Quantz: Anweisung - Kap. 18

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§. 33. Ein ernsthaftes, oder für das Große gesetzetes einfaches Concert verlanget im ersten Satze:

  1. ein prächtiges und mit allen Stimmen wohl ausgearbeitetes Ritornell;
  2. einen gefälligen und begreiflichen Gesang;
  3. richtige Imitationen.
  4. Die besten Gedanken der Ritornells können zergliedert, und unter oder zwischen die Solo vermischet werden.
  5. Die Grundstimme muß wohlklingend, und baßmäßig seyn.
  6. Man mache nicht mehr Mittelstimmen, als es die Hauptstimme erlaubet: denn es thut oftmals bessere Wirkung, wenn man die Hauptstimmen verdoppelt; als wenn man die Mittelstimmen hinein zwingt.
  7. Die Bewegungen der Grundstimme und der Mittelstimmen dürfen die Hauptstimme, weder an ihrer Lebhaftigkeit verhindern, <296> noch sie übertäuben oder unterdrücken.
  8. Im Ritornell muß man eine proportionirliche Länge beobachten. Es muß dasselbe wenigstens aus zween Haupttheilen bestehen. Der zweyte Theil davon, muß, weil man ihn am Ende des Satzes wiederholet, und damit schließet, mit den schönsten und prächtigsten Gedanken ausgekleidet werden.
  9. Sofern der Anfangsgedanke vom Ritornell nicht singend, noch zum Solo bequem genug ist: so muß man einen neuen Gedanken, welcher jenem ganz entgegen ist, einführen, und mit den Anfangsgedanken dergestalt verbinden, daß man nicht bemerken könnte, ob solches aus Noth, oder mit gutem Bedachte geschehen sey.
  10. Die Solosätze müssen theils singend seyn, theils muß das Schmeichelnde mit brillanten, melodischen, und harmonischen, dem Instrumente aber gemäßen Passagen, untermischet, auch, um das Feuer bis ans Ende zu unterhalten, mit kurzen, lebhaften, und prächtigen Tuttisätzen abgewechselt werden.
  11. Die concertirenden oder Solosätze dürfen nicht zu kurz, die mittelsten Tutti hingegen, nicht zu lang seyn.
  12. Das Accompagnement unter dem Solo muß nicht solche Bewegungen haben, welche die concertirende Stimme verdunkeln könnten; es muß vielmehr immer wechselsweise bald aus vielen, bald aus wenigen Stimmen bestehen: damit die Hauptstimme dann und wann Luft bekomme, sich mit mehrerer Freyheit hervor zu thun. Licht und Schatten muß überhaupt immer unterhalten werden. Wenn es die Passagien leiden, oder man sie solchergestalt zu erfinden weis, daß die begleitenden Stimmen darunter etwas bekanntes aus dem Ritornell anbringen können: so thut es eine gute Wirkung.
  13. Man muß immer eine richtige und natürliche Modulation beobachten, und keine allzufremde Tonart, welche das Gehör beleidigen könnte, berühren.
  14. Das Metrum, auf welches man in der Setzkunst überhaupt ein genaues Augenmerk zu richten hat, muß auch hier genau beobachtet werden. Die Cäsur, oder die Einschnitte der Melodie, dürfen im gemeinen geraden Tacte nicht auf das zweyte oder vierte Viertheil, und im Tripeltacte nicht auf den dritten oder fünften Tact fallen. Man muß das Metrum, so wie man es angefangen hat, es sey zu ganzen oder halben Tacten, oder im Tripeltacte zu zween, vier, oder acht Tacten, zu unterhalten suchen: weil ausserdem die künstlichste Composition mangelhaft wird. Im Tripeltacte wird, bey einem Arioso, wenn in demselben die Melodie öftere Abschnitte leidet, die Cäsur zu drey und zween Tacten nach einander zugelassen.
  15. Die Passagien darf man durch die Transposition, nicht <297> in einerley Art bis zum Ekel verfolgen: man muß vielmehr zu rechter Zeit unvermerkt abbrechen, und sie verkürzen.
  16. Am Ende darf man sich nicht übereilen, oder zu kurz abschnappen: man muß dasselbe vielmehr wohl zu befestigen suchen. Man darf nicht mit lauter neuen Gedanken schließen: man muß vielmehr die gefälligsten Gedanken von dem, was vorher gehöret worden, im letzten Solosatze wiederholen.
  17. Endlich muß man im letzten Tutti, mit dem zweyten Theile vom ersten Ritornell, das Allegro, so kurz als möglich ist, beschließen.

§. 34. Zu dem ersten Satze eines prächtigen Concerts, schicken sich nicht alle Tactarten. Soll derselbe lebhaft seyn, so kann man den gemeinen geraden Tact, wo die geschwindesten Noten aus Sechzehntheilen bestehen, darzu nehmen; und die Cäsur auf den zweyten Theil des Tactes fallen lassen. Soll gedachter erster Theil zugleich prächtig seyn: so erwähle man ein längeres Metrum, dessen Cäsur allemal einen ganzen Tact einnimmt, und nur auf den Niederschlag des Tactes fällt. Soll ein dergleichen erster Satz aber ernsthaft und prächtig seyn: so kann man, in der gemeinen geraden Tactart, eine Bewegung von mäßigerer Geschwindigkeit, wo die geschwindesten Noten aus Zwey und dreißigtheilen bestehen können, und die Cäsur auf den zweyten Theil des Tactes fällt, dazu wählen. [...] Der ordentliche Allabrevetact, dessen geschwindeste Noten aus Achttheilen bestehen, ist wie der Zweyvierhteiltact anzusehen, und schicket sich deswegen besser zum letzten als zum ersten Satz: weil er, wenn man nicht immer gebunden und vollstimmig darinne arbeitet, mehr Gefälliges und Prächtiges ausdrücket. Der Tripeltact wird überhaupt wenig zum ersten Satze gebrauchet: es wäre denn der Dreyviertheiltact, mit Sechzehntheilen vermischet; wobey die Bewegungen de Mittelstimmen und der Grundstimme aus Achttheilen bestünden, und die Harmonie sich mehrentheils nur zu ganzen Tacten änderte.

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