Nicolai: Musik & Artzneygelahrtheit

§. 22. Die Musik kan nach ihrer Beschaffenheit die Gesundheit befördern und Kranckheiten curiren.

Die Musik kan angenehme Affecten erregen, wenn sie darnach eingerichtet ist [Siehe] §. 13. Da nun die Bewegungen im Körper, so damit verknüpft sind, die zum Leben und Gesundheit nöthigen Verrichtungen befördern [Siehe] §. 21., so kan die Musik in dem Fall als ein Mittel angesehen werden, das der Gesundheit sehr zuträglich ist. Und auf eben diese Weise läßt sich begreifen, wie sie geschickt werden kan, dieienigen Kranckheiten, wo nicht zu heben, doch zu lindern, welche aus einer langsamen Bewegung der Säfte ihren Ursprung nehmen, vornemlich wenn selbige von einem unangenehmen Affecte herrühren. Denn ist sie vermögend eine angenehme Gemüthsbewegung als Freude zu erregen, und diese zu unterhalten, so muß sich das Geblüt <41> geschwinder, freyer und stärcker bewegen, als vorher, und das macht eben, daß die Kranckheit nachlassen muß. Setzet, Sempronius sey vor Betrübniß gantz melancholisch geworden, und mit sehr schlimmen Zufällen geplagt. Macht ihm allerhand Ergötzlichkeiten und bemüht euch die unangenehme Leidenschaft zu dämpfen und eine entgegengesetzte nemlich eine angenehme hervorzubringen, ich bin gut davor, seine Kranckheit wird um einen guten Theil nachlassen und wohl gar gehoben werden. Das macht, die langsamen Bewegungen, welche die Zufälle verursachen, hören auf, und bekommen ihre gehörige Geschwindigkeit und Stärcke wieder. Wenn nun die Musik geschickt ist einen angenehmen Affect zu erregen, sollte sie nicht eben das ausrichten können? Es ist ia bekannt, daß aus den unangenehmen Affecten sehr viele Kranckheiten entstehen, wenn sie heftig sind. Diese hören auf, oder lassen wenigstens nach, wenn eine solche angenehme Gemüthsbewegung erregt und unterhalten wird, welche Bewegungen des Körpers verursachet, so von den Bewegungen, die von unangenehmen Affecten herrühren, verschieden oder wohl gar ihnen entgegengesetzt sind. Wir sehen dieses an Freude und Traurigkeit. Es versteht sich aber von selbst, daß die Abwechselung dieser beyden Affecten nicht so geschwind hintereinander geschehen müsse, wenn man die Gesundheit dadurch erhalten will. Gesetzt demnach, <42> die Musik wäre so eingerichtet, daß sie einen angenehmen Affect erregte und unterhielte, mit dem solche Bewegungen verknüpft wären, die den schädlichen Bewegungen, so von einem andern Affect herrühren, entgegen gesetzt wären, sollte sie nicht auf diese Art sehr vieles zur Wiederherstellung der Gesundheit beytragen können?

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