Quantz: Anweisung - Kap. 18
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§. 33. Ein ernsthaftes, oder für das
Große gesetzetes einfaches Concert verlanget im ersten Satze:
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ein prächtiges und mit allen Stimmen wohl ausgearbeitetes Ritornell;
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einen gefälligen und begreiflichen Gesang;
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richtige Imitationen.
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Die besten Gedanken der Ritornells können zergliedert, und unter oder
zwischen die Solo vermischet werden.
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Die Grundstimme muß wohlklingend, und baßmäßig seyn.
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Man mache nicht mehr Mittelstimmen, als es die Hauptstimme erlaubet: denn
es thut oftmals bessere Wirkung, wenn man die Hauptstimmen verdoppelt; als
wenn man die Mittelstimmen hinein zwingt.
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Die Bewegungen der Grundstimme und der Mittelstimmen dürfen die Hauptstimme,
weder an ihrer Lebhaftigkeit verhindern,
<296> noch sie übertäuben oder
unterdrücken.
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Im Ritornell muß man eine proportionirliche Länge beobachten.
Es muß dasselbe wenigstens aus zween Haupttheilen bestehen. Der zweyte
Theil davon, muß, weil man ihn am Ende des Satzes wiederholet, und
damit schließet, mit den schönsten und prächtigsten Gedanken
ausgekleidet werden.
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Sofern der Anfangsgedanke vom Ritornell nicht singend, noch zum Solo bequem
genug ist: so muß man einen neuen Gedanken, welcher jenem ganz entgegen
ist, einführen, und mit den Anfangsgedanken dergestalt verbinden, daß
man nicht bemerken könnte, ob solches aus Noth, oder mit gutem Bedachte
geschehen sey.
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Die Solosätze müssen theils singend seyn, theils muß das
Schmeichelnde mit brillanten, melodischen, und harmonischen, dem Instrumente
aber gemäßen Passagen, untermischet, auch, um das Feuer bis ans
Ende zu unterhalten, mit kurzen, lebhaften, und prächtigen Tuttisätzen
abgewechselt werden.
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Die concertirenden oder Solosätze dürfen nicht zu kurz, die mittelsten
Tutti hingegen, nicht zu lang seyn.
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Das Accompagnement unter dem Solo muß nicht solche Bewegungen haben,
welche die concertirende Stimme verdunkeln könnten; es muß vielmehr
immer wechselsweise bald aus vielen, bald aus wenigen Stimmen bestehen: damit
die Hauptstimme dann und wann Luft bekomme, sich mit mehrerer Freyheit hervor
zu thun. Licht und Schatten muß überhaupt immer unterhalten werden.
Wenn es die Passagien leiden, oder man sie solchergestalt zu erfinden weis,
daß die begleitenden Stimmen darunter etwas bekanntes aus dem Ritornell
anbringen können: so thut es eine gute Wirkung.
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Man muß immer eine richtige und natürliche Modulation beobachten,
und keine allzufremde Tonart, welche das Gehör beleidigen könnte,
berühren.
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Das Metrum, auf welches man in der Setzkunst überhaupt ein genaues Augenmerk
zu richten hat, muß auch hier genau beobachtet werden. Die Cäsur,
oder die Einschnitte der Melodie, dürfen im gemeinen geraden Tacte nicht
auf das zweyte oder vierte Viertheil, und im Tripeltacte nicht auf den dritten
oder fünften Tact fallen. Man muß das Metrum, so wie man es angefangen
hat, es sey zu ganzen oder halben Tacten, oder im Tripeltacte zu zween, vier,
oder acht Tacten, zu unterhalten suchen: weil ausserdem die künstlichste
Composition mangelhaft wird. Im Tripeltacte wird, bey einem Arioso, wenn
in demselben die Melodie öftere Abschnitte leidet, die Cäsur zu
drey und zween Tacten nach einander zugelassen.
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Die Passagien darf man durch die Transposition, nicht
<297> in einerley Art bis zum Ekel verfolgen:
man muß vielmehr zu rechter Zeit unvermerkt abbrechen, und sie
verkürzen.
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Am Ende darf man sich nicht übereilen, oder zu kurz abschnappen: man
muß dasselbe vielmehr wohl zu befestigen suchen. Man darf nicht mit
lauter neuen Gedanken schließen: man muß vielmehr die
gefälligsten Gedanken von dem, was vorher gehöret worden, im letzten
Solosatze wiederholen.
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Endlich muß man im letzten Tutti, mit dem zweyten Theile vom ersten
Ritornell, das Allegro, so kurz als möglich ist, beschließen.
§. 34. Zu dem ersten Satze eines
prächtigen Concerts, schicken sich nicht alle Tactarten. Soll derselbe
lebhaft seyn, so kann man den gemeinen geraden Tact, wo die geschwindesten
Noten aus Sechzehntheilen bestehen, darzu nehmen; und die Cäsur auf
den zweyten Theil des Tactes fallen lassen. Soll gedachter erster Theil zugleich
prächtig seyn: so erwähle man ein längeres Metrum, dessen
Cäsur allemal einen ganzen Tact einnimmt, und nur auf den Niederschlag
des Tactes fällt. Soll ein dergleichen erster Satz aber ernsthaft und
prächtig seyn: so kann man, in der gemeinen geraden Tactart, eine Bewegung
von mäßigerer Geschwindigkeit, wo die geschwindesten Noten aus
Zwey und dreißigtheilen bestehen können, und die Cäsur auf
den zweyten Theil des Tactes fällt, dazu wählen. [...] Der ordentliche
Allabrevetact, dessen geschwindeste Noten aus Achttheilen bestehen, ist wie
der Zweyvierhteiltact anzusehen, und schicket sich deswegen besser zum letzten
als zum ersten Satz: weil er, wenn man nicht immer gebunden und vollstimmig
darinne arbeitet, mehr Gefälliges und Prächtiges ausdrücket.
Der Tripeltact wird überhaupt wenig zum ersten Satze gebrauchet: es
wäre denn der Dreyviertheiltact, mit Sechzehntheilen vermischet; wobey
die Bewegungen de Mittelstimmen und der Grundstimme aus Achttheilen
bestünden, und die Harmonie sich mehrentheils nur zu ganzen Tacten
änderte.