C. Ph. E. Bach: Versuch ... 1. Teil

Zweytes Hauptstück. Von den Manieren.

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Siebente Abtheilung. Von den Schleiffern. [§ 1-13]

<107> §. 1. Die Schleiffer kommen ohne und mit einem Punckte vor. Ihr Vortrag liegt im Worte angedeutet. Sie machen die Gedancken fliessend.

§. 2. Die Schleiffer ohne Punckte bestehen theils aus zweyen, theils aus dreyen Nötgen, welche man vor der Haupt=Note anschlägt.

§. 3. Die erstern werden durch zwey kleine Zweyunddreißigtheile angedeutet Tab. VI. Fig. LXXXVIII. Bey dem Allabreve-Tackte können es auch Sechzehntheile seyn (*). Man findet diese Manier bisweilen so bezeichnet wie wir bey (a) sehen. Oft wird sie auch mit ihrer Ausführung ausgeschrieben (b).

§. 4. Die Schleifer von zweyen Nötgen unterscheiden sich noch von denen mit dreyen Nötgen auf zweyerley Art; (1) kommen jene allezeit vor einem Sprunge vor, allwo sie die Intervallen darzwischen ausfüllen Fig. LXXXVIII, diese hingegen, wie wir bald sehen werden, kommen auch ausser diesen vor; (2) werden jene allezeit geschwinde gespielt (b), diese aber nicht.

<108> §. 5. Bey Fig. LXXXIX.(a) sehen wir die Ausführung dieses Schleiffers von drey Nötgen. Die Geschwindigkeit dieser Manier wird von dem Inhalte eines Stückes und dessen Zeitmaaß bestimmt. [...]

§. 6. Diese Manier, liebt das sehr geschwinde und das sehr langsame, das gleichgültige und das alleraffecktuöseste, und wird also auf zweyerley sehr verschiedene Art gebraucht. (1) Bey geschwinden Sachen zur Ausfüllung und zum Schimmer; hier stellt sie bequem einen Triller von unten ohne Nachschlag vor, wenn die Kürtze der Note zu diesem Triller nicht hinreichen will, und wird allezeit geschwinde gemacht. Die folgenden Noten können gehen oder springen.

§. 7. Im andern Falle wird dieser Schleiffer, als eine traurige Manier, bey matten Stellen, besonders im Adagio, mit Nutzen gebraucht. Er wird alsdenn matt und piano gespielt, und mit viel Affeckte und mit einer Freyheit, welche sich an die Geltung der Noten nicht zu sclavisch bindet, vorgetragen. Sein gewöhnlichster Sitz ist auf der wiederholten Note.

Ausserdem kommt er auch im hinaufgehen und springen vor (b). Man siehet hieraus, daß dieser Schleiffer alsdenn ein langsam <109> ausgefüllter Anschlag mit dem Tertien=Sprunge ist. Man kan durch ihn eine Haltung ebenfals mit Affeckte ausfüllen.

§. 8. Weil die Dissonantzien geschickter sind, Leidenschaften zu erregen als die Consonantzen, so trift man diese Manier auch am öftersten über jenen an, und zwar bey einer langsamen Note, welche mit Fleiß entweder nicht völlig, oder wenigstens schleppend ausgefüllt wird. Sie wird mit eben diesen Umständen auch im Allegro gebraucht, wenn zumahl eine Versetzung der harten Ton=Art in die weiche vorkommt. Die kleine mangelhafte Septime, die überflüßige Sexte wenn sie die Quinte bey sich hat, ingleichen die Sexte mit der übermäßigen Quarte und kleinen Tertie und dergleichen harmonische Zusammenklänge mehr, leiden diesen Schleifer besonders. Da die Folge bey allen Manieren hauptsächlich aus dem Basse zugleich mit erkannt wird, so kan man leicht urtheilen, daß diese Manier sich herunter neiget.

§. 9. Wir lernen bey Gelegenheit dieses Schleiffers zweyerley: (1) daß man bey gewissen Gedancken mehr auf einen ungekünstelten matten Ausdruck, als auf die Ausfüllung sehen müsse, und daß man also bey langsamen Noten nicht eben allezeit verbunden sey, Manieren von vielen Noten zu wählen, indem man sonst statt dieses Schleiffers den Doppelschlag von unten brauchen könnte, welcher einige Aehnlichkeit in Noten mit ihm hat. (2) Daß man im Gegentheil auch nicht allezeit das affecktuöse einer Manier aus der Wenigkeit ihrer Noten erkennen müsse, weil sonst folgen würde, daß ein Anschlag, welcher nur aus zweyen Noten bestehet, mehr Affeckt enthielt, als unser Schleiffer, oder, welches einerley ist, wenn dieser Anschlag ausgefüllet wird.

§. 10. So bequem dieser aus dreyen Nötgen bestehende Schleifer eine Traurigkeit erwecken kan, so viel Gefälligkeit erregt der Schleifer aus zweyen Nötgen mit einem darzwischen stehenden Puncte.

§. 11. Bey Fig. XCII. NB sehen wir ihn angedeutet.

Seine Eintheilung ist so verschieden als bey keiner andern Manier. Sie wird ebenfalls durch den Affect bestimmt. Ich habe deswegen in den Probe=Stücken bey dieser Manier eben so wohl, als bey dem Anschlage mit dem Puncte, die Andeutung, auch zuweilen die Ausführung so deutlich, als es nur möglich gewesen ist, ausgedrückt.

§. 12. Bey Fig. XCIII. finden wir unterschiedene Exempel mit ihrer verschiedenen Ausführung.

Wir sehen bey (*) daß diese Eintheilung wegen des Basses besser ist als die drauffolgende. Ueberhaupt können die meisten von diesen Exempeln einen eigentlichen Sitz von dieser Manier vorstellen, indem man bey Anschauung der simpeln Noten bald aus der Härte der anschlagenden Dissonantz, bald aus dem Leeren der Octaven leicht mercken kan, daß dahin etwas gehöre. Es kan aber keine andere Manier alsdenn wohl angebracht werden als diese. Die folgende Noten nach dieser Manier pflegen gemeiniglich herunter zu gehen, ob wir schon aus dem Exempel (x) sehen, daß der Gesang in demselben Tone bisweilen auch fortfahren kan.

§. 13. [...]

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