Koch: Musikalisches Lexikon

Manieren.

<926> Im allgemeinen Sinne des Wortes hat man darunter alle Verzierungen der melodischen Hauptnoten, oder die verschiedenen Arten der Figuren zu verstehen, die aus dem mannigfaltigen Vermischungen der harmonischen Nebennoten und der durchgehenden und Wechselnoten mit den Hauptnoten der Melodie zum Vorscheine kommen. [FN: Siehe Figur] Gemeiniglich verstehet man aber darunter nur gewisse einzelne Figuren, deren sich der Tonsetzer zur Auszierung der Melodie bedient, die man in Setz- und Spielmanieren unterscheidet. Der Unterschied zwischen beyden ist noch etwas unbestimmt. Gemeiniglich verstehet man unter Setzmanieren solche Figuren, die in den Notenstimmen ausgeschrieben werden, und eine gewisse bestimmte Form haben, wie z.B. die Figuren, die man Laufer, Walzen, <927> Rauscher, Schwärmer u.s.w. nennet. Unter Spielmanieren hingegen verstehet man solche Auszierungen des Gesanges, die nicht ordentlich in Noten ausgeschrieben und in den Takt eingetheilt sind, sondern entweder durch besonders dazu angenommene Zeichen bemerkt, oder vermittelst kleiner Noten vorgestellet werden, die nicht in den Takt eingetheilt sind, und der sich die Ausführer der Solostimmen oft auch bey solchen Stellen der Melodie bedienen, wo sie nicht ausdrücklich von dem Tonsetzer angezeigt worden sind. Diese Spielmanieren, die man auch willkührliche Auszierungen des Gesanges nennet, sind gleichsam die Würze der Melodie; es gehören dahin

  1. der Triller,
  2. der Vorschlag;
  3. der Nachschlag;
  4. der Mordent;
  5. der Doppelschlag;
  6. der Schleiffer;
  7. der Pralltriller;
  8. die Bebung;
  9. das Battement, und
  10. das Durchziehen.

Von der Form, Beschaffenheit, und von der Vortragsart dieser Manieren wird in ihren besondern Artikeln gehandelt.

Im engern Sinne des Wortes verstehet man unter Manieren diejenige Auszierung der Melodie, die der Ausführer einer Solostimme ohne Vorschrift des Tonsetzers hinzufügt, und die man im Französischen Broderies nennet. Sie bestehen theils aus den so eben angezeigten Spielmanieren, theils aus andern Noten, die der Ausführer zu seiner Parthie hinzu thut, um den Gesang entweder lebhafter zu machen, oder einen Satz, der mehrmals vorkömmt, in einer veränderten Gestalt darzustellen u.s.w.

"Aus nichts" (sagt Rousseau) [FN: Dictionnaire de Musique, Art. "Broderies"] "kann man besser den guten oder schlechten Geschmack des Tonkünstlers erkennen, als aus der Wahl und dem Gebrauche, den er von diesen Zierathen macht."

<928> Bey dem Vortrage der Ripienstimmen ist es durchaus nothwendig, daß sich der Ausführer derselben aller solcher Manieren enthalte, die nicht ausdrücklich von dem Tonsetzer vorgeschrieben sind. Bey dem Vortrage der Solostimmen begünstiget die Gewohnheit den willkührlichen Gebrauch solcher Manieren, und es wird bey der Ausführung derselben, besonders im Adagio, oft so viel maniert, daß der eigentliche Gesang des Tonsetzers darüber ganz unkenntlich wird. Gemeiniglich sollen die häufigen Verzierungen die Schwäche des Vortrags des Adagio decken; denn der Solospieler, der sich eines edeln Vortrages und seiner Stärke im Adagio bewußt ist, verziert gemeiniglich am wenigsten.

Man nimmt in Rücksicht auf den willkührlichen Gebrauch der Manieren bey dem Vortrage einer Solostimme an, daß der Ausführer freye Hand habe, diejenigen Stellen, die der Tonsetzer nicht völlig ausgemalt hat, nach eigener Wilkühr zu verzieren. Um diese willkührlichen Verzierungen gehörig zu würdigen, käme es ohne Zweifel auf die Frage an, ob der Tonsetzer diejenigen Stellen seines Tongemäldes, die er, um das Gleichniß zu behalten, nicht völlig ausgemalt hat, deswegen nicht bis zum letzten Drucker vollendet habe, um nur dem Ausführer Gelegenheit zu verschaffen, Verzierungen seiner Art anzubringen, oder ob es deswegen geschehen sey, damit gleichsam durch den Schatten, in welchem er diese Stellen gelassen hat, die Lichter der daneben stehenden Stellen um so mehr gehoben werden sollen ? - Ein Bild, bey welchem helle Lichter und scharfe Drucker in allen Nebenstellen angebracht sind, bey welchem nichts in Schatten stehet, ist grell, hat keine Haltung, und das Auge findet gleichsam keinen festen Ruhepunkt zu dessen Betrachtung. - Und sollte wohl der Tonsetzer geneigt seyn, bloß deswegen die Melodie nicht so zu schreiben, wie er sie sich denkt, oder sollte er sie sich <929> nicht in ihrer (seinem Ideale entsprechenden) Ausbildung denken, um nur dem Ausführer Gelegenheit zu Manieren zu geben?

Es ist überhaupt eine wichtige Frage, ob ein musikalischer Gedanke, der in einer edeln Einfalt ausgedrückt ist, Verzierungen bedürfe, und ob es nicht vortheilhafter sey, sich zu bemühen, ihn in seiner hohen Simplicität vorzustellen, als ihn mit vielem Flittergolde zu beklexen?

Wenn jedoch maniert und variirt werden soll, und muß, so hüte man sich wenigstens dabey, den Sinn der Melodie ganz zu entstellen, und harmonische Fehler zu machen.

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