Engel: Musikalische Malerei Startseite

Engel: Über die musikalische Malerei

[I. Was heißt Malen?]

<300> Malen heißt: Einen Gegenstand, nicht durch bloß willkürliche verabredete Zeichen für den Verstand andeuten, sondern ihn durch natürliche Zeichen vor die sinnliche Empfindung bringen. Das Wort: Löwe, erweckt bloß eine Vorstellung in meinem Verstande; das Gemälde eines Löwen stellt mir das sichtbare Phänomen wirklich vor Augen. Das Wort: Brüllen, hat bereits etwas Malerisches; Der Bendaische Ausdruck in der Ariadne ist die vollständigere Malerei des Brüllens. [...]

<302> [...] Die Töne der Musik sind keine willkürlichen Zeichen; denn es ist nichts, was man sich dabei denken wollte, verabredet: sie thun ihre Wirkung nicht durch etwas, das durch sie angedeutet würde, sondern durch sich selbst, als solche und solche Eindrücke auf unser Gehör: Der Tonsetzer hat nichts allgemeines zu individualisiren; er hat keine Notionen [Vorstellungen] des Verstandes dadurch, daß er sie specieller machte, zu verschönern. Allein er kann durch seine Töne, als durch natürliche Zeichen, Vorstellungen anderer verwandten Gegenstände erwecken; kann uns durch sie diese Gegenstände, wie der <303> Maler die seinigen durch Farben, andeuten wollen: [...] er muß seine Töne so nachahmend machen, und ihnen mit dem Gegenstande selbst so viel Ähnlichkeit geben, als möglich. [...]

Die vollständige Malerei [in der Musik] findet sichtbar nur da Statt, wo der Gegenstand selbst hörbar ist, und sich mit abgemessenem Ton und Rhythmus verträgt.

Was die unvollständige Malerei betrifft, so kann

Erstlich der Gegenstand ein aus Eindrücken verschiedener Sinne zusammengesetztes <304> Phänomen seyn, wo Hörbares mit Sichtbarem u.s.w. vermischt ist. Der Tonkünstler erweckt in der Phantasie die Vorstellung des Ganzen, indem er das Hörbare nachahmt. So malt er eine Schlacht, ein Gewitter, einen Orcan.

Zweitens kann zwar der Gegenstand ganz und gar nichts Hörbares enthalten; aber er trifft mit den hörbaren Tönen in gewissen allgemeinen Eigenschaften zusammen, die der Phantasie einen leichten Übergang von diesen auf jenen verschaffen.

Es giebt nehmlich Ähnlichkeiten, nicht bloß zwischen Gegenständen einerlei Sinnes, sondern auch verschiedner Sinne. Langsamkeit und Geschwindigkeit z.B. finden sich eben sowohl in einer Folge von Tönen, als in einer Folge von sichtbaren Eindrücken. Ich will alle dergleichen <305> Ähnlichkeiten transcendentelle Ähnlichkeiten nennen.

[...]

Hierdurch nun werden die Gegenstände, die der Tonsetzer malen kann, schon gar sehr vervielfältigt. Viele Gegenstände der andern, besonders des an Begriffen ergiebigsten äußern Sinnes, des Gesichts, fallen durch ihre transcendentellen Ähnlichkeiten mit den Tönen, unter die musikalische Nachahmung.

<306> Zugleich erklärt sich's aber, wenigstens schon zum Theil: Warum die musikalische Nachahmung insgemein nur so unbestimmt; warum es, ohne Hülfe der Worte, so schwer ist, den malenden Tonsetzer zu verstehen. Die Nachahmung geschieht fast immer nur unvollständig, nur theilweise, nur nach allgemeinen Eigenschaften; es mag nun äußerer sinnlicher Gegenstand, oder innere Empfindung nachgeahmt werden. Denn die Empfindung wird gleichfalls nur allgemein nachgeahmt; individualisirt kann sie nur durch bestimmte Vorstellung des sie erweckenden Gegenstandes werden.

[...]

<307> [...] der Tonsetzer malt noch

Drittens: indem er weder einen Theil, noch eine Eigenschaft des Gegenstandes selbst, sondern den Eindruck nachahmt, den dieser Gegenstand auf die Seele zu machen pflegt. Durch dieses Mittel erhält die musikalische Nachahmung ihren <308> weitesten Umfang. Denn nun braucht's an dem Gegenstande selbst auch jener Eigenschaften nicht mehr, die ich transcendentelle Ähnlichkeiten nannte. Auch sogar die Farbe wird [musikalisch] malbar. Denn der Eindruck einer sanften Farbe hat etwas Ähnliches mit dem Eindruck eines sanften Tons auf die Seele. [...]

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