Louis Spohr: Violinschule (Wien, 1832)

Auszüge

Zweyte Abtheilung: Dreizehnter Abschnitt.

Von den Verzierungen und Ausschmückungen.

<154> Sie dienen die Melodie zu beleben und deren Ausdruck zu erhöhen.

In früherer Zeit war es gebräuchlich, dass der Komponist die Melodie höchst einfach niederschrieb und dem Spieler oder Sänger die Ausschmückung derselben überliess. Es bildeten sich daher nach und nach eine Menge stehender Verzierungen, für die man Namen erfand und die ein Spieler von dem andern erlernte. Da aber die Nachfolgenden ihre Vorgänger im Verzieren stets überbiethen und auch Neuerfundenes hinzufügen wollten, so entstand am Ende eine solche Willkühr und daraus hervorgehende Geschmacklosigkeit im Verzieren, das die Komponisten es gerathener fanden, die nöthigen Ausschmückungen selbst vorzuschreiben, anfangs in kleinen Noten, wo die Eintheilung dem Spieler überlassen war, später in grossen Noten mit genauer Takteintheilung.

Von allen Verzierungen der frühern Zeit, [FN: Wer diese und ihre Benennungen, zum Behuf des Vortrages der damaligen Kompositionen will kennen lernen, findet die nöthige Belehrung in Leopold Mozart's Violinschule, deren erste Ausgabe im Jahr 1756 erschienen ist.] sind daher nur noch folgende in Gebrauch geblieben, die theils durch Zeichen, theils in kleinen Noten vorgeschrieben werden. Zu den erstern gehören:

  1. der Triller (tr.)
  2. der Pralltriller oder Schneller [Zeichen] und
  3. der Doppelschlag oder Mordent [sic!],

zu den andern

  1. der lange Vorschlag
  2. der kurze Vorschlag

und andere ohne Namen

Triller und Pralltriller

Der Triller ist eine gleichmässige, öfters wiederholte Abwechselung zweier neben einander liegender Töne, nämlich des Tons, über welchen das Trillerzeichen gesetzt ist und dessen kleiner (a.) oder grosser Secunde. (b.)


Die Dauer des Trillers wird durch den Zeitwerth der Note, die Anzahl seiner Schläge durch die grössere oder geringere Geschwindigkeit, mit der sie gemacht werden, bestimmt.

Jeder Triller soll, der Regel nach, mit der Hauptnote, d.h. mit der, welche vorgeschrieben steht, anfangen und endigen. [FN: Diese Regel hat J.N. Hummel in seiner Klavierschule zuerst aufgestellt und durch Gründe gehörig motivirt.] Soll mit der Hülfsnote oder mit der tieferliegenden Note begonnen werden, so muss diess besonders vorgeschrieben seyn, z.B.


<155> Durch den Nachschlag wird der Triller beendigt und mit der folgenden Note verbunden. Er besteht aus der nächsten tiefern Note und der Hauptnote.


Bey Cadenz- oder Schluss-Trillern wird auch wohl folgender Nachschlag gemacht:

Gewöhnlich ist der Nachschlag (wenigstens in neuern Kompositionen) mit kleinen Noten vorgeschrieben. Wo dies nicht der Fall ist, hat ihn der Spieler hinzu zu fügen. Doch gibt es auch Triller, die wegen ihrer Kürze oder wegen der Folge keine Nachschläge gestatten.

Für den Geiger ist der Triller die schwerste von allen Verzierungen und man bedarf um ihn gut erlernen zu können, so gut wie beim Staccato, einer angebornen Befähigung. Doch lässt sich bey ihm, mehr wie bey jenem, durch zweckmässiges Üben nachhelfen.

Vor allem muß der Triller rein in der Intonation seyn. [...]

Dann bemühe er [der Geiger] sich die Schläge gleichförmig zu machen, damit nicht einer der beyden Töne, aus welchen der Triller besteht, mehr vorgehört werde, wie der andere.

Ferner gewöhne er sich, um einen brillanten Triller zu bekommen, gleich von Anfang an, den trillernden Finger recht hoch, d.h. bis zum ersten Gelenk des feststehenden zu heben und ihn mit Kraft niederfallen zu lassen. In dem verkehrten Bestreben, gleich bey den ersten Versuchen einen schnellen Triller schlagen zu wollen, versäumen dies die meisten Anfänger und die gewöhnliche Folge davon ist dann, dass ihnen bey längern Trillern der Finger wie gelähmt auf der Saite kleben bleibt und sie es nie zu einem gesunden, kräftigen Triller bringen können.

Auch hüte sich der Schüler, durch übermässige Anstrengung, durch ein unnatürliches Anspannen der Sehnen einen schnellen und kräftigen Triller erzwinen zu wollen, weil dadurch die freie Bewegung des trillernden Fingers nur noch mehr gehemmt und er um so eher ermüdet werden würde. <156> Ferner vermeide er, dass der trillernde Finger sich an dem feststehenden reibt und gebe letzterem daher eine Stellung, bey der der andere sich ungehemmt bewegen kann.

Jeder Finger muss fleissig im Trillern geübt werden, am fleissigsten aber der kleine Finger, weil er kürzer und schwächer wie andern, mithin weniger geschickt zum Trillern ist. Denn obgleich es mit aller Ausdauer nicht dahin zu bringen ist, das er in Kraft und Geschwindigkeit dem zweiten und dritten Finger gleichkomme, (weshalb auch bey langen und schnellen Triller statt seiner, durch Veränderung der Applicatur, einer von diesen genommen werden muss,) so darf seine Ausbildung doch desshalb nicht vernachlässigt werden, da er bey Doppeltrillern und manchen Trillerfolgen ganz unentbehrlich ist. Selbst der erste Finger, der in einfachen Trillern nie gebraucht wird, weil man auf der blossen Saite nicht trillert, kann bey einigen Doppeltrillern nicht entbehrt werden.

Was die Geschwindigkeit der Trillerschläge betrifft, so gelten folgende allgemeine Regeln: Im Allegro und überhaupt in Musikstücken von feurigem Charakter soll der Triller schneller und kräftiger seyn als im Adagio und bey sanftem und gefühlvollem Gesange. Bey allen Cadenztrillern d.h. solchen, die eine Periode schliessen [...] sollen die Schläge vom Anfang bis zum Ende des Trillers gleich schnell seyn. Im Adagio aber und bey Trillern, die zur Verzierung des Gesanges dienen, ist es oft von guter Wirkung, wenn die Trillerschläge ganz langsam beginnen und allmählig zu immer grösserer Schnelligkeit gesteigert werden. Es lässt sich dies sowohl mit einem crescendo wie decresc. verbinden. Nie darf aber ein Triller schnell beginnen und langsam endigen.

[...]

Die Töne des Nachschlags sollen dieselbe Geschwindkeit haben wie die des Trillers selbst; sie müssen aber, selbst bey dem kürzesten Triller, immer deutlich gehört werden.

Jeder Triller muss, den Nachschlag mit eingerechnet, die volle Dauer der Note haben, über welcher er steht. Es ist daher sehr fehlerhaft, wenn der Triller zu früh endiget und zwischen ihm und der folgenden Note eine Lücke entsteht.

[...]

Der Doppelschlag

<168> Die dritte der oben genannten Verzierungen, die gewöhnlich durch Zeichen, seltener in Noten ausgeschrieben wird, ist der Doppelschlag (Mordent.) Er besteht aus drei nebeneinander liegenden Tönen, deren mittelster der Ton ist, über welchem sich das Zeichen befindet und beginnt bald mit der obern, bald mit der untern Note. In neuerer Zeit hat man angefangen, dieses dem Spieler durch die Stellung des Zeichens vorzuschreiben, welches sehr zu loben ist und allgemeine Nachahmung verdient. Diesemnach zeigt das Zeichen, bey welchem das erste Häkchen nach oben gebogen ist, an, dass der Doppelschlag mit der obern Note beginnen soll, z.B.


Ausführung:

das entgegengesetzte aber, dass er mit der untern Note angefangen werden muss:


Ausführung:

Steht der Doppelschlag über einem Punkt, so ist seine vierte Note dieser Punkt, der dann nach seinem Werthe ausgehalten wird, z.B.


Ausführung:

Sind zwei Punkte da, so wird der Doppelschlag kurz vor dem zweiten gemacht, z.B.


Ausführung:

Findet sich über oder unter dem Zeichen des Doppelschlags ein Versetzungszeichen, so wird der obere oder untere Ton darnach erhöhet oder erniedrigt, z.B.


Ausführung:

oder:


Ausführung:

Finden sich Versetzungszeichen oben und unten, so werden beyde Hülfsnoten dem gemäss gebildet, z.B.


Ausführung:

oder:


Ausführung:

Der Doppelschlag wird immer schnell gemacht, nicht nur im geschwinden, sondern auch im langsamen Zeitmaass; doch muss er stets deutlich und in seinen drei oder vier Noten ganz gleichförmig seyn, so wohl, was die Schnelligkeit als auch die Stärke derselben betrifft. Auch bey ihm ist reine Intonation das erste Erforderniss und daher bey seiner Bildung sowohl auf die wesentlichen, dem Tonstück vorgesetzten, als auch die zufälligen, dem Zeichen beygefügten Versetzungszeichen aufmerksam zu achten. - Er wird mit der Note über, oder nach welcher er steht, stets in einem Bogenstrich zusammengezogen.

* * *

Langer und kurzer Vorschlag

<170> Unter den, mit kleinen Noten ausgeschriebenen Verzierungen sind die am häufigsen vorkommenden der lange und kurze Vorschlag. Erstern findet man zwar in neuern Kompositionen in der Regel in grossen Noten und mit regelmässiger Takteintheilung ausgeschrieben; da er aber in alten Kompositionen nur in kleinen Noten, und auch in neuern noch hier und da auf solche Weise geschrieben, vorkommt, so muß ihn der Schüler zu verstehen und auszuführen wissen. Daher folgendes zu seiner Erklärung.

Steht er vor einer Note, die sich in zwei gleiche Theile zerlegen lässt, so erhält er die Hälfte ihres Werthes, z.B.


Ausführung:

oder:


Ausführung:

Steht er vor einer Note mit einem Punkt, so erhält er den Werth der Note und diese beginnt erst mit dem Punkt, z.B.


Ausführung:

oder:


Ausführung:

Sind zwei Punkte da, so bekömmt der Vorschlag den Werth der Note und diese beginnt mit dem ersten Punkt, z.B.


Ausführung:

Wenn bey Doppelgriffen nur vor einer Stimme ein Vorschlag steht, so beginnt die andere Stimme mit diesem zugleich, z.B.


Ausführung:

oder:


Ausführung:

<171> Da der Vorhalt immer auf das gute Takttheil fällt, so wird er stärker accentuirt als die Note, vor der er steht; auch wird er mit dieser stets in einem Bogenstrich zusammengezogen, weil er als Vorhalt zu ihr gehört und in ihr erst seine Auflösung findet.

Der kurze Vorschlag (, der als solcher, um ihn von dem langen zu unterscheiden, stets durch einen Querstrich [...] bezeichnet seyn sollte,) nimmt der Note, vor welcher er steht, fast nichts von ihrem Werth. Er wird mit dieser schnell und leicht in einem Bogenstrich verbunden, z.B.

Die folgende Übung hat die Bestimmung den Schüler im Lesen und Ausführen der verschiedenen Doppelschläge, so wie der langen und kurzen Vorschläge zu üben. Hat er das Vorstehende mit Aufmerksamkeit gelesen, so wird er die Übungen grösstentheils ohne weitere Erklärung und Anweisung auszuführen wissen. Die Stellen, die solcher noch zu bedürfen scheinen, sind unten in kleinen Noten ausgeschrieben.

[NB ...]

[...]

Sonstige Verzierungen

<174> Die andern, jetzt noch gebräuchlichen Verzierungen werden von neuern Komponisten grösstentheils in grossen Noten und mit regelmässiger Takteintheilung ausgeschrieben, wodurch jedem Missverstehen derselben vorgebeugt wird. Da sich indessen noch hin und wieder solche vorfinden, die in kleinen Noten geschrieben sind, und deren Takteintheilung daher dem Spieler überlassen bleibt, so muss über die Vortragsweise derselben noch folgendes erinnert werden:

Die meisten von ihnen werden sehr schnell ausgeführt, damit sie der Note vor welcher sie stehen, oder der sie als Ausschmückung angehängt sind, so wenig wie möglich von ihrem Werthe nehmen. Oft ist es aberschwer zu errathen, welcher Note (, ob der vorhergehenden oder nachfolgenden,) die Zeit, die zur Ausführung der Verzierung erforderlich ist, entzogen werden soll. Da sich nun hierüber keine allgemein gültige Regel aufstellen lässt, so ist in folgendem die Vortragsweise der gebräuchlichsten solcher Verzierungen in regelmässiger Takteintheilung ausgeschrieben worden.

Aber nicht alle, in kleinen Noten ausgeschriebene Verzierungen dürfen so schnell wie die vorstehenden ausgeführt werden. Solche, die zur Ausschmückung eines Adagio's oder eines andern langsamen und gesangreichen Satzes dienen, müssen langsamer, dem Charakter des Musikstückes gemäss, vorgetragen werden, z.B.


Ausführung:

oder:


Ausführung:

oder:


Ausführung:

oder:


Ausführung:

* * *

<175> Zu den Ausschmückungen gehören auch noch die Bebung (tremolo) und das Wechseln der Finger auf einem Ton.

Wenn der Sänger in leidenschaftlicher Bewegung singt oder seine Stimme bis zur höchsten Kraft steigert, so wird ein Beben der Stimme bemerklich, das den Schwingungen einer stark angeschlagenen Glocke ähnlich ist. Dieses Beben vermag der Geiger, wie manches andere, der menschlichen Stimme Eigenthümliche, täuschend nachzuahmen. Es besteht in einem Schwanken oder Schweben des gegriffenen Tones, das abwechselnd ein wenig unter oder über die reine Intonation hinausgeht und wird durch eine zitternde Bewegung der linken Hand in der Richtung vom Sattel zum Steg hervorgebracht. Diese Bewegung darf aber nicht zu stark seyn und das Abweichen von der Reinheit des Tons dem Ohre kaum bemerklich werden.

In alten Kompositionen findet man die Bebung zuweilen durch eine Reihe von Punkten .......... oder das Wort: tremolo vorgeschrieben; in neuern Sachen ist ihre Anwendung ganz dem Spieler überlassen. Er hüthe sich aber, sie nicht zu oft und am unrechten Ort anzubringen. Die oben bezeichneten Momente, wo die Bebung beym Sänger bemerkbar wird, deuten auch dem Geiger ihre Anwendung an. Er verwende sie also nur zum leidenschaftlichen Vortrage und zum kräftigen Herausheben aller mit fz oder > bezeichneten Töne. Auch lang ausgehaltene Töne können durch sie belebt und verstärkt werden. Wächst ein solcher Ton vom p. zum f. an, so ist es von schöner Wirkung, wenn die Bebung langsam beginnt und im Verhältnis der zunehmenden Stärke, zu immer schnellern Schwingungen gesteigert wird. Auch eine schnell beginnende und allmählig langsamerwerdende Bebung zu einem starken, nach und nach verhallenden Tone ist von guter Wirkung. Man kann daher die Bebung in vier Arten eintheilen:

  1. in die schnelle, zu stark herausgehobenen Tönen,
  2. in die langsamere, zu getragenen Tönen leidenschaftlicher Gesangstellen,
  3. in die langsam beginnende und schneller werdende zum Anwachsen und
  4. in die schnell beginnende und langsamer werdende zum Abnehmen lang ausgehaltener Töne.

Diese beyden letzten Arten sind schwer und bedürfen vieler Übung, damit das schneller- und Langsamer-Werden der Schwingungen recht gleichförmig sey und nicht etwa ein plötlicher Übergang vom Langsamen zum Schnellen und umgekehrt stattfinde.

[...]

Erster Abschnitt.

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Vom Vortrage überhaupt.

<195> Vortrag heisst die Art und Weise, wie der Sänger oder Spieler das, was der Komponist ersann und niederschrieb, zu hören giebt. Beschränkt sich dies auf eine treues Wiedergeben dessen, was durch Noten, Zeichen und Kunstwörter vorgeschrieben ist, so nennt man es den richtigen Vortrag; thut der Ausübendd aber von dem Seinigen hinzu und vermag er das Vorgetragene geistig zu beleben, so dass vom Hörer die Intenzienen des Komponisten erkannt und mitempfunden werden können, so heisst dies schöner Vortrag, der dann Correktheit, Gefühl und Eleganz in sich vereinigt.

Dem schönen Vortrage muss der richtige natürlich vorausgehen. Auf diesen bezieht sich daher auch größtentheils das, was in den vorigen Abschnirtten gelehrt worden ist; doch enthalten sie auch schon alle technischen Hülfsmittel, die zum schönen Vortrage erforderlich sind und es ist hier daher nur noch auf deren Anwendung auf diesen zu zeigen.

Hierauf muss sich aber auch die ganze Lehre vom schönen Vortrag beschränken, da das, was den richtigen zum schönen erhebt, nämlich die Fähigkeit, den Charakter des vorzutragenden Musikstückes zu erkennen und den darin herrschenden Ausdruck mitzuempfinden und wiederzugeben, ein angebornes Geschenk der Natur ist, das wohl erweckt und weiter ausgebildet, aber nicht gelehrt werden kann.

Zuvor finde hier aber noch einmal eine Aufzählung statt von dem, was zum richtigen Vortrag gehört, damit der Schüler ermessen kann, ob er ihn sich ganz zu eigen gemacht und so die Fähigkeit erworben hat, dem schönen nachzustreben.

Zum richtigen Vortrag gehört:
  1. reine Intonation,
  2. genaue Eintheilung der Taktglieder nach ihrer Zeitdauer,
  3. ein Festhalten des Zeitmaasses ohne Eilen und Zurückhalten,
  4. ein genaues Befolgen sowohl der vorgeschriebenen Nuancen von Stärke und Schwäche wie auch
  5. der Stricharten, Bindungen, Doppelschläge, Triller u.s.w.
Zum schönen Vortrag sind ausser den vorstehenden noch folgende technische Hülfsmittel erforderlich:
  1. die feinern Schattirungen der Bogenführung, sowohl in Bezug auf den charakter des Tons vom starken, selbst rauhen bis zum sanft flötenden, wie auch besonders auf Accentuirung und Sonderung der musikalischen Phrasen,
  2. die künstlichen Applicaturen, die nicht der Bequemlichkeit oder leichtern Spielbarkeit, sondern des Ausdrucks und des Tons wegen angewendet werden, <196> wozu auch das Fortgleiten von einem Ton zum andern, so wie der Fingerwechsel auf demselben Ton gehört,
  3. die Bebung in ihren vier Abstufungen und
  4. das Forteilen im Zeimaass bey feurigen und heftig leidenschaftlichen Stellen, so wie das Zurückhalten bey solchen, die einen zärtlichen oder wehmütig-traurigen Charakter haben.

Alle diese Ausdrucksmittel weden aber erst dann zum schönen Vortrage führen, wenn der gute Geschmack über deren Anwendung wacht und die Seele des Spielers den Bogen führt und die Finger belebt. Ist daher die Ausbildung des Schülers so weit fortgeschritten, dass er die Mechanck des Spiels einigermassen beherrscht, so ist es Zeit, dass nun auch sein Geschmack gebildet und sein Gefühl erweckt werde. Dies geshcieht am sichersten, wenn ihm recht oft Gelegenheit verschafft wird, gute Musik und ausgezeichnete Sänger und Virtruosen zu hören und er dabey vom Lehrer, sowohl auf die Schönheiten der Komposition, als auch auf die Ausdrucksmittel, deren sich der Sänger und Virtuose bedienet, um auf das Gefühl der Zuhörer zu wirken, aufmerksam gemacht wird.

Zweiter Abschnitt.

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Vom Vortrage des Concerts.

<196> Da das Concert in einem grossen Raum, vor vielen Zuhörern und mit Begleitung eines zahlreichen Orchesters vorgetragen wird, so ist
  1. vor allem eingrosser kräftiger Ton dazu erforderlich. Dieser schliesst jedoch keineswegs die zarteren Nuancen eines Spieles aus, da die Violine die Eigenthümlichkeit besitzt, dass auch ihre leisesten Töne in bedeutender Entfernung gehört werden können. Der Spieler kann daher auch beym Concertspiel den ganzen Reichthum der Abstufungen von Stärke und Schwäche, deren die Violine fähig ist, entwickeln.

    Da der nächste Zweck des Concertspiels ist: die Virtuosität des Spielers zu zeigen, so ist dabey

  2. eine vollständige Besiegung aller technischen Schwierigkeiten unerlässlich. Der Schüler wage sich daher nicht eher an den öffentlichen Vortrag eines Concerts oder andern Solomusikstückes, als bis er es so sicher eingeübt hat, dass das Gelingen nicht durch äussere Einwirkungen, z.B. grosse Hitze im Saal, oder anfängliche Befangenheit vor dem Publiko, oder ein unannachgiebiges Accompagnement gestört werden kann.

    Die Schwierigkeiten müssen aber nicht blos besiegt werden, es muss dies auch

  3. scheinbar ohne alle Anstrengung und mit Eleganz geschehen. Erst dann wird der Zuhörer einen ungestörten Kunstgenuss haben können.

    Zur höchsten Ausbildung des Mechanischen beym Concertspiel geselle sich

  4. ein gefühlvoller Vortrag, da ohne diesen das brillanteste Spiel nur kalte Bewunderung, nie eine innigere Theilnahme finden wird.

    Um diese zu erregen, bedarf es

  5. einer gefühlvollen und geistreichen Komposition. Der Schüler sehe daher bey der Auswahl des, zum öffentlichen Vortrage bestimmten Concertstückes nicht blos darauf, dass es ihm Gelegenheit gebe, seine Virtuosität zu zeigen, sondern auch darauf, <197> dass die Komposition an sich Werth habe und einen gebildeten Zuhörer, auch abgesehen von den den Virtuosenkünsten, befriedigen könne.

[Fußnote: Die neueste Erfahrung, nach welcher das Concert-Publicum den Virtuosen-Productionen die frühere Gunst fast ganz entzogen und sich der Sinfonie zugewandt hat, findet allein ihre Erklärung in dem Umstande, dass die meisten Instrumental-Concerte, welche man zu hören bekommt, so höchst fade und nichts sagende Komposiitionen sind, die freilich nicht mit den klassischen Sinfonien in Schranken treten können. Der Virtuose gebe nur eine gesitreiche Komposition, so wird sein Vortrag nicht nur dasselbe Interesse wie die Sinfonie erregen, sondern vor dieser, durch Darlegung seiner Virtuosität, sogar noch einen neuen Reitz gewinnen können. Unsere meisten Virtuosen fühlen aber gar nicht das Bedürfnis nach geistreichen Kompositionen und greifen daher nur nach solchen, womit sie zu glänzen hoffen; oder sie sind zu bequem, die Schwierigkeiten, die in ausgezeichneten Concertcompositionen vielleicht für sie enthalten sind, mit Ausdauer zu üben; oder sie könnender Eitelkeit nicht wiederstehen, selbstkomponirte Concerte vorzutragen, die aus dem, was sie von Jugend auf geübt haben, dürftig zusammengesetzt sind und daher alles Schwunges und jeder Begeisterung entbehren, auch wenn sie vielleicht ein erfahrener Komponist geordnet und intrumentirt hat. Dass sich von solchen Kompositionen, auch wenn sie ein ausgezeichneter Virtuos vorträgt, das Publikum, das einmal die Schönheiten einer klassischen Sinfonie erkannt hat, mit Kälte abwenden muss, ist leicht begreiflich!]

[...]

Dritter Abschnitt.

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Über das Verfahren beym Einüben neuer Concertstücke.

<245> Wären alle Solostimmen so genau bezeichnet wie die, der vorstehenden Concerte, so würde die Vortragsweise, auch ohne Worterklärung leicht aufgefunden werden können. So ist aber die Bezeichnung der meisten, gestochenen Violinkompositionen, obgleich sorgfältiger wie früher, wo dem Spieler die Wahl der Ausdrucksmittel fast ganz überlassen war, doch immer noch sehr unvollständig und fehlerhaft, ersteres durch die Schuld der Komponisten, letzteres durch die Nachlässigkeit der Notenstecher und Correktoren, die hierauf zu wenig Aufmerksamkeit verwenden.

Bey den meisten, neu einzuübenden Concertstücken wird daher de Schüler die Bezeichnung zu ergänzen und die, vom Komponisten nicht angegebenen Ausdrucksmittel selbst aufzusuchen haben.

Hierbey ist nun auf folgende Weise zu verfahren:

Da zuerst die Noten eingeübt werden müssen, so hat der Schüler vor allem die, zur Überwindung der Schwierigkeiten der linken Hand, günstigsten Applicaturen aufzusuchen und in die Stimme einzutragen. Ist dies geschehen, so bemühe er sich (, stets spielend,) die zweckmässigste Eintheilung der Bogenstriche für den Vortrag der Gesangstellen und die effektvollsten Stricharten für die Passagen aufzufinden. Dann suche er, wie der Vortrag durch die künstlichen Applicaturen und das, was sie einschliessen, (Fingerwechsel auf einem Ton und Fortgleiten von einem Ton zum andern,) durch wohlangebrachte Bebungen und durch feinere Nuancirung von Stärke und Schwäche, als der Komponist angegeben hat, belebt und im Ausdruck gesteigert werden kann; und ist auch dieses aufgefunden und bezeichnet, erst dann übe er alles mit Ausdauer ein, sowohl bis zur höchsten Vollendung des Technischen, wie auch bis zum belebtesten und innigsten Ausdruck im Vortrage.

Von allem Vorstehenden ist aber eine gute Eintheilung der Bogenstriche das nöthigste Erforderniss zu einem schönen Vortrag, und doch lassen sich bey der grossen Mannigfaltigkeit der musikalischen Phrasen keine Vorschriften dafür geben. Alles, was im Allgemeinen darüber gesagt werden kann, besteht in folgendem:

  1. im forte muss ein öfterer Bogenwechsel statt finden wie im piano;
  2. zu einzelnen Tönen sowohl, wie zum Schluss solcher Phrasen, die sehr zart endigen sollen, wird der Herabstrich, zu allen Tönen, Scalen und andern Figuren, die anwachsen sollen aber passender der Aufstrich genommen, wo wie dieser auch
  3. zu allen Schlussnoten gebrochener Accorde und Scalen, wenn sie stark herausgehoben werden müssen, zu verwenden sind.
    Sind diese und ähnliche Rücksichten aber nicht zu nehmen, so muss
  4. der alten Regel gemäss, bey den leichten Takttheilen der aufstrich, bey den schweren der Herabstrich genommen und so viel es möglich ist, jeder Takt mit dem Herabstrich begonnen und mit dem Aufstrich geendet werden.

Bey der Dürftigkeit dieser Vorschriften wird der Schüler anfangs sich wohl grösstentheils seiner Routine, die er durch genaues Befolgen der, in den vorstehenden Musikstücken enthaltenen Bezeichnung, bereits erworben haben wird, überlasssen müssen. Durch sie und durch Vergleichung mit Ähnlichem, von ihm bereits Einstudiertem wird er bis zu dem Zeitpunkt, wo ihn Gefühl und Geschmack allein leiten werden, sowohl die zweckmässigste Bogeneintheilung als auch die <246> rechten Momente für die Anwendung der übrigen, zum schönen Vortrag erforderlichen Hülsmittel auffinden müssen. Eine Erleichterung kann es ihm gewähren, wenn er die vorstehenden Solostimmen mit den gestochenen der beyden Concerte vergleicht und dadurch auf das, was hier zur genauern Bezeichnung des Vortrages hinzugefügt ist, aufmerksam gemacht wird.

Vierter Abschnitt.

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Vom Vortrage des Quartetts.

<246> In neuerer Zeit ist eine Gattung von Quartetten entstanden bey welchen die erste Violine die Solostimme führt und die andern drei Instrumente bloss accompagniren. Man nennt sie, zur Unterscheidung von den wirklichen Quartetten, Soloquartetten. (Quators brillants.) Sie haben den Zweck, dem Solospieler in kleinern musikalischen Zirkeln Gelegenheit zur Darlegung seiner Virtuosität zu geben. Sie gehören daher, was den Vortrag betrifft, in die Cathegorie der Concertmusik und alles, was in den vorstehenden Abschnitten vom Vortrage des Concerts gesagt worden ist, findet auch auf sie und ähnliche Solosachen mit drei- oder vierstimmigen Accompagnement (wie Variazionen, Potpourris u.d.) die volle Anwendung, jedoch mit der einzigen Einschränkung, dass hier, in kleinem Raume und mit schwacher Besetzung, der Ton des Instruments nicht bis zur grössesten Stärke gesteigert werden darf und alles Rauhe im Spiel, was sich im Concertsaal bey der Entfernung der Zuhörer verliert, sorgfältig vermieden werden muss.

Der Vortrag des wirlichen Quartetts unterliegt aber ganz andern Anforderungen. Bey ihm ist es nicht darauf abgesehen, dass ein einzelnes Instrument glänze, sondern dass alle vier auf gleiche Weise in die Idee des Komponsiten eingehen und sie zur Anschauung bringen. Der erste Geiger darf sich daher weder in der Stärke des Tons, noch in der Art des Vortrages vor den andern auszeichnen wollen; er muss vielmehr sich ihnen auf das innigste anzuschliessen, ja, in Stellen, wo er nicht die Hauptstimme führt, sich selbst unterzuordnen wissen.

Da die Art des Vortrages stets aus der Idee und dem Geiste der Komposition hervorgehen soll, so muss der Solospieler beym Quartettspiel seine, ihm eigenthümliche Vortragsweise des Solos zu verläugnen und dem jedesmaligen Charakter des vorliegenden Quartetts anzupassen wissen. Nur wenn er dies vermag, wird es ihm gelingen können, sowohl den Charakter der einzelnen Sätze des Quartetts, wie auch die Verschiedenheit des Styls in den Werken unserer klassischen Quartettkomponisten klar hervorzuheben.

Der Schüler ersieht hieraus, dass zum vollkommnen Vortrag des Quartetts, wenn auch vielleicht weniger mechanische Fertigkeit wie zum Concertspiel, doch manches andere erforderlich ist, was bey jenem eher entbehrt werden kann, vorzüglich aber ein leicht erregbares Gefühl, ein gebildeter Geschmack und Kenntniss der Komposition.
(Anm.: Sollte der Schüler nicht bereits begonnen haben, die Theorie der Tonsetzkunst zu studieren, so ist es nun die höchste Zeit dazu.)

<247> Wenn dies zusammen erst den vollkommenen Quartettspieler macht, so ist doch auch wieder nichts geeigneter, diese Eigenschaften zu erwerben und weiter auszubilden als ein fleissiges Quartettspiel selbst. Der Schüler versäume daher keine Gelegenheit, wo es ihm vergönnt seyn wird, bey guter Quartettmusik mitzuwirken. Doch beginne er bey der zweiten Violine und lerne zuerst die schwere Kunst des Begleitens. Sie besteht in der Fertigkeit, sich in Allem der ersten Geige auf das Genaueste anzuschliessen, z.B. in der Stärke des Tons, in den kleinen, vom ersten Geiger vielleicht veranlassten Rückungen des Zeitmaasses, so wie im Vortrag der thematisch durchgeführten Figuren, wenn sie sich in der zweiten Stimme vorfinden; ferner in der genauesten Befolgung der vorgeschriebenen Stricharten, Bindungen, wie auch der Nuancen von p und f ohne jedoch bey letzterem grell und vorlaut hervorzutreten, wenn es die, der zweiten Violine zuertheilte Figur nicht ausdrücklich verlangt.

Hat der Schüler sich so einige Zeit durch Begleiten vorbereitet; hat er dabey in einem guten Vorbilde die Vortragsweise der Quartettmusik kennen gelernt und will er sich nun auch bey der ersten Geige versuchen, so ist es für den Anfang durchaus nöthig, dass er seine Stimme, ganz so, wie es bey der Concertmusik geschah, vorher bezeichnet und einübt. Unsere vorzüglichsten Quartettkomponisten waren keine Geiger, oder waren es doch nicht genug, um die Mechanick des Violinspiels genau zu kennen; die Bezeichnung der Bogenstriche, der künstlichen Applicaturen u.s.w. ist daher bey ihren Quartetten in der Regel noch mangelhafter wie bey der Concertmusik und muss vom Spieler also nothwendig ergänzt werden. Es ist hierbey jedoch grössere Vorsicht und Zurückhaltung erforderlich, wie bey jener, da es hier nicht darauf ankommt, seine Virtuosität zu zeigen, sondern die Idee des Komponisten ins Leben zu rufen. Es dürfen daher, z.B. solche Stricharten, die zur Charakterstick eines musikalischen Gedankens gehören und welche in den andern Stimmen wiederkehren, nicht willkührlich abgeändert werden, wenn sie auch der Spieler mit bequemeren oder pikanteren zu vertauschen wüste. Auch im Hinzufügen der andern, beym Solospiel gebräuchlichen Ausdrucksmittel muss der Quartettspieler vorsichtig seyn, da dadurch leicht das Ensemble gestört und die Idee des Komponisten entstellt werden kann. Nur solche Perioden bey denen er entschieden die Solostimme hat und von den andern nur begleitet wird, mag er auf die, bey Solosachen gebräuchliche Weise ausschmücken. Um mithin ein Quartett tadellos bezeichnen zu können, muss man es in Partitur vor sich liegen oder durch öfteres Hören schon genau kennen gelernt haben.

Ein solches, wohlüberdachtes Bezeichnen der Bogenstriche, Applicaturen u.s.w. gehe nun dem Vortrage eines jeden Quartetts so lange voraus, bis der Schüler die Fertigkeit erworben hat, beym Lesen der Noten auch gleich die zweckmässigste Eintheilung der Bogenstriche und die Anwendung der andern, zur Belebung des Vortrags geeigneten Hülfsmittel, aufzufinden. Diese Fertigkeit, die anfangs nur das roheste und zunächstliegende umfassen wird, muss vom Schüler, in dem Maasse, wie sich sein Geschmack läutert und seine Einsicht in der Kunst erweitert, immer feiner ausgebildet und endlich zum vollendetsten Vortrag gesteigert werden.

Fünfter Abschnitt.

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Vom Orchesterspiel und dem Accompagnement.

<248> Das Orchesterspiel des Geigers unterscheidet sich vom Concert- und Quartett-Spiel am wesentlichsten dadurch, dass bey ihm diesselbe Stimme von mehreren zugleich gespielt wird. Jeder einzelne muss sich daher bestreben

  1. in der Intonation
  2. in der Eintheilung der Taktglieder,
  3. in der Betonung derselben,
  4. in der Ausführung der vorgeschriebenen Nuancen von p. und f, und
  5. in der Eintheilung der Bogenstriche den andern möglichst gleich zu kommen.

Was

  1. die Intonation betrifft, so giebt es nur eine richtige; je mehr also jeder Einzelne dieser nachstrebt, je sicherer wird er auch mit den andern zusammen treffen.

  2. Die Eintheilung der Taktglieder nach ihrem Zeitwert, muss beym Orchesterspiel die allerstrengste seyn, weil sonst kein genaues Zusammentreffen der Spieler möglich wäre. Alles Verweilen auf einzelnen oder mehreren Tönen, (das Tempo rubato,) welches beym Solospiel oft von so grosser Wirkung ist, darf also hier nicht statt finden.

  3. Die Betonung muss sich auf die ganz gewöhnliche der schweren Takttheile beschränken. Jede andere, im Solospiel gebräuchliche, um den Vortrag pikanter zu machen, ist hier unzulässig, wenn sie nicht etwa ausdrücklich vorgeschrieben und daher von allen Mitspielenden auszuführen ist.

    Eben so muss sich
  4. der Orchesterspieler auf die genaue Befolgung der vorgeschriebenen p. und f. beschränken und darf nicht, wie beym Solospiel noch neue Nuancen von Stärke und Schwäche eigenmächtig hinzu fügen.

    Die schwierigste Aufgabe ist es aber
  5. in der Eintheilung der Bogenstriche mit den Mitspielenden genau zusammen zu treffen. Hierin bleibt daher auch, selbst bey den, am besten eingeübten Orchestern, noch vieles zu wünschen übrig. Die Schwierigkeit liegt aber hauptsächlich darin, dass

    1. die Bezeichnung der Bogenstriche in den Orchesterstimmen gewöhnlich noch nachlässiger und mangelhafter ist, wie bey der Concert- und Quartett-Musik und dass
    2. die Geiger eines Orchesters nie aus einer und derselben Schule hervorgegangen sind, [Fußnote: Eine Ausnahme machen nur die Orchester der Conservatorien (in Paris, Prag, Neapel,)] und daher jeder eine andere Bogenführung, und was hieraus folgt, auch eine andere Eintheilung der Bogenstriche hat.

Und doch ist es nicht blos für das Auge sehr angenehm, sondern auch für die Betonung, für die Gleichheit in Stärke und Schwäche, mit einem Wort, für das ganze Ensemble von grosser Wichtigkeit, dass die Auf- und Abstriche bey allen Geigern derselben Stimme, stets zusammentreffen. Damit nun dieses Ziel möglichst erreicht werde, muss sich der Orchesterspieler streng an die alte Regel binden, welche vorschreibt: das schwere Takttheil mit dem Herabstrich, das leichte mit einem Aufstrich zu nehmen und jeden Takt daher im Herabstrich zu beginnen und im Aufstrich zu endigen. Der Vorgeiger hat ausserdem noch die Verpflichtung, die mangelhafte Bezeichnung der Bogenstriche zu ergänzen, (besonders wenn mehrere Proben statt finden, wie bey Opern, Oratorien, Sinfonien) und dadurch das möglichst genaueste Zusammentreffen in der Eintheilung der Bogenstriche zu erwirken.

***

<249> Fernere Vorschriften für den Orchesterspieler sind: sich aller Zusätze von Vorschlägen, Doppelschlägen, Trillern und dergleichen zu enthalten, wie auch alle künstlichen Applicaturen, das Fortgleiten von einem Ton zum andern, den Wechsel der finger auf einem Ton, kurz, alles das zu vermeiden, was nur zur Ausschmückung des solospiels gehört, und in das Orchesterspiel übertragen, den Einklang des Zusammenspiels stören würde. Finden sich in einer Orchesterstimme Vorschläge und Doppelschläge, so muss vom Vorgeiger die Länge der ersten und Art der Ausführung der zweiten genau bestimmt und hernach von allen gleichmässig ausgeführt werden.

Hinsichtlich des Zeitmaasses hat sich der Orchesterspieler genau nach der Angabe des Dirigenten zu richten, es sey dies ein vorspielender oder taktgebender. Auch hat er die Verpflichtung oft einen Blick, über die Noten weg, auf diesen zu werfen, damit er nicht nur, nach den gegebenen Taktschlägen, stets richtig im Zeitmaass bleibe, sondern auch schnell folge, wenn dieses etwa zurückgehalten oder gesteigert wird.

Beym Accompagnement hat der Orchesterspieler die Verpflichtung sich dem Solospieler ganz unterzuordnen. Er messe daher die Stärke seiner Begleitung stets nach der des Solospiels ab, und trage Sorge, dass er es nie bedecke oder übertöne. Die f, oder fz, die während eines Solos in der Begleitungsstimme etwa vorkommen, dürfen daher nie so stark und rauh herausgehoben werden, wie beym Tutti. Die Stärke des Tons richte sich überhaupt stets nach der Gattung der Musik und nach der Grösse des Lokals.

Der Begleitende hüte sich, den Solospieler im Tempo weder zu treiben, noch zurückzuhalten, doch folge er ihm sogleich, wenn dieser sich kleine Abweichungen vom Zeitmaass erlauben sollte. Hierunter ist jedoch das Tempo rubato des Solospielers nicht verstanden, bey welchem die Begleitung ihren ruhigen, abgemessenen Gang fortgehen muss.

Alles Vorstehende gilt auch für die Begleitung des Gesanges. Da bey diesem aber gewöhnlich takttirt wird, so ist, was das Zeitmaass und dessen Wechsel betrifft, auf die Taktschläge des Dirigenten zu achten und diesen zu folgen. Eine Gattung der Gesangsmusik ist aber besonders schwer zu begleiten, nämlich das Rezitativ, weil bey ihm die gleichförmige Taktbewegung ganz aufhört. Damit nun dem Gesange leichter gefolgt werden könne, ist es gebräuchlich, der Begleitungsstimme auch die Gesangstimme auf einer besondern Linie hinzu zu fügen. Diese hat der Begleitende nachzulesen, zugleich aber auch fortwährend auf die Zeichen des Dirigenten, womit ihm dieser das Eintreten der Begleitungsnoten markirt, zu ahcten. Da diese Zeichen nicht bey allen Dirigenten dieselben sind, so kann auch ihre Erklärung hier nicht gegeben werden. Ein aufmerksamer Orchesterspielerwird aber die seines Dirigenten, vorausgesetzt dass dieser consequent darinn ist und immer diesselben giebt, bald verstehen und befolgen lernen.

Das Einstimmen im Orchester geschehe möglichst leise. Der Vorgeiger lasse sich das a vonder Oboe, oder sicherer noch, von allen Blassinstrumenten zugleich angeben und dann nach seinem a jeden einzelnen Geiger, Violoncellisten u.s.w. einstimmen. Ist einer damit fertig, so störe er durch unnützes Präludiren nicht das einstimmen der andern. Ist von allen rein eingestimmt, so trete für einige Minuten eine allgemeine Stille ein; dadurch wird die Wirkung beym ersten Eintritt der Musik sehr erhöht.

Wenn der Schüler die, hier gegebeneen Vorschriften für das Orchesterspiel nun nochmals durchgeht, so wird er finden, dass das Hauptverdienst eines guten Orchesterspielers darin besteht, sich dem Ganzen willig unterzuordnen und auf die Selbständigkeit des Solospielers zu verzichten.

Dies thue auch der Schüler, so lange er im Orchester mitwirkt.

[Tempofragen]

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<41> [...] Um das Zeitmaass (italiänisch: Tempo) d.h. den Grad der Geschwindigkeit, in welchem ein Musikstück gespielt werden soll, zu bestimmen, dienen gewisse italiänische Kunstwörter, von denen eins über die erste Notenzeile eines jeden Musikstückes gesetzt ist. Der Schüler braucht für jetzt nur folgende zu kennen: Adagio, sehr langsam, Andante, mässig langsam, Allegretto etwas geschwind, Allegro geschwind und Presto sehr geschwind. [FN: Die andern zur Bezeichnung des Tempo noch gebräuchlichen Kunstwörter, so wie auch solche, die auf den Charakter des Musikstücks und die Art des Vortrags Bezug haben, wird der Schüler später kennen lernen.]

Da eine solche Bezeichnung des Zeitmaasses sehr unbestimmt ist, so konnte man das, vom Komponisten gedachte, bisher nur aus dem Charakter des Musikstücks und der, darin vorkommenden Figuren errathen. Es wurde daher häufig erst aufgefunden, nachdem das Musikstück mehrere Male durchgespielt war, zuweilen auch fortwährend vergriffen. Dieser Übelstand hat die Erfindung der Metronome oder Taktmesser veranlasst, mit denen das Tempo nun auf das genaueste bestimmt werden kann. Der Mälzelsche hat die meiste Verbreitung gefunden; es ist daher seit 12 bis 15 Jahren gebräuchlich die Komposition neben jenen Kunstwörtern, die beybehalten worden sind, auch noch nach diesem zu bezeichnen. So heisst z.B. Andante [Viertelnote] 66 "Mälzels Metronom, es soll die Viertelbewegung des Musikstücks den Schlägen der Maschine, wenn sie auf 66" gestellt ist, gleichkommen.

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Editorische Anmerkungen

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