Mattheson: Der vollkommene Capellmeister

Teil 2, Kap. 13 [Seite 34 von 41]

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Aria

§. 130. Die Instrumental=Music hat ferner eine eigene Gattung der Melodien an der ins besondre so genannten

XV. Aria,

mit und ohne Verdoppelungen, die im Welschen Partite heissen; im Frantzösischen Doubles.

Diese Spiel=Arie hat sowol auf dem Clavier, als auf allerhand andern Instrumenten Platz, und ist gemeiniglich eine kurtze, in zween Theile unterschiedene, singbare, schlechte Melodie, die nur mehrentheils darum so einfältig aufgezogen kömmt, daß man sie auf unzehlige Art kräuseln, verbrämen und verändern möge, um dadurch, wiewol mit Beibehaltung der Grund=Gänge, seine Faustfertigkeit sehen zu lassen. Der Affect mögte wol auf eine Affectation hinauslauffen: wiewol in der schlechten und gründlichen Melodie, an und für sich selbst, verschiedene Gemüths=Bewegungen angebracht werden können.

§. 131. Zu Frobergers Zeiten, etwa vor 70 bis 80 Jahren, war dieser Partiten=Geist dermaassen eingerissen, daß nicht nur auf besondere kleine Arien, oder Arietten, z. E. auf ein so genanntes Lantürlü=Liedlein, wenigstens ein halb Dutzend Variationen herhalten musten; sondern selbst die Allemanden, Couranten &. wurden damit angesteckt, und kamen nicht ohne Brüche, krumme Sprünge und vielgeschwäntzte Noten davon. Mir ist es eine Freude, daß dieser Geschmack, sonderlich auf dem Clavier, ziemlich gefallen ist, und Kuhnau war, meines Behalts, der erste, der es wagte, eine harmoniöse Arie, wo die Mittelstimmen nicht still sitzen, ohne dergleichen unbequemes Gefolge, im ersten Theil seiner Clavier=Uibung No. 63 ans Licht zu stellen.

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