Koch: Musikalisches Lexikon

Singekomposition.

<1388> Die Bearbeitung eines Tonstückes für den Gesang, setzt nicht allein alle die Eigenschaften und Kenntnisse des Tonsetzers voraus, die zur Bearbeitung der Tonstücke für die Instrumentalmusik nöthig sind, und wovon schon in dem Artikel Komposition geredet worden ist, sondern es gehört dazu noch insbesondere eine vollkommene Kenntniß der Sprache, in welcher der Text gedichtet ist, nebst einer hinlänglichen Kenntniß der Prosodie derselben. Ueberdies muß der Tonsetzer, welcher Kunstprodukte für den Gesang bearbeitet, Kenntnisse der Deklamation besitzen; er muß, wenn er auch nicht selbst Sänger im eigentlichen Sinne ist, dennoch alle zur Ausübung des guten Gesanges nothwendige Kenntnisse sich erworben haben. Er muß im Stande seyn, jeden Zug der Gemüthsbewegungen zu entdecken, und mit Leichtigkeit <1389> aufzufassen, der in seinem zu bearbeitenden Texte enthalten ist, damit er fähig werde, denselben in seinem Kunstprodukte auszudrücken. Sein Herz muß daher allen leidenschaftlichen Eindrücken offen stehen, und sich für dieselben interessiren können, denn er hat es bey Tonstücken für den Gesang nicht mit willkührlichen Ausflüssen einer schöpferischen Fantasie, sondern mit dem Ausdrucke der im Texte enthaltenen Modifikationen der auszudrückenden Empfindung zu thun.

Man giebt überdies bey dem Singesatze noch folgende Regeln:

  1. Die Singstimme muß stets den Hauptgesang führen, und der Instrumentalbegleitung nicht untergeordnet seyn; sie darf
  2. nicht von der Begleitung zu sehr verdeckt werden, das heißt, die zufälligen Schönheiten der Begleitung dürfen nicht verhindern, daß die Melodie des Gesanges genugsam hervorsteche.
  3. Die Worte des Textes dürfen ohne ganz besondere Ursachen nicht eher wiederholt und versetzt werden, als bis die Periode erst völlig vorgetragen worden ist.
  4. Die Melodie muß in Ansehung des Steigens und Fallens der Töne der guten Deklamation des Textes angemessen seyn.
  5. Die Ruhepunkte des Geistes der Melodie müssen den Ruhepunkten des Geistes, die der Text enthält, conform seyn, das heißt, es darf weder ein Tonschluß auf die Sylben des Textes gesetzt werden, wenn diese Sylben nicht den völligen Schluß einer Periode ausmachen; eben so wenig darf man sich eines Absatzes oder einer Halbcadenz im Satze bedienen, wenn die Worte des Textes keinen, einem solchen Absatze entsprechenden, Ruhepunkt des Geistes enthalten.
  6. Tonart, Taktart, Zeitmaaß, Rhythmus, die Art der Begleitung u.s.w. müssen sorgfältig der Natur der auszudrückenden Empfindung gemäß gewählet werden.
  7. Die längere oder kürzere Ausführung des zu bearbeitenden Singesatzes muß sich genau <1390> nach der Beschaffenheit der dabey zum Grunde liegenden Empfindung richten. Verschiedene Empfindungen haben das Eigenthümliche, daß sie gern bey einem und eben demselben Gegenstande verweilen; andere springen gern bald davon ab, modificiren sich mit Hastigkeit, und betrachten ihren Gegenstand aus vielerley Gesichtspunkten u.s.w.

Von den besondern Arten und Gattungen der Sätze, welche im Singesatze bearbeitet werden, und die man in dem Artikel Singstück angezeigt findet, wird in besondern Artikeln gehandelt.

Von der Singkomposition insbesondere handeln: Marpurg in seiner Anleitung zur Singkomposition. Berlin 1758. in 4. - Die kritischen Briefe über die Tonkunst, und zwar vom 59sten bis 75sten Briefe, von dem Vocalsatze überhaupt, und vom 97sten bis 117ten Briefe von dem Recitative insbesondere. - Abhandlung über das Recitativ von Johann Adolph Scheibe, in der Bibliothek der schönen Wissenschaften, im 11ten und 12ten Bande. - Rellstabs Versuch über die Vereinigung der musikalischen und oratorischen Deklamation. Berlin 1786.

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