Lieder und Gesänge. [Kreisig 119]

[Auszug]

<IV,257>[...]

[ Robert Franz, 12 Gesänge für Sopran oder Tenor mit Pianoforte. Werk 1. 2 Hefte. ]

<IV,262> Ueber die Lieder von R. Franz ließe sich viel sagen; sie sind keine vereinzelte Erscheinung und stehen im innigen Zusammenhange mit der ganzen Entwickelung unserer Kunst in den letzten zehn Jahren. Man weiß, daß in den Jahren 1830-34 sich eine Reaction gegen den herrschenden Geschmack erhob. Der Kampf war im Grunde nicht schwer; er war einer gegen das Floskelwesen, das sich, Ausnahmen wie Weber, Löwe u. A. zugegeben, fast in allen Gattungen, am meisten in der Claviermusik <IV,263> zeigte. Von der Claviermusik ging auch der erste Angriff aus; an die Stelle der Passagenstücke traten gedankenvollere Gebilde, und namentlich zweier Meister Einfluß machte sich in ihnen bemerklich, der Beethoven's und Bach's. Die Zahl der Jünger wuchs; das neue Leben drang auch in andere Fächer. Für das Lied hatte schon Franz Schubert vorgearbeitet, aber mehr in Beethoven'scher Weise, dagegen in den Leistungen der Norddeutschen die Wirkung Bach'schen Geistes sich kundgab. Die Entwicklung zu beschleunigen, entfaltete sich auch eine neue deutsche Dichterschule: Rückert und Eichendorff, obwohl schon früher blühend, wurden den Musikern vertrauter, am meisten Uhland und Heine componirt. So entstand jene kunstvollere und tiefsinnigere Art des Liedes, von der natürlich die Früheren nichts wissen konnten, denn es war nur der neue Dichtergeist, der sich in der Musik wiederspiegelte. Die Lieder von R. Franz gehören durchaus dieser edlen neuen Gattung an. Das in Bausch und Bogen fabricirende Liedermachen, das ein Stümpergedicht mit demselben Behagen rezitirt wie etwa ein Rückert'sches, fängt an in seinem Werthe gewürdigt zu werden, und wenn das gemeine Publicum den Fortschritt nicht gewahrt, den Besseren ist er längst klar geworden. Und in Wirklichkeit ist vielleicht das Lied die einzige Gattung, in der seit Beethoven ein wirklich bedeutender Fortschritt geschehen. Vergleicht man z.B. an den vorliegenden Liedern den Fleiß der Auffassung, der den Gedanken des Gedichtes bis<IV,264> auf das Wort wiedergeben möchte, mit der Nachlässigkeit der älteren Behandlung, wo das Gedicht nur eben so nebenher lief, den ganzen harmonischen Ausbau dort mit den schlotternden Begleitungsformeln, wie sie die frühere Zeit nicht loswerden konnte, so kann nur Bornirtheit das Gegentheil sehen. Mit dem Vorigen ist schon das Charakteristische der Lieder von R. Franz ausgesprochen; er will mehr als wohl- oder übelklingende Musik, er will uns das Gedicht in seiner leibhaftigen Tiefe wiedergeben. Das Still-träumerische gelingt ihm am besten; doch finden wir auch Reizendnaives, so gleich das 1ste Lied, dann das "Tanzlied im Mai", und muthigere Aufwallungen, wie in einigen Burns'schen Texten. Eine Reihe der verschiedensten Bilder und Gefühle weckt das Liederdoppelheft; etwas Schwermüthiges möchte sich überall mit einstehlen. Zum Vortrag der Lieder gehören Sänger, Dichter, Menschen; allein lassen sie sich am besten singen, und dann etwa zur Abendstunde. Einzelnes beleidigt mein Ohr, so die Anfänge des 7ten und 12ten Liedes, das öfters wiederkommende e im letzten; eines, das 7te, wünschte ich ganz aus der Sammlung entfernt, es scheint mir in Melodie und Harmonie zu gesucht. Was außerdem übrigbleibt, ist interessant, bedeutend, oft vorzüglich schön. Dem Tieck'schen Schlummerliede wünscht' ich einen musikalisch-reicheren Schluß; doch bleibt es auch ohne dies eines der glücklichsten. Wollte man einzelne feine Züge anführen, man würde <IV,265> nicht fertig; innige Musikmenschen werden sie schon herausfinden.

Die Lieder unterscheiden sich denn hinreichend von anderen. Wer aber so begonnen, darf sich nicht wundern, wenn die Zukunft noch höhere Anforderungen an ihn stellt. Erfolge in kleinen Genre's führen oft zur Einseitigkeit, zur Manier. Schütze sich der junge Künstler dagegen durch Ergreifen neuer Kunstformen, versuche er sein reiches Innere auch anders auszusprechen als durch die Stimme. Unsere Theilnahme folgt ihm gewiß überall.


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