"Wolffes Geheul" und Galanterien

Von der Kunst, Fugen zu schreiben, und von den Annehmlichkeiten einer schönen Melodie

Deutsche Musik im Barock 4

Musik-Nr.: 01
Komponist: Johann Sebastian Bach
Werk-Titel: Invention Nr. 8 F-Dur <Track xx.> __:__
Interpreten: N.N. (Cembalo)
Label: Name (LC ____)
Nummer
<Track xx.> Gesamt-Zeit: __:__
Archiv-Nummer: ____

Barockmusik - was wir gerne mit einem griffigen Etikett versehen (weil die Musik des 17. und frühen 18. Jahrhunderts ja so leicht faßbar ist), ist in Wirklichkeit ein eigentümliches Gemisch aus vielerlei Stilen. Zum einen finden sich da die eher altertümlichen Formen der Fugen, "Ricercare" und Motetten - Überbleibsel der Mehrstimmigkeit, wie sie im 15. und 16. Jahrhundert gepflegt wurde, und daneben die "neumodischen" Tanzsätze, die Kantaten und Arien, die ein "gefälliges", in die Zukunft gerichtetes Stilempfinden widerspiegeln.

Was die Fugen anbelangt, so hatten schon die Musikliebhaber des frühen 18. Jahrhunderts ihre Verständnisschwierigkeiten damit. Daß in dieser Art von Musik zwei, drei oder gar vier Stimmen unabhängig nebeneinander herlaufen, daß eine Stimme die Motive der anderen aufgreift, während die dritte etwas ganz Neues bringt und keine Stimme auf die andere Rücksicht zu nehmen scheint: das überschreitet bisweilen die Grenzen dessen, was man mit zwei "normalen" Ohren aufzunehmen in der Lage ist. Und so verwundert es nicht, wenn schon die Zeitgenossen von Johann Sebastian Bach angesichts seiner seiner großen Klavier- und Orgelfugen stöhnten, das klinge alles wie "des Wolffes Geheul" und spielen könne man das Zeug schon gar nicht.

Johann Sebastian Bach wußte um die Schwierigkeiten und führte seine Klavierschüler behutsam an diese Kunst heran: zunächst mit überschaubaren zwei- und dreistimmigen Fugen, die er Inventionen und Sinfonien nannte - "Einfälle, Ideen" und "Zusammenklang".

Musik-Nr.: 02
Komponist: Johann Sebastian Bach
Werk-Titel: Invention Nr. 2 c-moll <Track xx.> __:__
Interpreten: N.N. (Cembalo)
Label: Name (LC ____)
Nummer
<Track xx.> Gesamt-Zeit: __:__
Archiv-Nummer: ____
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Mit Bach hat die Kunst, Fugen zu schreiben, ihre Blüte erlebt. Niemand vermochte so wie er, musikalische Themen zu erfinden, die nicht nur spannungsreich klangen, sondern auch alle Möglichkeiten der kompositorischen Verarbeitung offenließen. Und nicht zu Unrecht sagte im 19. Jahrhundert der Pianist Hans von Bülow, daß die 48 Präludien und Fugen des Wohltemperierten Claviers das "Alte Testament" der Klavierliteratur seien.

Zum Nutzen und Gebrauch der lehrbegierigen musikalischen Jugend, als auch derer, die in diesem Studium schon sicher sind, zum besonderen Zeitvertreib aufgesetzt und verfertigt

... schreibt Bach im Untertitel des Wohltemperierten Claviers. Ein Werk also, das nicht unbedingt für den öffentlichen Vortrag gedacht ist, sondern eher für den Unterricht und für das Vergnügen am eigenen Klavierspiel. Den ersten Teil des Wohltemperierten Claviers hat Bach um 1720 während seiner Anstellung als Hofkapellmeister in Köthen komponiert - wahrscheinlich als Unterrichtsmaterial für seinen neunjährigen Sohn Wilhelm Friedemann. Der zweite Teil entstand dann ein Vierteljahrhundert später, als Bach an der Leipziger Thoamskirche wirkte.

Aber aus Unterrichtszwecken und Zeitvertreib allein ist weder die Entstehung noch der merkwürdige Titel des Wohltemperierten Claviers zu erklären. Bis zu Beginn des 18. Jahrhunderts waren die Tasteninstrumente so gestimmt, daß entlegenere Tonarten wie Fis-Dur oder es-moll unangenehm scharf und falsch klangen. Erst zu Bachs Zeit setzte sich dann jene Stimmung durch, die "wohltemperiert" genannt wurde und die es ermöglichte, ohne klangliche Härten durch alle Tonarten zu modulieren. Und genau dies reizte Bach: Er schrieb für jede Tonart eine Fuge mit vorangestelltem Präludium und durchschritt derart den ganzen harmonischen Quintenzirkel.

Musik-Nr.: 03
Komponist: Johann Sebastian Bach
Werk-Titel: Wohltemperiertes Klavier Teil 1
Auswahl: Präludium und Fuge Nr. 13 As-Dur
Präludium und Fuge Nr. 14 gis-moll
<CD 2, Tr. 5.>
<CD 2, Tr. 6.>
3:40
4:50
Interpreten: Gustav Leonhardt (Cembalo)
Label: RCA (LC ____)
GD 77 011
<CD 2, Tr. 5.6.> Gesamt-Zeit: 8:30
Archiv-Nummer: ____
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Bachs Kunstfertigkeit, wenn es darum ging, Fugen zu komponieren, wurde in ganz Deutschland gerühmt. Und ein Fugen-Zyklus, die sogenannte Kunst der Fuge sollte auch sein letztes Opus sein. Viele Gerüchte und Legenden ranken sich um diese unvollendete Sammlung von 24 Fugen, deren letzte gerade in jenem Moment abbricht, als zu den drei schon eingeführten Themen ein viertes hinzutreten müßte. Carl Philipp Emanuel Bach, der die Kunst der Fuge aus dem Nachlaß seines Vaters veröffentlichte, notierte unter die letzten Takte:

Über dieser Fuge, wo der Name "BACH" im Kontrasubjekt angebracht worden ist, ist der Verfasser gestorben.

All dies hat die Musikforscher immer wieder zu Spekulationen über das Werk verführt. Da ist die Rede von Bachs "unvollendetem musikalischem Vermächtnis, mit dem er angesichts des nahen Todes sein Lebenswerk beschließen" wollte, da taucht in schöner Regelmäßigkeit das Bild des "fast völlig erblindeten und vom Tode gezeichneten Meisters" auf, der "sich in den letzten Jahren seines Lebens vom diesseitigen Treiben in die Stille seiner Studierstube zutrückgezogen" hat, wo "ihm der Tod dann die Feder entwand". Klischees, die von Generation zu Generation weitergereicht und ausgeschmückt wurden, bis zum allgemeinen Bildungsgut eines jeden Musikliebhabers gehörten, ohne daß sich jemals einer die Mühe gemacht hätte, den Wahrheitsgehalt zu überprüfen.

Da wäre zum Beispiel die Geschichte mit dem Augenleiden: In den letzten Jahren seines Lebens hatte Bachs Sehkraft nachgelassen. Als nun im Jahre 1750 der berühmte englische Augenarzt Sir John Taylor nach Leipzig kam, beschloß Bach, sich operieren zu lassen. Aber die Operation mißlang. Nicht nur, daß Bach sein Augenlicht fast gänzlich verlor; eine Entzündung und die vielen Medikamente schwächten seine körperliche Konstitution so, daß er wenige Monate nach dem Eingriff verstarb.

Wer aber nun Gelegenheit hat, das Manuskript der Kunst der Fuge einzusehen, wird überrascht feststellen, wie sauber und akkurat Bachs Handschrift noch bis in die letzten Takte ist, über denen er ja - laut Aussage seines Sohnes - verstorben sein soll. Niemals ist diese feste und klare Schrift die Handschrift eines fast völlig Erblindeten! Liegt es da nicht nahe zu vermuten, daß Bach die Arbeit an diesem Fugen-Zyklus schon lange vorher, spätestens am Tage der Augenoperation, abgebrochen hat und sie dann nicht wieder hat aufnehmen können? daß ihm die Feder keineswegs "bei seinem letzten Atemzug aus der Hand gesunken" ist, sondern daß er sie lediglich beiseite gelegt hat in der festen Hoffnung, das Werk bald zu vollenden?

Aber Legenden klingen halt immer pathetischer als das prosaische alltägliche Leben. Und wäre es nicht ein musikgeschichtliches Omen, wenn ausgerechnet der Komponist, der das Schreiben von Fugen zur Blüte und gleichzeitig zur abschließenden Vollendung bringt, - daß ausgerechnet er über der letzten unvollendeten Fuge verstirbt?

Musik-Nr.: 04
Komponist: Johann Sebastian Bach
Werk-Titel: Die Kunst der Fuge
Auswahl: Contrapunctus 13
Canon per Augmentationem in contrario Motu
Contrapunctus 14 (Fuga a 3 Soggetti)
<CD 3, Tr. 3.4.7.8.> 16:20
Interpreten: Musica antiqua, Köln
Label: DGG Archiv (LC 0113)
413 642-2
<CD 3, Tr. 3.4.7.8.> Gesamt-Zeit: 16:20
Archiv-Nummer: ____
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Für welche Besetzung Johann Sebastian Bach seine Kunst der Fuge gedacht hatte, wissen wir nicht - in der Partitur finden sich keinerlei Instrumentenangaben. Daraus aber zu schließen, daß er gar nicht an eine Aufführung gedacht habe, daß der Zyklus nur eine "kunstvolle theoretische Abhandlung" sei, deren "Reize sich einzig und allein in der stillen, meditativen Betrachtung erschließen": eine solche Annahme (auch wenn sie weit verbreitet ist) kann nur dem Wunschdenken von Musikgelehrten entspringen, die in Bach lieber einen Theologen oder Mathematiker sähen als einen Musiker.

Die Leichtigkeit, mit der Bach Fugen komponierte, erfüllte die Zeitgenossen mit ehrfürchtigem Erstaunen - aber mehr auch nicht. Die Zeit für Fugen war vorbei, und das Musikpublikum wollte anderes hören - Musik, die keine Geistesanstrengung erforderte, sondern in erster Linie unterhaltend war. Und es gab auch schon damals eine Menge von Komponisten, die diesen Ansprüchen nach gefälliger musikalischer Unterhaltung mit mehr oder weniger Talent entgegenkamen.

Zu den begabteren unter diesen Komponisten zählt zweifellos auch auch der Bach-Zeitgenosse Johann Friedrich Fasch, der als Kapellmeister am Hof des Fürsten von Anhalt-Zerbst in Mitteldeutschland wirkte. Fasch, der aus ärmlichen Verhältnissen stammte (sein Vater war früh gestorben), war musikalischer Autodidakt. Das Komponieren brachte er sich selbst bei, indem er die Arbeiten "der bedeutendsten Musiker, allen voran die Ouvertüren des Herrn Telemann aus Hamburg aufs Gründlichste studierte." Die Musik, die Fasch schrieb, war für die höfische Abendunterhaltung bestimmt - d.h. sie mußte abwechslungsreich und einfühlsam sein, durfte sich aber nicht allzusehr in den Vordergrund drängen oder gar die anhaltende Konversation stören.

Musik-Nr.: 05
Komponist: Johann Friedrich Fasch
Werk-Titel: Concerto B-Dur für Klarinette,
Streicher, 2 Oboen und Fagott
<CD 1, Tr. 7.8.9.10.> 10:45
Interpreten: Hans Detlef Löchner (Klarinette)
Virtuosi Saxoniae
Ltg.: Ludwig Güttler
Label: Cap (LC 8748)
10 218/9
<CD 1, Tr. 7.8.9.10.> Gesamt-Zeit: 10:45
Archiv-Nummer: ____
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Aber nicht nur Kleinmeister wie Johann Friedrich Fasch mußten sich notgedrungen dem Zeitgeschmack beugen. Selbst der Bach-Sohn Carl Philipp Emanuel, der im Laufe des 18. Jahrhunderts weitaus angesehener war als sein Vater, beklagte sich in seiner Autobiographie:

Weil ich meine meisten Arbeiten für gewisse Personen und fürs Publikum habe machen müssen, so bin ich dadurch allezeit mehr gebunden gewesen, als bei den wenigen Stücken, welche ich für mich verfertigt habe. Unter allen meinen Arbeiten, besonders fürs Klavier, sind bloß einige Trios, Solos und Konzerte, welche ich mit aller Freiheit und zu meinem eigenen Vergnügen gemacht habe.

Was in Carl Philipp Emanuel Bachs Kammermusikwerken deutlich wird - mehr noch als in seinen Sinfonien und Oratorien: daß sich hier eine neue Zeit ankündigt. Nichts ist mehr zu spüren von jenem steifen repräsentativen Hochglanz oder der akribischen Künstlichkeit, die noch bei seinem Vater so vorherrschend waren. Die Musiksprache Carl Philipp Emanuels appelliert viel unmittelbarer ans Gefühl, sie lebt von dramatischen Spannungsbögen und läßt bereits ahnen, was sich dereinst in Wien bei Mozart und Beethoven als neuer Stil etablieren wird.

Musik-Nr.: 06
Komponist: Carl Philipp Emanuel Bach
Werk-Titel: Quartett für Fortepiano, Flöte undBratsche D-Dur, Wq 94 <Track 4.5.6.> 15:50
Interpreten: Les Adieux
Label: dhm (LC 0761)
GD 77 052
<Track 4.5.6.> Gesamt-Zeit: 15:50
Archiv-Nummer: ____
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