Wolfgang Fortner (1907-1987): Orchesterwerke

Dieser Text ist entstanden als Beitrag für:
Bibliothek der Meisterwerke -
Sinfonien, Konzerte, Ouvertüren.
Köln, Naumann & Göbel, S. 108-110

Einführung

Man braucht keine mystischen Parallelen zu ziehen, um die geistige Nähe Wolfgang Fortner zu Johann Sebastian Bach zu deuten. Die Eltern verehrten Bach, und da sie in Leipzig lebten, ist es nur verständlich, daß Fortner in der Bach-Tradition eines Max Reger und Karl Straube aufwuchs. Als Komponist hat er zu Beginn seiner Laufbahn Anfang der dreißiger Jahre einen "neobarocken" Stil gepflegt, vergleichbar mit Strawinskys "Pulcinella"-Suite oder Hindemiths "Ludus tonalis". Während des Nationalsozialismus flüchtete er sich in "eine gewisse klassizistische Eleganz, weil mir das amtlich verordnete Pathos in tiefster Seele zuwider war."

Fortners kompositorisch fruchtbaren Jahre setzten nach dem Kriegsende ein. Nun hatte er die Freiheit, sich die neuen musikalischen Ausdrucksmittel anzueignen. Er experimentierte mit der Zwölftontechnik, mit Serialismus, Aleatorik und dem Jazz. Die fremden Stilelemente hat er dabei nicht bloß oberflächlich adaptiert, sondern entwickelte sie in sienem Sinne phantasievoll weiter. 1946 gründete Fortner die Kranichsteiner (heute: Darmstädter) Ferienkurse, ein Jahr später initiierte er in Heidelberg die Reihe der zeitgenössischen "Musica viva"-Konzerte. Als Lehrer wirkte er in Heidelberg, Detmold und Freiburg, wobei er es immer vermied, eine stilbildende "Schule" zu gründen. Fortner wollte dem komponierenden Nachwuchs Anreger und Förder sein und nicht "philisterhafter Richter". Zu seinen Schülern zählen Hans Werner Henze, Giselher Klebe, Milko Kelemen und Hans Zender.

Phantasie über die Tonfolge b-a-c-h

Entstanden ist die Phantasie 1950 als Huldigung zu Bachs 200. Geburtsjahr. Die Tonfolge b-a-c-h hat schon viele Komponisten zu Werken angeregt - zunächst Bach selbst, im 19. und frühen 20. Jahrhundert dann u.a. Liszt, Reger, Busoni, Webern und Schönberg. Fortner orientiert sich mit seiner Phantasie eindeutig am Vorbild von Schönbergs Zwölftontechnik: In allen möglichen Kombinationen taucht das chromatische Motiv auf; es wird im horizontalen Verlauf abgewandelt, vertikal geschichtet, in unterschiedliche Intervallregister versetzt und mit verschiedenen Instrumentalklängen disponiert. Die Besetzung mit zwei Klavieren, neun Soloinstrumenten, die einem großen Orchester gegenübersteht, erinnert gelegentlich an den Charakter eines geschlossenen Concertino-Blocks im barocken Concerto grosso.

Mouvements für Klavier und Orchester (1953/54)

Die Auftragsarbeit, die Fortner 1953 für den Südwestfunk Baden-Baden komponierte, basiert auf der Idee einer konzertanten Etüde. "Mouvement" ist im Französischen sowohl eine Tempo-Angabe, die auf einen geläufigen Charakter hinweist, und beschreibt gleichzeitig den "Satz" als äußeres Formprinzip. Die erste Etüde ist im Charakter eines durchlaufenden Perpetuum mobile gehalten, während die zweite Etüde mit südamerikanischen Tanzrhythmen, Jazz-Synkopen und dem Boogie-Woogie arbeitet. Die Rahmenteile (Prelude, Interlude, Epilogue) sind von einer vergleichsweise spröden Klanglichkeit und besitzen nur vorbereitende, überleitende und abschließende Funktion.

Impromptus für Orchester

Fortner hat den Titel, der in seiner ursprünglichen Bedeutung etwas Flüchtiges, leicht Dahingeworfenes meint, in provozierendem Widerspruch gewählt zu der Komposition. Entstanden ist das Werk für die Donaueschinger Musiktage 1957, und dem damaligen Zeitgeist entsprechend herrscht hier unbedingter Ordnungswille. Die Reihenprinzipien der Schönberg-Schule werden verbunden Kanontechniken und mit den strengen mittelalterlichen Rhythmus-Modellen, wie sie etwa von Guillaume de Machaut im 14. Jahrhundert gepflegt wurden.

Immagini (1967)
Daß Musik seine "durchhörbar" war, stellte für Fortner in den späteren Jahren eine wichtige ästhetische Maxime dar. Dementsprechend reduzierte er in "Immagini" den Orchesterapparat auf eine reine Streicherbesetzung, zu der (je nach Möglichkeit) im letzten Satz eine Sopranstimme hinzukommt. Das Werk ist über weite Strecken in "Zeitfelder" aufgeteilt, die den Musikern einen großen rhythmischen Freiraum lassen. Die "Fantasia" zu Beginn schichtet Haltetöne übereinander, unterbrochen von gelegentlichen heftigen Akkorden. In der darauffolgenden ?Monodia? spürt Fortner den unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten eines einstimmigen melodischen Verlaufs nach. Nach einem "schnell und leise" vorbeihuschenden "Interludio" setzt ein Marschrhythmus ein, der durch das Beklopfen der Celli mit dem Bogenholz erzeugt wird. Der letzt Satz schließlich, "Canto" basiert auf einem Gedicht über das Jüngste Gericht von dem kroatischen Lyriker Miroslav Krleza: "Eines alten spanischen Bildwerks gedenkend". Da die Sopranpartie einige Schwierigkeiten birgt, hat Fortner den Satz auch als reine Streicherfassung bearbeitet.
Marginalien. Dem Andenken eines guten Hundes.

Wohl nicht ohne Absicht hat Fortner bei der Titelwahl auf Bergs Violinkonzert "Dem Andenken eines Engels" angespielt. Der marginalen "Nebensächlichkeit" - dem Tod eines Terriers - steht die Ernsthaftigkeit der Musik gegenüber. Das knapp zwanzig Minuten dauernde Orchesterstück von 1969 besitzt kein Programm, geschweige denn Anekdotische Episoden. und Fortner lag vielmehr daran, "das Atmosphärische einer Beziehung aufzugreifen, wie sie zwischen einem Menschen und einem lieben Tier besteht, das lange an seiner Seite gelebt hat."? In diesem Sinne ist auch das Zitat aus Thomas Manns Erzählung "Herr und Hund" zu verstehen, das Fortner als Zitat über die Partitur gesetzt hat: "Er steht auf und schaut, er lauscht auf den Tonfall meiner Stimme."

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