Nicolai: Musik & Artzneygelahrtheit

§. 4. Die Verhältniß der Tone.

Die Naturlehrer haben erwiesen, daß die Geschwindigkeit der zitternden Bewegungen in zweyen Saiten, welche gleiche Dicke und Spannung haben, sich umgekehrt wie die Länge der Saiten verhält. Diesem zu folge muß eine kurtze Saite geschwinder zittern, als eine lange. Ist die Saite halb so lang, als eine andere, so verrichtet sie ihre zitternde Bewegung noch einmahl so geschwinde und giebt einen Ton von sich, der um eine Octave höher ist als derienige, welchen eine noch einmahl so lange Saite hören läßt. Demnach kan man aus der Länge der Saiten die Geschwindigkeit ihrer zitternden Bewegungen, folglich die Verhältniß der Tone bestimmen, und man hat gefunden, daß selbige folgende sey: <7>

Wenn sich eine Saite
zur andern verhält wie
    So entsteht
1 : 1   der Unisonus
2 : 1   die Octave
3 : 2     Quinte
4 : 3     Quarte
5 : 4     grosse Tertie
6 : 5     kleine Tertie
5 : 3     grosse Sexte
8 : 5     kleine Sexte
15 : 8     grosse Septime
9 : 5     kleine Septime
64 : 45     falsche Quinte
9 : 8     grosse Secunde
10 : 9     kleine Secunde

Aus diesem erhellet, daß ein ieder Ton seine besondere Verhältniß hat, und diese muß man wissen, wenn man von ihm eine Erklärung geben will, denn eben dadurch unterscheidet er sich von einem andern Ton. was ist der einstimmige Klang (unisonus) anders, als eine Ubereinstimmung der Tone, die sich gegeneinander verhalten wie 1 zu 1? Ein Ton verhält sich zu seiner Octave, wie 1 zu 2. Demnach ist die Octave eine Ubereinstimmung zweyer Tone, die sich gegeneinander verhalten, wie 2 zu 1. So kan man ferner sagen, daß die Quinte eine Ubereinstimmung zweyer Tone sey, die sich gegeneinander verhalten wie 3 zu 2 usw.

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