David Oistrach -
zum 10. Todestag

Dieser Beitrag ist entstanden als Sendemanuskript
für den Deutschlandfunk, Köln
(Sendung: 30.10.1984 - "Historische Aufnahmen")

Vor 10 Jahren, am 24. Oktober 1974 starb der russische Geiger und Dirigent David Oistrach im Alter von 66 Jahren. Über seine Größe, seine künstlerische wie menschliche, ist schon soviel geschrieben worden, daß man sich fast scheut, den Lobeshymnen eine weitere Strophe hinzuzufügen. In der westlichen Welt wurde Oistrach als "sowjetisches Geigenwunder" gefeiert, und vielen galt er als "Verkünder musikalischer Offenbarungen", wie es der Musikkritiker Joachim Kaffer poetisch umschrieb. Wenn Oistrach das Konzertpodium betrat, wenn er zu den ersten Tönen ansezte, spürte man den künstlerischen Ernst seines Musizierens. Er war keiner von jenen geigenden Hexenmeistern, die ihr Publikum durch oberflächliche Brillanz, durch Virtuosität und sentimentale Kantilenen verblüffen; sein technisches Können diente immer nur der musikalischen Idee.

Die auftrumpfende Gebärde des Virtuosen war ihm fremd. Es gibt ein Photo, wie David Oistrach nach einer Probe, auf einem Stuhl sitzend, seine Stradivari zwischen den Knien, selbstversunken eine neue Saite aufzieht. Die Ruhe, die er ausstrahlte, seine Natürlichkeit im Umgang mit der Musik und mit den Menschen machten ihn denn auch zum idealen Interpreten kammermusikalischer Werke. Oistrach besaß jene seltene stilistische Elastizität, die es ihm ermöglichte, sich dem Spiel seiner Partner anzupassen, ohne dabei die eigene Individualität aufzugeben. Es gab für ihn kein starres Interpretationsschema; Phrasierung und Agogik, Dynamik und Ausdruck waren keine feststehenden Größen, sondern Variable, die es - zusammen mit dem Partner - jedesmal aufs Neue zu finden galt.

Musik-Nr.: 01
Komponist: Ludwig van Beethoven
Werk-Titel: Sonate für Violine und Klavier a-moll, op. 23
Auswahl: 1. Satz (Presto) <Track xx.> 5:35
Interpreten: David Oistrach (Violine)
Lev Oborin (Klavier)
Label: Philips (LC 0305)
6542 178
<Track xx.> Gesamt-Zeit: 5:35
Archiv-Nummer: ____
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David Oistrach wuchs mit der Geige auf, aber er gehörte nicht zu jenen bedauernswerten Wunderkindern, die schon als Sechsjährige von Auftritt zu Auftritt gehetzt werden. In seinen Lebenserinnerungen schilderte er, wie sein Vater ihm, als er gerade dreieinhalb Jahre alt war, die erste Geige schenkte - eine Spielzeuggeige: "Wenn ich darauf 'spielte', stellte ich mir genußvoll vor, ein Straßenmusikant zu sein. Mir schien, daß es kein größeres Glück geben könne, als mit der Geige durch die Höfe zu ziehen."

Aus den Hinterhöfen sollten Konzertsäle werden. 1935, Oistrach war damals 27 Jahre alt, belegte er den zweiten Platz beim Warschauer Wieniawski-Wettbewerb, und zwei Jahre später gewann er in Brüssel den begehrten Ysaye-Preis. Innerhalb kurzer Zeit hatte er sich an die Spitze der internationalen Geiger-Flite gespielt, als der Zweite Weltkrieg seine Karriere jäh unterbrach. 17 Jahre lang hörte man fast nichts von ihm; die Sowjetunion hatte sich politisch und kulturell abgeschottet, und erst ab 1954 durfte Oistrach wieder auf den westeuropäischen und amerikanischen Konzertpodien gastieren.

Was man von ihm hören wollte, das waren die großen klassischen und romantischen Violinkonzerte, aber seine eigentliche Liebe galt der Kammermusik, den Violinsonaten von Mozart, Beethoven und Brahms. Eines der interessantesten Tondokumente Oistrachs ist jedoch die Einspielung der Bach'schen Sonaten für Cembalo und Violine mit Hans Pischner; interessant vor allem deswegen, weil Oistrachs pastoser, romantisch verbrämter Geigenton unserem heutigen Klangideal von barocker Musik zu widersprechen scheint - und dennoch wird hier eine neue, eine höhere Qualität des Authentischen offenbar: Oistrach gestaltet seinen Part so einfühlsam, zugleich aber so kraftvoll zupackend, daß diese Sonaten nichts von ihrer lebendigen Unmittelbarkeit einbüßen. - Ein ebenso beseeltes wie geistig kontrolliertes Spiel ...

Musik-Nr.: 02
Komponist: Johann Sebastian Bach
Werk-Titel: Sonate für Cembalo und Violine f-moll, BWV 1018
Auswahl: 1. Satz (Largo)
2. Satz (Allegro)
<Track xx.>
<Track xx.>
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Interpreten: David Oistrach (Violine)
Hans Pischner (Cembalo)
Label: DGG (LC 0173)
18677 A
<Track xx.> Gesamt-Zeit: 12:45
Archiv-Nummer: ____
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Wenn man von David Oistrach spricht, vergißt man neben dem Geiger leicht den Dirigenten. Es war 1962, als er erstmals ans Dirigentenpult trat - zur Begleitung seines Sohnes Igor, aber bald schon erarbeitete er sich auch die großen Symphonien von Brahms und Tschaikowski. Sein Jugendtraum, Tschaikowskis Eugen Onegin zu dirigieren, sollte jedoch nicht mehr in Erfüllung gehen: Wenige Wochen vor Probenbeginn erlag David Oistrach in Amsterdam einem Herzleiden, das ihn seit langem quälte.

Wie sehr die vielen Konzerttourneen an seinen Kräften zehrten, davon bekam das Publikum nichts mit. Lediglich in Gesprächen und Briefen äußerte er sich über die Strapazen des ständigen Reisens. Aber all die Mühsal schien vergessen zu sein, wenn Oistrach zu seiner Geige griff, wenn er uns eine Welt offenbarte, deren Schönheit und Harmonie den Alltag für einen Augenblick vergessen ließ.

Musik-Nr.: 03
Komponist: Aram Katschaturjan
Werk-Titel: Tanz in H-Dur, op. 1
Interpreten: David Oistrach (Violine)
Vladimier Yampolski (Klavier)
Label: Ariola (LC ____)
40 444 CK
<Track xx.> Gesamt-Zeit: 4:20
Archiv-Nummer: ____
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