Mozarabische Gesänge

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Programmtext für den Deutschlandfunk, Köln

In der arabischen Sprache bedeutet das Wort mozarabe soviel wie "fremder Araber". Die arabischen Mohammedaner bezeichneten mit diesem Wort Personen, die im arabischen Herrschaftsgebiet lebten, aber nicht der islamischen Religion angehörten. Als Mozaraber galten vor allem die in Spanien lebenden Christen, die während der arabischen Herrschaft ihre Religion beibehielten.

Die Bezeichnung "mozarabischer Ritus" für die christlich-liturgischen Gesänge, die während jener Zeit auf der iberischen Halbinsel gepflegt wurden, ist ein wenig irreführend, da sich dieser Ritus schon im Laufe des 6. Jahrhunderts, lange vor der arabischen Besetzung, unter dem starken Einfluß der nordafrikanischen Kirchen herausgebildet hat. Während der islamischen Herrschaft erlebte der mozarabische Ritus allerdings seine Blüte.

Sein Niedergang setzte erst ein, als die Christen die iberische Halbinsel zurückeroberten: Die römische Kurie war nämlich der Auffassung, daß die unzähligen regionalen Sonderformen der liturgischen Ausgestaltung eine Gefahr für den päpstlichen Machtanspruch bedeuteten. Deswegen war der Papst bestrebt, als einzig verbindlichen Ritus die gregorianische Liturgie mit ihren Gesängen festzuschreiben. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Abtei von Cluny, die sich durch die Mitwirkung an dieser "Missionierung" ihrerseits erhoffte, ihren Einflußbereich zu vergrößern.

Für den mozarabischen Gesang bedeutete die gregorianische "Choralreform" den Untergang. Das musikalische Repertoire des mozarabischen Ritus war zwar sehr umfangreich, aber da die Notation jener Zeit (zwischen 800 und 1100) keine genauen Intervalle wiedergibt, sondern den Verlauf der Melodie und die melodischen Verzierungen lediglich andeutet, sind die musikalischen Handschriften mit dem Aussterben der mündlichen Überlieferung seit dem beginnenden 12. Jahrhundert für uns "verstummt". Einige Kirchen jedoch, vor allem in Toledo, haben den mozarabischen Gesang auch noch in den folgenden Jahrhunderten gepflegt.

Zu Beginn des 16. Jahrhunderts ließ der Kardinal von Toledo Franciso Jiménez de Cisneros die Melodien aufzeichnen und installierte den mozarabischen Ritus wieder als verbindliche Liturgie für die Sakramentskapelle seiner Kathedrale. Drei Handschriften mit mozarabischen Gesängen, wie sie sich um 1500 darboten, sind überliefert: zwei für die Gestaltung der Messe, und eine für die Vesper. Sie werden heute aufbewahrt in der mozarabischen Kapelle der Kathedrale von Toledo. [...]

Die Melodien sind in der damals gebräuchlichen Mensuralnotation aufgezeichnet, so daß Rhythmus und melodischer Verlauf sich eindeutig rekonstruieren lassen. Die Manuskripte enthalten allerdings nur die Gesänge, die für die Choralschola bestimmt sind. [...]

Die Handschriften aus Toledo geben den Stand der mündlichen Überlieferung zu Beginn des 16. Jahrhunderts wieder. Im Vergleich mit den Manuskripten aus dem 11. Jahrhundert zeigt sich, daß sich manche der Melodien im Laufe der jahrhundertelangen mündlichen Tradierung verändert haben und dem Schönheitsideal der jeweiligen Zeit angepaßt wurden. Andere Gesänge wiederum wurden offensichtlich nur mit wenigen Veränderungen weitergegeben, so daß sie eine sehr alte Tradition widerspiegeln, deren Wurzeln in den spätantiken Gesängen der Afrikanischen Kirchen liegen.

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