Quantz: Anweisung - Kap. 11
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§. 15. Der gute Vortrag muß endlich:
ausdrückend, und jeder vorkommenden Leidenschaft gemäß seyn.
Im Allegro, und allen dahin gehörigen muntern Stücken muß
Lebhaftigkeit; im Adagio, und denen ihm gleichenden Stücken aber,
Zärtlichkeit, und ein angenehmes Ziehen oder Tragen der Stimme herrschen.
Der Ausführer eines Stückes muß sich selbst in die Haupt=
und Nebenleidenschaften, die er ausdrücken soll, zu versetzen suchen.
Und weil in den meisten Stücken immer eine Leidenschaft mit der andern
abwechselt; so muß auch der Ausführer jeden Gedanken zu beurtheilen
wissen, was für eine Leidenschaft er in sich enthalte, und seinen Vortrag
immer derselben gleichförmig [angemessen] machen. Auf diese Weise nur
wird er den Absichten des Componisten, und den Vorstellungen so sich dieser
bey Verfertigung des Stückes gemacht hat, eine Gnüge leisten [...]
§. 16. Ich will einige Kennzeichen angeben,
aus denen zusammen genommen, man, wo nicht allezeit, doch meistentheils wird
abnehmen können, was für ein Affect herrsche, und wie folglich
der Vortrag beschaffen seyn, ob er schmeichelnd, traurig, zärtlich,
lustig, frech, ernsthaft, u.s.w.
<108> seyn müsse. Man kann dies erkennen
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aus den Tonarten, ob solche hart [Dur] oder weich [Moll] sind. Die harte
Tonart wird gemeiniglich zu Ausdrückung des Lustigen, Frechen, Ernsthaften,
und Erhabenen: die weiche aber zur Ausdrückung des Schmeichelnden,
Traurigen, und Zärtlichen gebrauchet [...] Doch leidet diese Regel ihre
Ausnahmen: und man muß deswegen die folgenden Kennzeichen mit zu Hilfe
nehmen. Man kann
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die Leidenschaften erkennen: aus den vorkommenden Intervallen, ob solche
nahe oder entfernet liegen, und ob die Noten geschleifet [gebunden] oder
gestoßen werden. Durch die geschleifeten und nahe an einander liegenden
Intervalle wird das Schmeichelnde, Traurige, und Zärtliche; durch die
kurz gestoßenen, oder in entferneten Sprüngen bestehenden Noten
[...], aber, wird das Lustige und Freche ausgedrücket. Punctirte und
anhaltende Noten drücken das Ernsthafte und Pathetische; die Untermischung
langer Noten, als [über die Dauer] halber und ganzer Tacte, unter die
geschwinden, aber, das Prächtige und Erhabene aus.
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Kann man die Leidenschaften abnehmen: aus den Dissonanzen. Diese thun nicht
einerley, sondern immer eine vor der andern verschiedene Wirkungen [...]
Die
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Anzeige des herrschenden Hauptaffects ist endlich das zu Anfang eines jeden
Stückes befindliche Wort, als: Allegro, Allegro non tanto, --- assai,
--- di molto, --- moderato, Presto, Allegretto, Andante, Andantino, Arioso,
Cantabile, Spiritoso, Affetuoso, Grave, Adagio, Adagio assai, Lento, Mesto,
u.a.m. [Es handelt sich hierbei also primär um Affekt-, nicht um
Tempobezeichnungen!] Alle diese Wörter, wenn sie mit gutem Bedachte
vorgesetzet sind, erfodern jedes einen besondern Vortrag in der Ausführung:
zugeschweigen, daß, wie ich schon gesaget habe, jedes Stück von
oben bemeldeten Charakteren unterschiedene Vermischungen von pathetischen,
schmeichelnden, lustigen, prächtigen, oder scherzhaften Gedanken in
sich haben kann, und man sich also, so zu sagen, bey jedem Tacte in einen
andern Affect setzen muß, um sich bald traurig, bald lustig, bald
ernsthaft, u.s.w. stellen zu können: welche Vorstellung bey der Musik
sehr nöthig ist. Wer diese Kunst recht ergründen kann, dem wird
es nicht leicht an dem Beyfalle der Zuhörer
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allezeit rührend seyn. [...]
§. 17. Es muß sich ein jeder hierbey
auch nach seiner angebohrnen Gemüthsbeschaffenheit richten, und dieselbe
gehörig zu regieren wissen. Ein flüchtiger und hitziger Mensch,
der hauptsächlich zum Prächtigen, Ernsthaften, und zu
übereilender Geschwindigkeit aufgeleget ist, muß beym Adagio suchen,
sein Feuer so viel als möglich ist zu mäßigen. Ein trauriger
und niedergeschlagener Mensch hingegen thut wohl, wenn er, um ein Allegro
lebhaft zu spielen, etwas von jenes seinem überflüßigen Feuer
anzunehmen suchet. Und wenn ein aufgeräumter oder sanguinischer Mensch,
eine vernünftige Vermischung der Gemüthsbeschaffenheiten der beyden
vorigen bey sich zu machen weis, und sich nicht durch die ihm angebohrne
Selbstliebe und Gemächlichkeit, den Kopf ein wenig anzustrengen, verhindern
läßt: so wird er es im guten Vortrage, und in der Musik
überhaupt, am weitesten bringen. [...]