Kullak: Ästhetik des Klavierspiels - Kap. 3

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L. Köhler: Systematische Lehrmethode für Klavierspiel und Musik (1857)

Den Schluß der hier mitzutheilenden Schriften machen endlich zwei diametral gegenüberstehende Werke, wovon das eine ausschließlich die Mechanik, das andere die Vortragsseite behandelt. Zwischen beiden äußersten Polen des Klavierspiels fehlte bis zu jener Zeit noch die combinirende Vermittlung. Das erste führt den Titel:

Louis Köhler's "Systematische Lehrmethode für Klavierspiel und Musik". Erster Band: "Die Mechanik als Grundlage der Technik". [3 Bde. Leipzig 1857/] 1858.

Sieht man von einer zu abstracten Darstellung eines an sich bereits trockenen Objectes ab, so muß man der Genauigkeit, womit hier die Mechanik in einigen ihrer Grundbegriffe, sowie in Einzelheiten ihrer Bewegungen, Formen und zweckdienlichen Anwendung erkannt ist, Gerechtigkeit wiederfahren lassen. Die Abgrenzung des mechanischen Gesichtspunktes bringt es mit sich, daß auch die Anschlagsfrage, die in diesem Werke eine bedeutende Rolle spielt, nur von seiten ihrer äußerlichen Faktoren behandelt wird. Demgemäß theilt der Verfasser den Anschlag nach den Verhältnissen der Hebel-Bewegungen und Hebel-Längen in vier Klassen:

  1. In den Anschlag mit dem ganzen Finger aus dem Knöchelgelenk.
  2. In den mit dem Vordergliede des Fingers.
  3. In den Handgelenkanschlag; und
  4. in den Anschlag mit dem Vorderarme aus dem Ellenbogengelenk.

Diese Theorie reicht indeß nicht aus. Einmal ist der Begriff <105> des Anschlags eben so sehr ein geistiger als mechanischer, und eine Auffassung von einer Seite erschöpft ihn nicht; zweitens aber ist auch der mechanische Gesichtspunkt unvollständig gegeben. Der Anschlag mußte nach dem letzteren in seine sinnlichen Faktoren zerlegt und nach dem Unterschiede derselben bestimmt werden. Die vierfache Beschaffenheit der Anschlagshebel ist richtig, aber die Tonbildung wird entweder durch Schlag oder durch Druck zu Wege gebracht. Dies zerlegt sogleich die Viertheilung in eine doppelt so große Reihe. Zieht man auch das Prinzip des überwiegenden Druckes der praktischen Uebersichtlichkeit halber nur auf die Thätigkeit der Fingerspitze zusammen in Eins, so müßte man fünf Klassen mindestens anerkennen. Die zuletzt genannte würde dem singenden Anschlag zu eigen kommen. Außerdem giebt es aber noch Anschlagsfarben, die zwischen Schlag und Druck schweben, wenn der Finger gleitet oder streicht, wie beim carezzando oder bei manchen Arten des portamento. Dieser Arten ist in dem Köhler'schen Buche gleichfalls nicht gedacht, und somit erschöpft es trotz mancher sehr weit ausgelegten Untersuchung sein Objekt nicht.

Außerdem ist für die Haltung der Finger und der Hand ein zu pedantischer Maaßstab angenommen worden; die Theorie tritt in ihrer Abstracion so streng auf, daß ihr die Praxis nur in vereinzelten Fällen folgen kann,und trotz aller Pünktlichkeit doch nicht auf dem nächsten Wege zum Ziele gelangt. Der eigentliche Kernpunkt der Klaviermechanik, worüber später das Erforderliche gesagt werden soll, ist zu wenig hervorgehoben.

[Textzusatz der 8. Auflage]

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