Nicolai: Musik & Artzneygelahrtheit

§. 5. Von den Consonantien und Dissonantien.

<8> Aus der Erfahrung ist bekannt, daß einige Tone einen angenehmen Klang, andere einen unangenehmen Klang von sich geben, wenn sie zugleich gehöret werden. Die erstern nennt man Consonantien, die letztern Dissonantien. Die Consonantien werden in vollkommene und unvollkommene eingetheilet. Die vollkommenen Consonantien sind die, welche eine solche Eigenschaft haben, daß sie keiner Auflösung bedürfen und das Gehör völlig vergnügen. Die unvollkommenen Consonantien werden dieienigen genennet, welche vermöge ihrer Eigenschaften eine Auflösung nöthig haben und das Gehör nicht gantz beruhigen. Nun sind die Tone des harmonischen Dreyklangs (triadis harmoniae) als die Octav, Quinte und Tertie so beschaffen, daß sie keine Auflösung brauchen und das Gehör vollkommen vergnügen. Derowegen sind die Octav, Quinte und Tertie vollkommene Consonantien. Die unvollkommenen sind die Quarte und Sexte. Der geschikte Herr Magister Mitzler hat in seiner Disputation, darinnen er beweiset, daß die Musik eine Wissenschaft sey, dieses weitläuftiger abgehandelt und zugleich die Einwürfe, so dagegen gemacht werden können, beantwortet. Das Gehör findet an dem harmonischen Dreyklang ein so grosses Vergnügen, daß er in der Musik <9> so oft angebracht wird als es angeht und ohne Verletzung anderer Regeln geschehen kan. Ja, die Dissonantien, so darzwischen gesetzt werden, haben nichts anders als die beständige Veränderung desselben zum Endzweck. Man betrügt sich aber, wenn man meint, daß eine Verbindung der Tone, welche einen Wohnklang verursachen sollen, aus lauter Consonantien bestehen müßte. Nein, das ist gar nicht nöthig. Eine wohl angebrachte Dissonantz macht den Wohlklang viel angenehmer und mercklicher, und ich sollte fast glauben, daß dieses deswegen geschähe, weil durch die Dissonantz die Aufmercksamkeit der Seele, welche sich vorher bloß an Consonantien vergnüget hat, rege gemacht wird, daß sie sich hernach das Vergnügen desto klärer und lebhafter vorstellet, welches die Consonantz erreget, auf welche es hinauslauft. Wäre dieses nicht, wie wollte man denn eine der vornehmsten Regeln in der Musik rechtfertigen können, welche erfordert, daß zwey Octaven und Quinten nicht unmittelbar auf einander folgen dürfen? Die angenehme Empfindung, welche eine Octave oder Quinte verursacht hat, muß allerdings etwas von ihrer Klarheit und Lebhaftigkeit verlieren, wenn dieselbe wiederhohlt wird. Eine neue Vorstellung hat allezeit mehr Klarheit als eine andere, die ihr gleich ist, und eine Vorstellung, welche fortdauret, folglich ihre Neuigkeit verlieret, leidet auch an ihrer Klarheit einen Abgang.

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