Riemann: Klavierschule op. 39,1

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Kap. 11 [Seite 6 von 12]

<51> Weiter ist es für die richtige Erkenntniss der Ausdehnung der Anfangsphrase von Bedeutung, dass man sich klar macht, welche Notenwerthe Zähleinheiten sind. Bekanntlich schwankt die Dauer der Zähleinheiten etwa zwischen der Hälfte und dem doppelten der normalen Pulsgeschwindigkeit; letztere ist etwa 80 in der Minute, die langsamste musikalische Zähleinheit etwa 50, die schnellste etwa 150 in der Minute. Die langsamsten Zähleinheiten ergeben den Charakter des Largo und Adagio, die schnellsten den des Allegro und Presto; in die Mitte fallen die Zähleinheiten des Andante und Allegretto. Nur allzuhäufig wird gegen die richtige Wahl der Zähleinheiten gefehlt! Bleiben wir bei Beethoven's Sonaten stehen! Der erste und letzte Satz von Op. 2 No. 1 sind mit [alla breve] bezeichnet, d.h. es soll 2 gezählt werden (nach Halben); der Schüler fehlt also, wenn er nach Vierteln zählt. Der Lehrer muss diese falsche Art zu zählen streng bekämpfen, da gerade durch die Innehaltung der richtigen Zähleinheiten der richtige ästhetische Eindruck des Werkes auf den Spieler bedingt wird. Im Allegro ist die Wahl kleinerer Werthe als Zähleinheiten insofern verhängnissvoll, als sie eine zu langsame Temponahme veranlassen muss: aber auch wenn der Lehrer für richtige Temponahme sorgt, wird ein Zählen:

Notenbeispiel S. 51

den Schüler abhetzen und ihn zum rechten Genuss des Werkes nicht kommen lassen. Noch verbreiteter ist der Fehler und noch schlimmer die Folge der Wahl kleinerer Werthe als Zähleinheiten bei den langsamen Tempi. Zählt man im 2. Satz von Op. 2 No. 1 sechs statt drei (nach Achteln statt nach Vierteln), so sind zwei Fälle möglich:

  1. der Spieler sucht trotz des Zählens nach kleinen Werthen den Eindruck langsamer Bewegung zu gewinnen und, verzerrt daher das Tempo ins übermässig langsame.
  2. er nimmt (nach Anweisung des Lehrers) das Tempo richtig, gewinnt dann aber, weil die Zähleinheiten einander zu schnell folgen, den Eindruck einer ziemlich geschwinden Bewegung (Allegretto).

Im ersten Falle kommt die Komposition am schlechtesten <52> weg; im zweiten wird für den Spieler der Genuss des leidlich richtig gespielten Werkes gänzlich verfehlt.

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