Auf den Spuren des Originalklangs Die Beiträge entstanden als Sendemanuskript für den Deutschlandfunk, Köln. Sendung am, 7.,14. und 21.12.1997 in der Reihe "Historische Aufnahmen")

"… ich jedenfalls spiele Bach auf seine Weise."

Die großen Damen des Cembalos: W. Landowska, Eta Harich-Schneider u.a.

Auf den Spuren des Originalklangs - historische Aufführungspraxis in historischen Aufnahmen - Teil 1

Sendemanuskript
Musik-Nr.: 01
Komponist: Johann Sebastian Bach
Werk-Titel: Fantasie in c-moll, BWV 906
Interpreten: Wanda Landowska (Cembalo)
Label: RCA Victor (LC 0316)
GD 60 919
<CD 1, Tr. 36.> Gesamt-Zeit: 2:30
Archiv-Nummer: B6-004 .03
Technik: TEXT überblenden ab
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2:10
2:30

Das Cembalo, wie es zu Bachs Zeiten in Gebrauch war, ist wegen seines unangenehmen und wenig gestaltungsfähigen Klanges schon im 18. Jahrhundert aus der Mode gekommen. Die Stücke der alten Meister lassen sich denn auch auf einem modernen Klavier mit weitaus größerem Effekt vortragen, wobei selbst im Falle Bach die gehaltvollen Bearbeitungen von Tausig, Bülow und anderen bedeutenden Virtuosen unserer Zeit dem kargen Originaltext vorzuziehen sind.

Sätze wie diese konnte man noch bis weit in unser Jahrhundert in den Handbüchern und "Wegweisern durch die Klavier-Literatur" lesen. Das Cembalo war seit der Mitte des 18. Jahrhunderts vom pianistischen Fortschritt überrollt worden. Mit dem Beginn der klassischen Periode, mit Carl Philipp Emanuel Bach, mit Haydn und Mozart hatte es ausgedient, und damit war gleichzeitig auch das Wissen um all das verschwunden, was wir heute als "historische Aufführungspraxis" bezeichnen.

Es war zu Beginn dieses Jahrhunderts, daß eine junge polnische Pianistin die klanglichen Reize des Cembalos neu entdeckte und dieses Instrument fortan zu ihrer Lebensaufgabe machte. Mit 23 Jahren war Wanda Landowska 1900 nach Paris gekommen - als fertig ausgebildete Pianistin, die sich nun ihren Platz in der Musikwelt erkämpfen wollte. Für virtuose Fingerakrobatik und lautstarke Kraftakte, wie sie im spätromantischen Klavier-Repertoire notwendig sind, hatte Wanda Landowska allerdings wenig übrig. Ihre Interessen und ihre Fähigkeiten lagen auf anderem Gebiet: Was sie reizte, war die kompositorische Miniatur, die musikalische Feinzeichnung, und so entdeckte sie für sich Mozart, vor allem aber Bach und die französischen Clavecinisten des 18. Jahrhunderts - Louis Couperin, Antoine Francisque und Jean Philippe Rameau.

Eine ihrer frühesten Cembalo-Aufnahmen stammt aus dem Jahre 1928: die Scarlatti-Sonate in d-moll, Longo-Verzeichnis 413.

Musik-Nr.: 02
Komponist: Domenico Scarlatti
Werk-Titel: Sonate in d-moll "Pastorale", L. 413
Interpreten: Wanda Landowska (Cembalo)
Label: Pearl (LC 1836)
GEMM CD 9019
<Track xx.> Gesamt-Zeit: 3:10
Archiv-Nummer: 6i-L003.12

Wanda Landowska ließ sich von den Anfeindungen der Pianisten und Musikkritiker nicht beirren, die da äußerten, daß ein so schwächliches, zirpendes Instrument wie das Cembalo gerade das Richtige sei für das zarte Geschlecht. Im Gegenteil: Die abfälligen Kommentare reizten ihre Streitlust. 1909 veröffentlichte sie eine umfangreiche Streitschrift mit dem Titel "Musique ancienne" (also: "Alte Musik"), wo sie mit polemisch-spitzer Feder die gängigen Vorturteile gegen die Musik der vergangenen Jahrhunderte ad absurdum führte. Über die blinde Fortschrittsgläubigkeit in der Musik, daß die Kompositionstechnik sich im Laufe der Zeit zum Besseren entwickelt habe, schreibt sie:

Der Begriff des Fortschritts ist eine Marotte der Kritiker. Die Musiker selbst haben ihn nie gehabt. Alle großen Musiker waren vielmehr von respektvoller Zärtlichkeit für ihre Vorgänger erfüllt. Die Kritiker, die immer wieder behaupten, daß Musik eine vergängliche Kunst sei und der Mode unterworfen ist, sind nicht besser als jene Eingeborenen der Fidschi-Inseln, die ihre Eltern töten, wenn sie beginnen, alt zu werden. Wenn eine Komposition tatsächlich einmal lebendig war, wenn sie damals alle Lebensbedingungen erfüllte, dann gibt es keinen Grund, daß sie sterben müßte. Musik altert nur, wenn sie vernachläßigt wird - wie eine Frau, die nicht mehr geliebt wird. Beschäftigen Sie sich mit ihr, und sie wird sich verjüngen!

Sich mit der Alten Musik zu beschäftigen, durfte allerdings nicht heißen, ihr Gewalt anzutun. Die damals herrschende Unsitte, die Barockmusik in Form von Bearbeitungen und Transkriptionen aufzuführen, war für Wanda Landowska ein Verbrechen an der Kunst.

Es kommt ja hoffentlich auch niemand jemals auf die Idee, etwas Marmor von der Venus von Milo abzuschlagen, um ihr eine Wespentaille zu machen, oder die Nase des Apolls zu verbiegen, um ihm mehr Charakter zu verleihen.

Und auf den Vorwurf, daß das Cembalo bloß spielerisch klinge und daß wahrer Ausdruck auf einem solchen Instrument nicht möglich sei, erwidert sie:

Sicherlich kann ein Cembalo niemals so sentimental klingen wie ein Klavier, wie ja auch das Klavier niemals die Sentimentalität der Geige erreichen kann. Aber Sentimentalität und echtes Gefühl sind immmer noch zweierlei.

Äußerungen, die allesamt belegen, wie wenig Wanda Landowska die Auseinandersetzung mit althergebrachten Vorurteilen scheute. Aber letztlich überzeugen konnten solche Vergleiche und Argumente nur, weil dahinter eine Musikerin stand, deren künstlerischer Anspruch außer Frage stand. Komponisten wie Camille Saint-Saens, Francis Poulenc und Manuel de Falla zählten zu ihren Bewunderern, und Albert Schweitzer schrieb 1905 anläßlich eines Konzertes:

Es war ein solch lebendiger Pulsschlag in ihrer Interpretation von Bach und Couperin, daß sich niemand gewundert hätte, wenn diese beiden in eigener Person auf dem Podium erschienen wären, um Beifall zu spenden. Wer jemals gehört hat, wie Wanda Landowska das Italienische Concert auf ihrem herrlichen Pleyel-Cembalo spielt, wird nie mehr dieses Stück auf einem modernen Flügel interpretiert hören wollen.

Musik-Nr.: 03
Komponist: Johann Sebastian Bach
Werk-Titel: Italienisches Konzert, BWV 971
Auswahl: 2. Satz <Track 10.> 5:00
Interpreten: Wanda Landowska (Cembalo)
Label: EMI (LC 0542)
7 61008 2
<Track 10.> Gesamt-Zeit: 5:00
Archiv-Nummer: B6-002 .02

Die Nachdrücklichkeit, mit der Wanda Landowska sich für das Cembalo einsetzte, zeigte bald schon Wirkung. 1912 gab sie auf dem Bachfest in Breslau eine Reihe von Konzerten - mit dem Ergebnis, daß im Jahr darauf an der Berliner Hochschule für Musik erstmals ein Lehrstuhl für Cembalo eingerichtet wurde - mit Wanda Landowska als erster Lehrerin. Zu ihren Schülerinnen zählte auch Eta Harich-Schneider, eine damals hochgeschätzte Pianistin, die jedoch ebenfalls ihr Interesse für die Alte Musik und die historische Aufführungspraxis zu entdecken begann.

Der Lebensweg von Eta Harich-Schneider verlief abenteuerlich. Nachdem sie als Nachfolgerin von Wanda Landowska die Cembalo-Klasse an der Berliner Hochschule übernommen hatte, unternahm sie 1941 eine Konzerttournee nach Japan. Aus der Tournee, die ein Dutzend Konzerte umfassen sollte, wurde ein Aufenthalt von acht Jahren. In Tokio befreundete sie sich mit Richard Sorge, jenem deutschen Journalisten, der 1944 als russischer Spion enttarnt wurde. Da sie selbst in den Kriegsjahren vom Konzerte-Geben allein nicht leben konnte, verdiente sie sich Ihren Lebensunterhalt als Lehrerin an der Musikschule des japanischen Kaiserhauses und später als Dolmetscherin für die amerikanischen Streitkräfte in Japan verdienen.

Während jener Zeit veröffentlichte sie zahreiche Arbeiten über die japanische Musik und wurde dafür als erste europäische Wissenschaftlerin mit dem kaiserlichen Hausorden ausgezeichnet. 1949 siedelte sie in die Vereinigten Staaten über; 1955 erhielt sie einen Ruf als Leiterin der Cembalo-Klasse an die Wiener Musikakademie.

Äußere Stationen eines bewegten Lebens, das jedoch diskographisch leider kaum zu greifen ist. Es gibt nur eine Handvoll Aufnahmen, alle aus den späten Dreißiger Jahren, die zudem nur einen flüchtigen Eindruck von der Interpretations-Kunst der Eta Harich-Schneider vermitteln. Hier von Louis Couperin die Chaconne in F-dur und "Les Cascades" von Jean François Dandrieu.

Musik-Nr.: 04
Komponist: Louis Couperin
Werk-Titel: Chaconne F-Dur
Interpreten: Eta Harich-Schneider (Cembalo)
Label: Pearl (LC 1836)
GEMM CD 9124
<Track 9.> Gesamt-Zeit: 2:05
Archiv-Nummer: 6x-009
Musik-Nr.: 05
Komponist: Jean François Dandrieu
Werk-Titel: Les Cascades
Interpreten: Eta Harich-Schneider (Cembalo)
Label: Pearl (LC 1836)
GEMM CD 9124
<Track 12.> Gesamt-Zeit: 1:55
Archiv-Nummer: 6x-009

Die Liste der Landowska-Schülerinnen, die ihrerseits die Kunst des Cembalo-Spielens weitergetragen haben, ist lang. Aber Wanda Landowska war nicht die einzige (und auch nicht die erste), die sich für das Cembalo eingesetzt hat. In England hatte sich um die Jahrhundertwende vor allem der Musiker und Instrumentenbauer Arnold Dolmetsch um die Wiederbelebung des Cembalos verdient gemacht.

Zu seinen Schülerinnen zählte auch die Cembalistin Violet Gordon Woodhouse. Die Zeitgenossen haben die Interpretationskunst von Violet Gordon Woodhouse gerne als Argument dafür genutzt, daß in Paris (und damit war Wanda Landowska gemeint) - daß auch in Paris nicht alles Gold ist, was glänzt. Und in der Tat: Ein Vergleich etwa von Bachs "Italienischem Konzert" zeigt überraschende Unterschiede: Während das Spiel der Landowska von unerbittlicher metrischer Strenge sein konnte und der harte Klang des Pleyel-Cembalos diesen Eindruck noch verstärkt, läßt Violet Gordon Woodhouse der Musik ihren Atem - eine Gestaltung, die im Sinne der historischen Aufführungspraxis geradezu modern anmutet, wenn man einmal von den aufnahmetechnischen Mängeln der alten Schellack-Platten absieht.
Musik-Nr.: 06
Komponist: Johann Sebastian Bach
Werk-Titel: Italienisches Konzert, BWV 971
Auswahl: 1. Satz <Track 21.> 3:55
Interpreten: Violet Gordon Woodhouse (Cembalo)
Label: Pearl (LC 1836)
GEMM CD 9124
<Track 21.> Gesamt-Zeit: 3:55
Archiv-Nummer: 6x-009
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