Kullak: Ästhetik des Klavierspiels - Kap. 2

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Die Klassik - Mozart, Clementi u.a.

<21> Die zweite Epoche hat in Mozart und Clementi ihre größten Vertreter. (Jener geb. 1756, dieser 1746.) Haydn (geb. 1732) war zwar auch bedeutend als Klavierspieler, doch hat diese Seite bei ihm bei weitem nicht das Gewicht, als die inhaltliche Erweiterung, die er der ganzen Anschauung der Tonkunst gab. Er ist der große Reformator, von welchem die Neuzeit ihren Ausgang nimmt. Er reißt sich los von dem fest einchyrstallisirten Canon der alten Anschauung, von dem strengen Dogmenthum des religiösen Spiritualismus, führt die Poesie weltlichen Reizes in einer freieren, viel proportionirter ausgelegten Form dem musikalischen Inhalte zu. Psychologisch macht aber die Weiterentwickelung des letzteren keinen Sprung, sondern verlegt die unmittelbare Harmonie mit dem Absoluten, welche früher vom Zwange des Dogma ausging, in diejenige Stimmung der menschlichen Brust, welche aus freiem Antriebe natürlichen Bedürfnisses, von keiner Härte des reiferen Lebens berührt, zu dem Glücke steter Harmonie hinneigt. Diese Stimmung findet ihren naturgemäßen Ausdruck in der Poesie des Kindes, und so führt Haydn der Tonkunst eine Fülle der frischesten, natürlichsten, oft mit der vorigen Epoche kontrastirenden Gedanken zu. In einem sich nimmer erschöpfenden Reichthume fließen aus seiner Seele in allen heutzutage noch gangbaren Formen kindlich naive Dichtungen voll jugendlicher Heiterkeit und Glückseligkeit, die ihren Styl - ganz der vorigen Epoche analog, aber umgekehrt - selbst <22> auf diejenigen Stoffe übertragen, die in den Ernst des Religiösen hinüberreichen.

Mozart tritt in die von Haydn eröffnete Bahn ein, nimmt die Harmonie seiner Form zu noch weiterer Vollendung auf, indem er sie durch Aufstellung eines zweiten Themas in den Sonatenformen inhaltvoller gestaltet. Auch das Material oder der Gehalt im Ganzen wird erweitert, indem die kindliche Naivität Haydn's in die Anmuth eines ernsteren und innigeren Gefühlszustandes übergeht. Das rein Schöne, und dieses in dem besonderen Ausdrucke der Grazie, durchweht alle Schöpfungen, vom tiefsinnigen Ernste an bis zu einer der Haydn'schen Stimmung verwandten, aber von innigerer Wärme durchglühten Heiterkeit.

Eine bestimmte und anschauliche Vorstellung von Mozarts Klavierspiel zu geben, ist leider in noch geringerem Maße möglich als bei Bach. Es werden nur einige charakteristische Züge überliefert. Seine Hand legte er so sanft und natürlich an die Tastatur, als wäre sie dazu geschaffen. Es war dem Auge nicht minder ein Genuss, als dem Ohre, dieselbe zu beobachten. Durch das Studium der Bach'schen Werke, und besonders durch Annahme seiner Applicatur, bildete er seine Technik zur Vollkommenheit aus. Er äußerte von Ph. E. Bach: "Er ist der Vater, wir sind die Buben". Gerühmt wird seine ruhige Hand, sowie die natürliche Leichtigkeit und Flüssigkeit seiner Passagen; Correctheit, Deutlichkeit und Bestimmtheit in allem Einzelnen. Im Takthalten war er immer "accurat", so daß bei einem tempo rubato im Adagio die linke Hand nicht nachgab, sondern unbekümmert um die rechte am Takte festhielt, das Ganze aber doch vollendeten Ausdruck und innige Empfindung verrieth. Feinheit und Geschmack, sowie die Erhebung der ganzen Technik in den geistigen Hauch des Inhaltes, stellen ihn als Virtuos auf eine Höhe, die einstimmig vom Publikum, von Kennern und urtheilsfähigen Künstlern eingeräumt wird. Clementi erklärte, <23> er habe so geist- und anmuthsvoll wie Mozart keinen spielen hören; Dittersdorf findet in seinem Spiele Kunst und Geschmack vereinigt; Haydn versicherte mit Thränen, Mozart's Spiel sei ihm unvergeßlich, weil es ans Herz ging. Von einem besonders glänzenden Reize soll sein Staccato gewesen sein.

Mozart's großer Nebenbuhler war Muzio Clementi. Beide stehen sich als Gründer sogenannter Schulen gegenüber. Es dürfte sich indeß kaum bezweifeln lassen, daß an Technik Clementi noch bedeutender war. Gerühmt wird die durchbildete Geläufigkeit, die Ruhe der Hand, eminente Kraft und Fülle des Anschlags, Klarheit, Egalität, ein vortrefflicher Vortrag des Adagios, ein geschicktes (obwohl wahrscheinlich mit dem Arme ausgeführtes) Oktavenspiel. Er soll selbst Oktaventriller mit einer Hand dargestellt haben.

Was Clementi von Mozart unterscheidet, ist der Gegensatz der englischen und Wiener Richtung, die, von dem Mechanismus der Instrumente ausgehend, auch auf den Charakter Einfluß ausübt. Mozart, als Repräsentant der Wiener Schule, prägt Leichtigkeit, Grazie, Glanz, Lebhaftigkeit aus. Die leichte Mechanik des Instrumentes begünstigte dies. Clementi, gewöhnt war an den tieferen Fall, das schwere Herabdrücken der Tasten, den langsingenden und vollen Ton des englischen Mechanismus, hatte eine gehaltene, ernste, eigentlich großartige Richtung in Spiel und Komposition.

Beide Schulen haben ihre besondere Geschichte. Die Wiener Schule artete später aus, indem sie der geistigen Elemente Mozart's verlustig ging und im flachen Bravourspiel lediglich den Effekt im Auge hatte. Bevor dieser Verfall ganz eintrat, erreichte sie in Hummel und Moscheles einen etwas inhaltvolleren Höhepunkt. Jener steht ganz auf Mozart'schem Standpunkte, Inhalt und Form sind fast dieselben; nur die Technik ist zu größerer Vollkommenheit entfaltet und tritt bereits oft um ihrer selbst willen hervor. Sein Spiel war durch höchste Sauberkeit und Correctheit, verbunden mit lebhafter, besonders <24> in der Declamation feiner Rhythmik, ausgezeichnet. Moscheles ist in der Nüancirung des Tones vielseitiger, in der Bravour größer, strebt im ganzen aber ebenfalls nach Zierlichkeit und Eleganz mehr als nach tieferem Inhalt. Durch feiner und sorgfältiger ausgebildeten Vortrag übertrifft er Hummel, der im ganzen bei allen Vorzügen von einer gewissen Monotonie der Darstellung nicht freizusprechen war. Später sank die Schule. Bei Mozart allein standen Technik und Geist in richtiger Harmonie. Hummel bleibt diesem Standpunkte noch am meisten treu und steht inhaltlich in einer Reihe halbklassischer Kompositionen über Moscheles. Wölffl und Steibelt, mehr noch Kalkbrenner, Herz, Czerny huldigen einseitig dem technischen Glanze und verflachen, wenige Ausnahmen abgerechnet (z. B. das D-moll-Konzert von Kalkbrenner), die Idee so weit, daß der letztere im Vordergrunde bleiben muß.

Die Clementische Schule findet in Cramer und Dussek ihren nächsten Fortgang. Das Effektstreben ist hier bei weitem geringer als in der Wiener Schule. Ein fast alterthümlicher Geist weht aus dieser Virtuosität. Ruhe, Besonnenheit, Klarheit, große Gebundenheit, seelenvoller Gesang, eine sich gleichbleidende, jeder Extravaganz fremde Haltung bezeichnen diese Richtung. Mozart's Schule benutzt wenig das Pedal, hier kommt es zu häufigerem Gebrauche. Ist Clementi mehr in Kraft und Großartigkeit hervorragend, so Cramer durch Lieblichkeit und jene eben bezeichnete Maaßhaltung des Styls. Dussek, der besonders das Pedal, war berühmt durch den Vortrag des Cantabile und grandiose Sentimentalität, obwohl seine Kompositionen, an Gehalt denen der vorher genannten Meister nachstehen. Ihm schließt sich Berger [Ludwig Berger, 1777-1839] an, dessen Entwickelung wesentlich unter Clementi's Einflusse stand; in Spiel und Komposition huldigte er einer gewissen spiritualistischen Schwärmerei, und an ihn schließt sich der Dresdener Hoforganist Klengel [A. Alexander Klengel, 1784-1852], was die bessere Richtung des Inhalts betrifft, an. Der bedeutendste <25> Virtuose dieser Schule ist aber Field [John Field, 1782-1832], dessen Anschlag (mit mehr senkrecht stehenden als krummen Fingern) zu dem Schönsten gehört, was die Klaviervirtuosität namhaft machen kann, der in der pittoresken Vertheilung von Licht und Schatten, in vollendeter Sauberkeit, verbunden mit wärmster Empfindung, einer der größten Meister aller Zeiten bleibt. Endlich ist noch Karl Mayer [Charles Mayer, 1799-1862], als letzter Repräsentant dieser Schule vorzuführen; dies bezieht sich aber nur auf seine erste Epoche; seine spätere Entwickelung unterliegt gänzlich dem nachtheiligen Einflusse der modernen Effekthascherei, und zwar in der flachsten Form. -

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