Nicolai: Musik & Artzneygelahrtheit

§. 29. Die Musik kan Kranckheiten verursachen.

<61> Ich habe die Musik bishero betrachtet, in so fern sie die Gesundheit befördern kan, und nun wäre es billig, daß ich abhandelte, wie sie geschickt sey Kranckheiten zu erregen. Ich würde dieses auch etwas weitläuftiger ausführen, wenn mir nur einige Exempel bekannt wären, dadurch ich diesen Satz bekräftigen könnte. Indessen ist doch so viel gewiß, daß die Musik unangenehme Affecten als die Traurigkeit erregen kan, wenn sie darnach eingerichtet ist [Siehe] §. 13, §. 14. Nun zielen die Bewegungen, so damit verknüpft sind, zum Verderben des Körpers ab und sind demselben schädlich [Siehe] §. 21. Derowegen wird auch die Musik geschickt seyn Kranckheiten zu verursachen. Bey der Traurigkeit bewegt sich das Hertz langsam, und das Geblüt gerätht leicht ins Stocken. Gesetzt demnach, die Musik wäre so eingerichtet, daß sie die Traurigkeit erregen und unterhalten könnte, wer wollte zweifeln, daß sie nicht eben dergleichen Wirckungen hervorbringen sollte? Geschiehet aber das, so können sehr leichte Kranckheiten entstehen. Man erwäge hierbey dasienige, was ich im vorhergehenden gesaget habe, nemlich, daß geschickte Componisten durch die Vermischung der Tone die Leidenschaften folglich auch die Traurigkeit sehr wohl auszudrucken wissen.

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