. Genutzt hat es ihm wenig; Gastspiele ins Ausland und spektakuläre Schallplatteneinspielungen blieben ihm verwehrt. Die Interpretationen von Hermann Abendroth galten hierzulande lange Zeit als Insider-Tip. Der Mitteldeutsche Rundfunk in Leipzig hat nun einige Aufnahmen aus den fünziger Jahren wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Sendemanuskript
Musik-Nr.: 01
Komponist: Franz Schubert
Werk-Titel: Sinfonie Nr. 8 h-moll, op. posth.
Auswahl: 1. Satz (Ausschnitt) <Track 1.> 3:10
Interpreten: Rundfunk-Sinfonie-Orchester Leipzig
Ltg.: Hermann Abendroth
Label: Berlin Classics (LC ____)
0120 051
<Track 1.> Gesamt-Zeit: 3:10
Technik: MUSIK einblenden bei:
MUSIK ausblenden bis:
0:23
3:34

Ob ein Dirigent wie Hermann Abendroth im derzeitigen Medien-Rummel noch Beachtung finden würde, ist fraglich - nicht etwa, daß er schlechter gewesen sei als seine heutigen Taktstock-schwingenden Kollegen. Aber was der Musikmarkt mittlerweile vom Dirigenten fordert, ist der unbedingte Drang, sich zu profilieren - sich selbst (und gar nicht so sehr die Musik) darzustellen; auf allen Festivals präsent zu sein (notfalls auch ohne Proben) und bei mindestens zwei oder drei Orchestern gleichzeitig die künstlerische Oberleitung zu übernehmen.

Hermann Abendroth hätte unter diesen Voraussetzungen wohl Schwierigkeiten, sich durchzusetzen. Aber die hatte er damals auch. In den zwanziger Jahren eckte er zunächst an als Kapellmeister des Kölner Gürzenich-Orchesters. Sein Einsatz für die zeitgenössische Musik und sein Bestreben, aus dem städtisch-dilletantischen Musik-Konservatorium in Köln eine professionelle künstlerische Hochschule zu machen, wurden ihm schlecht gedankt: die Lokal-Kritiker der Kölner Presse diskreditierten ihn damals als "Kultur-Bolschewisten" und gleichzeitig als jemanden, der "auf Kosten der musikalischen deutschen Jugend seine eigenen elitären Ansprüchen zu verwirklichen sucht".

Die Nationalsozialisten enthoben ihn denn auch nach der "Machtergreifung" von 1933 von allen seinen Ämtern; Abendroth wurde verhaftet und verhört, aber man konnte ihm nichts anhaben - im Gegenteil: es gab soviel einflußreiche Fürsprecher, daß er rehabilitiert wurde und die Reichsmusik-Kammer ihn gleichsam als Wiedergutmachung zum Leiter der pädagogischen Abteilung berief. Als dann Bruno Walter ein knappes Jahr später nach Amerika emigrierte, erhielt Abendroth die Karriere-Chance: Von oberster Stelle legte man ihm nahe, sich als Chefdirigent des Leipziger Gewandhaus-Orchesters zu bewerben.

Die Ereignisse von 1933 hatten Abendroth zu Denken gegeben. Er fühlte sich als Musiker und war nicht zum Märtyrer geboren; und seine Konsequenz aus den Erfahrungen der vergangenen Monate war, daß er sich von nun an den herrschenden Verhältnissen anpaßte und jede Stellungnahme vermied, sowohl politisch als auch künstlerisch. Der zeitgenössischen Musik gegenüber ging Abendroth auf wohlwollend-respektvolle Distzanz und bevorzugte stattdessen die großen Romantiker, allen voran Beethoven, Schubert, Schumann, Brahms und Bruckner.

Für Außenstehende mochte die Berufung ans Gewandhaus damals so aussehen, als habe Abendroth mit dem Nationalsozialisten Frieden geschlossen und mache mit ihnen nun gemeinsame Sache. Nach dem Zweiten Weltkrieg hieß es denn auch, daß er aus "politischen Gründen" für das Gewandhaus nicht mehr "tragbar" sei. Notgedrungen wechselte Abendroth nach Weimar als musikalischer Leiter des Deutschen Nationaltheaters. Aber schon vier Jahre später hatte ihn das Leipziger Publikum wieder - als Chefdirigenten beim Mitteldeutschen Rundfunk.

In den Jahren des Kalten Kriegs galt Hermann Abendroth als der "Vorzeige-Dirigent" der DDR. Er wurde überschüttet mit Nationalpreisen, Verdienstorden und was es der Ehrungen sonst noch gab; Konzert-Tourneen führten ihn durch alle Ostblock-Länder, nach Finnland und in die Schweiz; im übrigen Westen aber wurde seine Arbeit weitgehend ignoriert: Er galt allenfalls als "Insider"-Tip für Eingeweihte.

Mit dem Radio-Sinfonie-Orchester des Mitteldeutschen Rundfunks entstanden in den Jahren zwischen 1949 und 1956 eine Reihe hochwertiger Produktionen, die nun zum Teil auch als CD wieder verfügbar sind.

Musik-Nr.: 02
Komponist: Franz Schubert
Werk-Titel: Sinfonie Nr. 9 C-Dur, op. posth.
Auswahl: 4. Satz <Track 6.> 10:55
Interpreten: Rundfunk-Sinfonie-Orchester Leipzig
Ltg.: Hermann Abendroth
Label: Berlin Classics (LC ____)
0120 051
<Track 6.> Gesamt-Zeit: 10:55

Das Finale aus Schuberts großer C-Dur-Sinfonie macht deutlich, worum es Hermann Abendroth in seinen Interpretationen ging: die dynamische Kraft der Komposition herauszuarbeiten und dabei jedes Pathos zu vermeiden. Die abrupten Wechsel in der Lautstärke kommen mit unbedingter Präzision, und die Tempi sind zügig, bisweilen vielleicht ein wenig zu forsch. Immer aber gelingt es Abendroth, die dramatische Spannung bis zum Schlußakkord durchzuhalten; selten hängt der musikalische Bogen einmal durch. Was ihm jedoch abgeht, sind die lyrisch-elegischen Momente. Die langsamen Sätze wirken mitunter wie Fremdkörper, die sich nicht recht einfügen wollen, und das Pathos etwa in den Sinfonien Tschaikowskys klingt eher wie eine gelehrte deutsche Abhandlung über die "slawische Leidenschaft".

Eine der letzten Aufnahmen mit Hermann Abendroth und dem Leipziger Rundfunk-Sinfonie-Orchester entstand am 31. März 1956; es ist Schumanns 4. Sinfonie in d-moll. Abendroth war damals 69 Jahre alt und gesundheitlich sehr angeschlagen. Zwei Monate später sollte er während einer Operation einem Herzversagen erliegen. Der Produktion hört man die schlechte körperliche Konstitution des Dirigenten nicht an - oder doch? So pulsierend der rhythmische Schwung vorwärts drängt, so finden sich doch nun auch schmerzliche Augenblicke des Verweilens, Eintrübungen und unmerkliche Tempo-Verzögerungen, die man von früheren Aufnahmen mit Hermann Abendroth nicht kennt.

Musik-Nr.: 03
Komponist: Robert Schumann
Werk-Titel: Sinfonie Nr. 4 d-moll, op. 120
Auswahl: 1. Satz <Track 5.> 10:45
Interpreten: Rundfunk-Sinfonie-Orchester Leipzig
Ltg.: Hermann Abendroth
Label: Berlin Classics (LC ____)
0120 053
<Track 5.> Gesamt-Zeit: 10:45
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