Nicolai: Musik & Artzneygelahrtheit

§. 23. Die Musik kan die Melancholie vertreiben.

In den Kranckheiten, welche von starcken unangenehmen Leidenschaften entstehen, hat man sowohl auf das Gemüth als auf den Körper zusehen, und in Erwegung zu ziehen, ob sie schon lange gedauret haben und eingewurtzelt sind oder nicht. Im ersten Fall hält es schwer den Körper und das Gemüth wieder in Ordnung zu bringen, im andern aber geht die Cur leichter von statten. Wer der Traurigkeit nachhänget, der kan leicht melancholisch werden. Seine Einbildungskraft wird nach und nach mit lauter unangenehmen Vorstellungen angefüllt, welche alle andere angenehme Vorstellungen schwächen und unterdrucken. Gesetzt demnach, die Musik wäre so eingerichtet, daß sie viele angenehme Empfindungen verursachte, so werden die unangenehmen Vorstellungen in der Einbildungskraft viel von ihrer Lebhaftigkeit verlieren, und wenn die Aufmercksamkeit auf die Musik gelencket wird, <43> durch die vielen angenehmen Empfindungen unterdruckt werden, daher das Vergnügen die Oberhand bekommen und die Melancholie nachlassen muß. Lehrt aber nicht die Erfahrung, daß dieses geschiehet? Allerdings. Eine lustige Musik macht einen traurigen und melancholischen Menschen öfters gantz aufgeräumt und vergnügt. Ja, ich habe mir so gar sagen lassen, daß sich einige derselben, wenn sie melancholisch sind, als eines Mittels bedienen, dadurch sie ihre Melancholie vertreiben. Der Verfasser des Buchs von der Historie der Musik, welches in Französischer Sprache heraus gegeben worden, meldet, daß er bey einem guten Freunde, der in Diensten bey dem Printzen von Oranien gestanden, ein klein Concert musiciren gehöret, das drey geschickte Musici verfertiget hatten, und von welchem ihm versichert wurde, daß es eine Hertzstärckung seines Herrn wäre, deren er sich bediente, die Melancholie zu vertreiben, und wenn er kranck wäre. Er sagt ferner, daß er viele vornehme Personen gekennt hätte, die sich eben dieses Mittels zur Linderung der Schmertzen im Podagra bedienet hätten. Und was darf man sich darüber verwundern? Erzehlen doch die Geschichtschreiber von dem Wendenkönige, Gilimer, daß derselbe, als er die Schlacht wieder den Belisarius verlohren und in sehr betrübten Umständen war, zu diesem General geschickt habe und sich von ihm Brodt ausbitten lassen, damit er sich des Hungers entwehren könte, <44> ingleichen einen Schwamm um die Trähnen damit abzutrocken, und endlich auch in musicalisches Instrument um sich dadurch in seinen Unglück zu trösten. Selbst der Herr Professor Juncker hat mir versichert, daß ein Französischer Medicus die Gewohnheit habe, seine Patienten, die in eine Melancholie verfallen sind, durch die Musik zu curiren. Solchergestalt wird man der Musik den Vorzug nicht streitig machen können, daß sie geschickt sey die Melancholie zu vertreiben und die in Unordnung gerathene Einbildungskraft in Ordnung zu bringen.

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